... eines Künstlers, der in seiner Heimat Österreich nie den Stellenwert seiner Zeitgenossen Gustav Klimt und Egon Schiele erreichte.
Wien – Von einer Geliebten zurückgewiesen zu werden, damit konnte er nicht umgehen. Nein, falsch: Er ertrug es schier nicht. Die Abweisung trieb ihn zu verzweifelter, aber kreativer Raserei an. Oskar Kokoschka als Amokläufer, das fand zwar nur auf dem Papier statt, büßte – wie die Tusche-Tempera-Arbeit von 1909 zeigt – deswegen jedoch nichts an Bedrohlichkeit und beängstigender Aggression ein.
Der lodernde Berserker – Tattoos an seinem Unterarm weisen auf den Künstler selbst als Protagonisten hin – stürmt mit der Verderbnis bringenden, brennenden Fackel in seiner Linken – in der Rechten umklammert er den Dolch – eine Straße hinunter. Eine Verzweiflung, in die also nicht allein Alma Mahler den jungen Oskar Kokoschka zu stürzen vermochte, denn das war drei Jahre vor der schicksalshaften Begegnung des 26-Jährigen mit der jungen Witwe, 1912 im Haus ihres Stiefvaters Carl Moll.
Vom Knaben ...
Die Ausstellung im Belvedere zeigt zwar das Frühwerk des Künstlers als eine stark von dieser Begegnung geprägte Schaffenszeit, setzt aber viel früher an, um den Weg vom "träumenden Knaben" bis zum "Enfant terrible" des Expressionismus nachzuzeichnen. Vom Begriff des "träumenden Knaben" darf man freilich nicht auf Anfänge als zarter Romantiker schließen, man werfe nur einen Blick in Kokoschkas gleichnamiges Märchenbuch: "Ich verzehre euch / Männer, Frauen, halbwache hörende Kinder. / Ich, der rasende, liebende Werwolf in euch!"
Bei der Kunstschau 1908 sorgte er mit dem Buch und den im Umfeld entstandenen Aquarellen und Zeichnungen, die noch stark vom Jugendstil der Wiener Werkstätte geprägt waren, für einigen Wirbel. Bereits da hatte er seinen Ruf als "enfant terrible" weg. Ein Kritiker der Zeit schrieb: "Dieses Enfant terrible ist nämlich wirklich ein Kind, absolut kein Poseur, nein, ein guter Junge. [...] Den Namen Kokoschka aber muß ich mir merken. Denn wer mit zweiundzwanzig Jahren sich so kannibalisch gebärdet, kann möglicherweise mit dreißig ein sehr origineller, ernstzunehmender Künstler sein."
... zur Meisterschaft
Auf dem somit zeitlich eigentlich sehr kurzen Weg vom Knaben zum Enfant terrible winkte also auch recht bald die Meisterschaft. Zeugnis davon legt in der 145 Exponate umfassenden Belvedere-Ausstellung, die 1906 ansetzt und Werke von Auguste Rodin oder etwa Ferdinand Hodler als Referenzgrößen heranzieht, etwa das Bildnis Hans und Erika Tietze von 1909 ab: ein großformatiges Gemälde, das seinen Weg vom Museum of Modern Art in New York ins Belvedere fand und in dem Kokoschka einerseits die Gegensätzlichkeit der beiden Partner und anderseits dem stets wiederkehrenden Thema des Geschlechterkampfes eine neue Spielform hinzufügte.
Formal faszinierend ist die Überarbeitung der von Kokoschka mit Händen, Fingern und Tüchern verriebenen Malschicht mit einem scharfen Gegenstand – womöglich sogar mit dem Fingernagel –, sodass eine zweite Zeichnung entsteht, eine Art Sgraffito – Schraffuren, die Sonnenstrahlen oder gar Landschaftsdetails andeuten.
Die Zäsur in der chronologischen Ausstellung tritt mit dem Kapitel Alma Mahler ein, das im Belvedere durch eine ORF-Dokumentation zu Kokoschka akzentuiert wird. Und da ist er auch schon wieder, der Bub hinter dem Meister, der sich ziel- und orientierungslos an die Geliebte klammert. Das Weib führt den Mann (1914), eine Vorstudie zum Wandbild für die obsessiv Angebetete, verdeutlicht nicht nur im Titel das Sich-Ausliefern des Mannes.
