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Die 13-jährige Nely Chepchumba inspiziert das abgebrannte Schulgebäude in dem Dorf Ngarua. Sie gehört der Volksgruppe der Kalenjin an, die mehrheitlich für den Oppositionskandidaten Raila Odinga stimmten.

Foto: AP/Curtis
In Kenia ging die Opposition in den vergangenen Tagen wieder auf die Straße. Während die Polizei im ganzen Land Demonstranten brutal niederknüppelte, fürchten Tausende in Eldoret im nördlichen Rift Valley niemanden so sehr wie die Demonstranten.

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An den Ort des Schreckens hat sich Naomi Nyendo nur beschützt von ihren Brüdern zurückgetraut. Noch immer treiben Milizen in Kiamba, nur fünfzehn Minuten Fahrt von Eldoret entfernt, ihr Unwesen. Sie errichten Straßensperren und stürzen sich auf jeden Angehörigen der Kikuyu-Volksgruppe. So war es auch am Neujahrstag, als Nyendo mit anderen Frauen in der Kirche saß und für Frieden im vom Streit um Wahlfälschung zerrissenen Kenia betete. „Unsere Nachbarn haben die Türen verrammelt, Benzin ausgegossen und das Haus angezündet“, erinnert sich die junge Mutter, die in ein graues Kleid gehüllt ist.

Ein Rollstuhl in den Ruinen

Die Nachbarn waren keine Kikuyu, sondern von der Ethnie der Kalenjin, die in dieser Region die Mehrheit stellt. Irgendwann konnte eine der Frauen ein Fenster einschlagen, sodass viele sich retten konnten. Doch mindestens 30 Menschen verbrannten in den Flammen. „Meine Großmutter saß in ihrem Rollstuhl, ich musste meine Tochter retten und konnte mich in dem Chaos nicht um sie kümmern“, schluchzt Nyendo. Der Rollstuhl der Großmutter steht unberührt in den ausgebrannten Ruinen der Kirche von Kiamba.

Die Farmen der Kikuyu rund um Eldoret sind verlassen, geplündert, verbrannt. Die Höfe der Kalenjin sind intakt, doch die Bewohner verstecken sich. Sie wollen nicht den Soldaten und Polizisten in die Hände fallen, die seit Anfang der Woche in Eldoret stationiert sind. Ein massives Aufgebot soll verhindern, dass sich die Szenen von Kiamba wiederholen.

Tränengas im Spital

Gekämpft wurde bei den Oppositionsprotesten seit Mittwoch dennoch: Die Kalenjin-Milizen errichteten brennende Straßensperren, die Polizei knüppelte Demonstranten mit Schlagstöcken zusammen und feuerte sogar Tränengas in die Intensivstation eines Hospitals. Es soll mehrere Tote gegeben haben.

Die meisten Kikuyu haben bei der Wahl im Dezember für Präsident Kibaki gestimmt, der ebenfalls Kikuyu ist – die meisten Kalenjin für Raila Odinga, den Chef der Opposition. „Der Konflikt hier ist politisch und ethnisch zugleich“, sagt Achikumweru Kamau, die auch aus Kiamba kommt. „Immer wieder vor den Wahlen werden wir Kikuyu verfolgt.“ Konflikte um Land und Reichtum wird regelmäßig von Politikern missbraucht, um Stimmung zu schüren. Doch so schlimm wie dieses Mal, sagt Kamau, war es noch nie.

„Ich bin gerannt, gerannt“

Die Vertriebenen erzählen ähnliche Geschichten: Die Angreifer kamen zu hunderten, bewaffnet mit Schlagstöcken, mit Macheten oder Fackeln, und suchten nach Kikuyu. „Ich bin gerannt, gerannt, gerannt“, sagt mit leiser Stimme die 10-jährige Jen Njeri. Als sie Lastwagen vom Gelände der Polizeistation fahren sah, handelte sie. „Ich wusste nicht, wohin sie fahren, aber ich bin auf die Ladefläche gesprungen, um wegzukommen.“ Was mit ihren Eltern und Geschwistern geschehen ist, weiß sie nicht. Das Rote Kreuz hat sie noch nicht gefunden.

In Eldorets Vorstädten wie Kapsaos, wo zwischen Bretterbuden viele arbeitslose Kalenjin-Jugendliche leben, ist der aus Neid und Frust gespeiste Hass besonders groß. „Herr Kibaki muss verstehen, dass wir die Kikuyu verfolgen, weil er die Wahl gestohlen hat“, sagt Amos, der mit seinen kurzgeschorenen Haaren und dem Muscleshirt als Neonazi durchgehen könnte. „Wir bestrafen die Kikuyu, damit Kibaki aufwacht. Und wenn er das nicht tut, war das, was bisher passiert ist, nur der Anfang.“ Ende Dezember zündeten viele von denen, die jetzt hier diskutieren, Kikuyu-Läden in Brand. „Wenn die Polizei weiter auf uns schießt, dann setzen wir das ganze Land in Brand“, ruft Amos, und die kleine Menge auf der staubigen Hauptstraße jubelt ihm zu. Am dritten Tag der Proteste gegen Präsidenten Mwai Kibaki sind am Freitag mindestens neun Menschen getötet worden, davon vier in Nairobi. (Marc Engelhardt aus Nairobi, DER STANDARD, Printausgabe, 19.1.2008)