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Die Planung des Berliner Hauptbahnhofs (im Bild die Eröffnung im Mai 2006) wurde selbstverständlich über einen EU-weiten Wettbewerb ausgeschrieben

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Walter Stelzhammer, Architekten-Vorsitzender in der Bundeskammer

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Adolf Krischanitz, Architekt mit internationaler Perspektive

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Sabine Gretner, grüne Gemeinderätin in Wien

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Christoph Stadlhuber, Geschäftsführer der BIG und Bauherr

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Ende Februar will das Bundesvergabeamt ein Urteil zum Wettbewerb für die ÖBB-BahnhofCity fällen, bis dahin ruht das Verfahren. Eine Expertenrunde diskutierte über die Auswirkungen dieses spektakulären Aufbegehrens der Architekten gegen den Trend, Wettbewerbe in geladener Form zu organisieren. Ute Woltron moderierte.

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STANDARD: Was bedeutet die Vergabeamtsentscheidung für die gesamte Bauszene?

Walter Stelzhammer: Im Moment warten alle wie gebannt darauf. Die Entscheidung ist für den gesamten Berufsstand ungeheuer wichtig. Sie wird nicht nur die Position der ÖBB, sondern aller öffentlichen Auftraggeber neu definieren.

Christoph Stadlhuber: Egal wie die Entscheidung fällt, die BIG wird weiterhin öffentlich ausschreiben. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir über offene EU-weite Wettbewerbe die besten Ergebnisse bekommen.

Adolf Krischanitz: In Österreich gab es immer eine hochstehende Wettbewerbskultur, und es ist problematisch, wenn sich der öffentliche Bauherr verstärkt über Abwicklungsgesellschaften aus diesem System herausnimmt. Der Architektenberuf ist ohnehin einer der existenziell problematischsten überhaupt. Für Jüngere ist es extrem schwierig, zum Zug zu kommen. Der Wettbewerb ist das Mittel, um an öffentliche Aufträge heranzukommen.

Sabine Gretner: Die Auswirkungen werden enorm sein. Das ÖBB-Verfahren zeigt die Haltung der öffentlichen Hand gegenüber der Baukultur und ihren Rückzug aus der Verantwortung.

STANDARD: Warum ist die EU-weite Ausschreibung offenbar ein Schreckgespenst für manche Bauherren?

Stelzhammer: Man hat Angst, die falschen Preisträger zu kriegen.

Krischanitz: Das kommt aus dem Omnipotenzanspruch gewisser Bauherren, die jedes Risiko, auch im Positiven, ausschließen wollen: Es könnte ja ein Projekt dabei sein, mit dem kein Mensch rechnet, das aber trotzdem irrsinnig klass ist. Die versuchen die Ergebnisse von Beginn an so hinzubiegen, dass es ihnen in den Kram passt.

Gretner: In der Stadt Wien arbeitet man in den letzten Jahren zudem stark mit Branding. Dazu braucht man internationale Namen, weil man Stadtteile besser verkaufen kann, wenn der Masterplan von Norman Foster stammt, auch wenn der nicht realisierbar ist.

Stadlhuber: Die Gefahr bei geladenen Wettbewerben besteht auch darin, dass in der Jury eher darüber diskutiert wird, welcher Architekt genommen werden soll, als welches Projekt. Aber eben das Projekt sollte im Vordergrund stehen, nicht die Planer.

STANDARD: Welche Institutionen wird die Entscheidung betreffen?

Gretner: Es gab allein in Wien in den vergangenen Jahren viele Ausgliederungen. Eine klare Entscheidung wäre ein Erdbeben!

Stadlhuber: Es wird den gesamten öffentlichen Bau in Österreich betreffen. Es gibt kaum mehr Gebietskörperschaften mit Liegenschaftseigentum. Die sind meistens in BIGs, LIGs und GIGs - Bundes-, Landes- und Gemeindeimmobiliengesellschaften - ausgelagert.

STANDARD: Von welchem unter Umständen betroffenen Bauvolumen reden wir eigentlich?

Stelzhammer: Von Milliarden.

Krischanitz: Viel auf jeden Fall. Doch komischerweise sind Gesamtbaukosten meistens weit weniger interessant als Architektenhonorare. Tatsächlich ist das momentane Wettbewerbssystem selbstausbeuterisch bis zum Exzess. Im Schnitt muss man zehn Wettbewerbe machen, bevor man einen gewinnt, und die muss man alle finanzieren. So kommst du als Architekt nie zu Rücklagen, weil du sofort wieder alles in Wettbewerbe investieren musst. Diese Basis wird durch geladene Verfahren noch einmal verschlechtert, und insofern glaube ich, dass es nur mehr Wahnsinnige sind, die diesen Beruf ausüben.

STANDARD: Welche Wettbewerbsart ist dann eigentlich anzustreben?

Krischanitz: Offene Wettbewerbe mit vorgeschalteter Bewerbung, die Jury kann entscheiden, wer mitmacht, und automatisch wird ein gewisser Prozentsatz von Jungen automatisch einbezogen.