Selbst die erlebten Kriegsschrecken können den Schmerz der Trennung 1914/15 nicht mildern. Ein Umstand, den die Puppenmacherin Hermine Moos 1918 auf den Plan ruft. Sie sollte einen Puppenfetisch nach Angaben OKs fertigen. Eine Puppe mit einer Haut aus feinstem, seidigstem Stoff ersehnte er, der gewisse Enttäuschungen bereits miteinkalkulierte, sich. Belohnt wurde er mit einer Eisbärdame, die fast wie ein ironischer Kommentar der Puppenmacherin erscheint. Kokoschka war entsetzt. In der Ausstellung wird der Geschichte des nachgebauten Fetischs viel Platz eingeräumt. Platz, der für wichtige Hintergründe anderer Werke, wie etwa dem Schmerzensbild Stillleben mit Putto und Kaninchen, fehlt. Hintergründe, die man nur im Katalog nachlesen kann. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.1.2008)
-> Oskar-Kokoschka-Tour – Die nächsten Stationen
-> Im Rivalitätskampf – Kokoschka-Schwerpunkt ohne Konzept
Oskar-Kokoschka-Tour
Die nächsten Stationen
Wien/Linz – Nächste Stationen der Oskar-Kokoschka-Grand-Tour nach dem Belvedere ist das Lentos in Linz. Dort werden ab 31. Mai Teile der Belvedere-Schau um den Schwerpunkt "Oskar Kokoschka als 'entarteter' Künstler" erweitert. Kokoschka als skandalträchtiger Künstler und seine Kontakte zu Linz werden die Schwerpunkte dieser Ausstellung sein.
Der Künstler war ein enger Freund des Museumsgründers Wolfgang Gurlitt aus Berlin. Die erste Ausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg fand nicht in Wien, sondern in der Neuen Galerie der Stadt Linz, der Vorgängerinstitution des Lentos Kunstmuseum statt. Titel der Schau: "Oskar Kokoschka – Ein Vagabund in Linz. Wild, verfemt, gefeiert". Mit "Oskar Kokoschka – Exil und neue Heimat 1934–1980" kündigt dann die Wiener Albertina ab 11. 4. (wie immer) gleich den Versuch einer Neubewertung vor allem des Spätwerks an. Besondere Schwerpunkte bilden das Schaffen des 1934 schon fast 50-jährigen Künstlers im Prager Exil, seine Zeit in England und Schottland nach der Flucht vor den Nationalsozialisten im Jahr 1938 sowie Kokoschkas Werk ab 1953 in seiner neuen Heimat, der Schweiz.
Ebenso umfangreich werden die Reisetätigkeit des Künstlers anhand seiner Städtebilder aus Italien und Deutschland, die Bühnenbildentwürfe für Theater und Oper sowie seine Literaturillustrationen veranschaulicht. Den Abschluss bilden OKs Auseinandersetzung mit existenzialistischen Fragen zu Tod und Leben. (Markus Mittringer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.1.2008)
Im Rivalitätskampf
Kokoschka-Schwerpunkt ohne Konzept
Obwohl das Spätwerk "zu Unrecht im Schatten seines revolutionären expressionistischen Frühwerks" stünde: Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder befürchtete letzten Herbst nicht ohne Grund, mit seiner Kokoschka-Schau Exil und neue Heimat 1934–1980 (11. April bis 13. Juli) abzustinken. Denn Rivalin Agnes Husslein zeigt im Belvedere eben schon jetzt das "revolutionäre expressionistische Frühwerk". Und so legte er im Kulturministerium Beschwerde ein. Erfolglos. Hussein versicherte glaubhaft, ihre Pläne "bereits im März 2006 bekanntgegeben" zu haben. Sie schlug Schröder in der Folge ein gemeinsames Ticketing und Kataloge im gleichen Format vor, die in einen Schuber passen. Doch Schröder fühlte sich benachteiligt – und verweigerte die sinnvolle Kooperation. Auch der Rubens-Schwerpunkt war nicht geplant: Wilfried Seipel (KHM) präsentierte 2004 zusammen mit dem Liechtenstein Museum und der Gemäldegalerie der Akademie Rubens in Wien. Er bremste damit Schröder aus, der längst kundgetan hatte, ab April 2005 eine große Rubens-Retrospektive zu zeigen ... In den letzten fünf Jahren schnappten sich die Direktoren zudem gegenseitig Ausstellungen oder Projekte weg (Goya, Toulouse-Lautrec) oder programmierten ihr Haus gegen das Profil. Das Ministerium ist nun nicht mehr gewillt, "die Selbstbezogenheit der Museen" zu akzeptieren: Gegenwärtig wird über eine Reform nachgedacht. Gegen den Willen mancher Direktoren. (Thomas Trenkler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.1.2008)