Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

E. hatte den Supermarkt angezeigt – aber dann wurde seine Ex-Frau zum Jugendamt zitiert. Wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht

Es war knapp vor Weihnachten. Da gab es, schreibt E., einen Moment, in dem er kurz glaubte, im falschen Film gelandet zu sein. Denn dass das Jugendamt seiner Exfrau eine Anzeige samt Vorladung widmete, hatte er nicht geplant. Schließlich, erklärt E., wisse er, dass seine Ex dem gemeinsamen Sohn die Ideal-Mami sei. Und nur weil es mit ihm, E., und ihr nicht geklappt habe, hieße das nicht, dass sie eine schlechte Mutter sei. Oder man ihr Behörden auf den Hals hetzen dürfe.

Denn dafür, dass der gemeinsame, 12-jährige Sohn da, als E. ihn und seinen Freund spätnachmittags aus der Shoppingmall abholte („Klar weiß ich, dass sie nur Unfug im Schädel haben“, schreibt E., „aber ein bisserl Auslauf muss man den Buben schon geben“), nicht nur Schlagseite, sondern auch eindeutig-einschlägigen Mundgeruch hatte, betont E., könne seine Ex wahrlich nichts. Außer, sie hätte den Knaben in der Früh besoffen zur Schule geschickt. Und dann hätte doch – hoffentlich – der eine oder andere Lehrer ... und so weiter.

Problemlos

Aber die Buben waren ohnehin zu breit um zu lügen: Die mittel- und hochprozentige Ware hätten sie aus dem Supermarkt in der Mall gehabt. Und, nein, das sei überhaupt kein Problem gewesen, mit der Schultasche in der Hand und dem Sixpack, den Alkopops und dem Schnaps im Wagerl an der Kassiererin vorbei zu kommen. Wieso denn auch?

An dieser Stelle, schreibt E., sei er dann sauer geworden. Aber mit einer Standpauke für den Nachwuchs und den ebenfalls lallenden Kumpel habe er sich nicht begnügen wollen: Er marschierte ins nächste Kommissariat, stellte die beiden Knaben den Beamten vor und erstattete Anzeige. Gegen den Supermarkt. Sogar den Kassenzettel hatten die Kinder noch dabei gehabt. Die Beamten staunten. E.s Schritt, schreibt E., fanden sie zwar ungewöhnlich, aber eigentlich sehr ok.

Durchgeknallt?

Wenige Tage später, setzt E. fort, sei er dann wie im falschen Film dagestanden: Seine Ex habe ihn angerufen – und sei fuchsteufelswild gewesen: Bei ihr sei gerade eine Anzeige eingetrudelt. Samt Vorladung. Wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht. „Zuerst,“ schreibt E., „hat sie geglaubt, ich sei jetzt komplett durchgeknallt. Ich habe zuerst nicht verstanden, wovon sie überhaupt redet – und dann bin ich explodiert.“

Selbstverständlich, erzählt der Teilzeitvater, sei er dann mit seiner Ex-Frau aufs Amt gewandert. Und, schreibt er, danach sei er „eigentlich ganz froh gewesen, dass die so agieren“: Der Verdacht, dass sich Eltern nicht um ihre Kinder kümmern, wenn die betrunken herumtorkeln, sei oft ja wohl nicht ganz unbegründet. Darum, erfuhren die beiden Erwachsenen, sei es eine amtliche Routine-Drohung, in so einem Fall die Eltern vorzuladen und dabei schon mit der Anzeige zu fuchteln.

Rückzieher

Denn, erfuhren E. und seine Ex, dass es die Erzeuger selbst sind, die da mit ihrem alkoholisierten Nachwuchs zur Behörde marschieren, komme nämlich eher selten vor. Und dass die Kinder da sozusagen als „Beweis“ für das Fehlverhalten eines Händlers mitgenommen würden, sei eigentlich einzigartig. Bisher. Die Anzeige gegen die Mutter, erzählte E., sei natürlich umgehend zurückgezogen worden. Und eigentlich sei damit ja alles wieder in bester Ordnung.

Aber eben nur eigentlich: Was denn aus seiner Anzeige gegen den Supermarkt werde, wollte E. dann noch wissen. Aber die Jugendamtsmitarbeiterin habe bedauernd mit den Schultern gezuckt: Keine Ahnung. Weder E. noch das Amt hätten eine Chance, zu erfahren, ob und - wenn ja - wie hart die große Handelskette gestraft würde. Und ob man sich an einer kleinen Kassiererin abputzen würde.

Obwohl E.s Ex da ohnehin einen weniger pauschalen Standpunkt als der Vater ihres Kindes einnähme, schreibt E.: Beim Verlassen des Amtes habe sie ihm nämlich von einem anderen Erlebnis erzählt: neulich seien vor ihren Augen ein paar Early-Teens mit einer Ladung Alkopops an der Supermarktkasse hängen geblieben. Doch als die Kassiererin den Verkauf der Ware verweigerte, habe die Frau hinter den Buben – sie sei ziemlich genau im Alter von E.s Ex gewesen – gesagt: „Na dann legt das Zeug mal in mein Wagerl – ich gebe es euch, wenn wir draußen sind.“ (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 21. Jänner 2008)