Stelzhammer: Die ÖBB hätte wie die Erste Bank am Nachbargrundstück genau so ein Verfahren mit vorgeschalteter Bewerbung ausloben können. Warum hat sie das nicht getan?

STANDARD: Kluge Bewerbungsverfahren sind also die Lösung, die erfordern allerdings bewusste Bauherren, die ihre eigenen Kriterien definiert haben.

Krischanitz: Exakt. Über die Nachhaltigkeit von Gebäuden wird kaum geredet, das wird dann halt irgendwie gemacht. Aber das ist zu kurz gedacht.

Gretner: Noch dazu in einer Zeit, in der die Betriebskosten heftig steigen.

Stelzhammer: Das Wettbewerbssystem wäre ja an sich brauchbar, und es soll auch dem Auftraggeber vorbehalten bleiben, welche Verfahrensart er wählt. Das Bundesvergabegesetz bietet den Handlungsspielraum, aber wir Architekten müssen mitreden können, wie weit der geht. Manche Anwaltskanzleien haben sich geradezu auf diese Zwischengrauzonen spezialisiert und reizen sie bis zum Letzten gegen die Architektenschaft und die Architektur aus.

Krischanitz: Mir kommt vor, dass man in Österreich, aber auch in Deutschland etwas hinten ist. Schweizer Ausschreibungen sind wesentlich präziser. Hierzulande sitzen auch in der Jury oft Leute, die sich nicht genug auskennen. Es ist alles ein bisschen schlampig geworden in Österreich: Man weiß eh, wen man einlädt, und möglicherweise auch, wer gewinnen soll. Das ist ein übler Umgang mit Ressourcen, der aber für uns Architekten ganz entscheidend ist. Die Wettbewerbskultur braucht wieder eine Aufwertung.

Gretner: Es geht aber auch um den enormen Wert von guter Architektur für die Allgemeinheit. Architekten werden immer noch zu sehr als Künstler gesehen, doch was Architektur und Städtebau für uns alle bedeutet, darüber herrscht zu wenig Aufklärung.

Stadlhuber: Noch eine Frage: Warum unterscheidet man überhaupt so extrem zwischen Öffentlichen und Privaten? Gerade das aktuelle Beispiel BahnhofCity zeigt an einem Standort, dass ein privates Unternehmen, die Erste Bank, einen öffentlichen Wettbewerb veranstaltet, aber ein - gegebenenfalls - öffentliches Unternehmen umgeht das. Ich hoffe, dass die nun entbrannte Diskussion zu einem Plädoyer für den offenen Wettbewerb führt. Das sollten dann tunlichst auch die Privaten erkennen. Die Erkenntnis, dass der sinnvoll ist, muss greifen, denn durch Zwang allein kommt nie was Ordentliches zustande.

STANDARD: Die ausgegliederte BIG gilt immer noch als "Staatsmacht" des Bauens, sie muss aber privatwirtschaftlich agieren und Geld verdienen. Inwieweit hat sie das Backing ihres Eigentümervertreters, des Wirtschaftsministers, die Baukultur über offene Wettbewerbe hochzuhalten?

Stadlhuber: Das ist absolut kein politisches Thema. Wir müssen das Geld, das wir ausgeben, zurückverdienen, und wenn's geht ein bisschen mehr dem Finanzminister abliefern. Da wehren wir uns nach Möglichkeit, weil wir das Geld in der Immobilie, im Bestand zu halten versuchen. Die Argumente könnten bei der BIG allerdings die gleichen sein wie bei den ÖBB. Denn wenn wir mit unseren Mietpreisen mit der Konkurrenz nicht mithalten können, geht der Mieter woanders hin.

STANDARD: Erbringt das den Beweis, dass es mit offenen Wettbewerben genauso möglich ist, wirtschaftlich zu agieren?

Stadlhuber: Ganz sicher. Was das Verfahren anlangt, hoffe ich jetzt auf eine rasche Entscheidung, die nicht in die Instanzen geht.

Gretner: Ich will die Politik aber keinesfalls aus der Verantwortung nehmen. Dieses Verfahren übt erstmals wirklich Druck aus. Jetzt wird mit juristischen Mitteln über Bauqualität entschieden.

Stelzhammer: Meine Botschaft an Stadtrat Schicker, der sich ja aus der Jury zurückgezogen hat, lautet: Wenn er nun die rechtskonforme Ausschreibung unverzichtbar nennt, dann ist für mich als Standesvertreter klar, dass er sich ab sofort hundertprozentig für die Sache einsetzen wird. Ich fordere ihn daher auf, das im Rahmen dieses Nachprüfungsantrages zum ÖBB-Verfahren auch zu tun.

Krischanitz: Neben all den juristischen Spitzfindigkeiten gibt es eine moralische und kulturelle Verantwortung - und da frage ich mich, wie so etwas überhaupt passieren kann. (DER STANDARD Printausgabe, 19./20.1.2008)