Neuerfindung
"Heute werden wir die Musikindustrie neu erfinden", so die selbstbewusste Ankündigung des Anbieters. Lieder und Alben sollen zusätzlich zu den schon vorhandenen last.fm-Diensten als kostenloses Streaming-Angebot in voller Länge zur direkten Auswahl durch die AnwenderInnen bereit gestellt werden. EMI, Sony BMG, Universal und Warner als Major Label sowie tausende von unabhängigen Künstlern und Labeln hätten entsprechenden Lizenzen für last.fm zugestimmt, so die Ankündigung.
USA, Großbritannien und Deutschland
Der neue Streaming-Dienst startet ab sofort in den USA, Großbritannien und Deutschland - andere Länder sollen nach und nach folgen. Noch ist das Service als "Beta" ausgewiesen und die NutzerInnen können einen Titel nur bis zu drei Mal in voller Länge abspielen. Nach dem dreimaligen Hören erscheint der Hinweis auf einen geplanten Abonnement-Dienst. Dieser wiederum soll es dann ermöglichen, dass LIeder und Alben beliebig oft in voller Länge angehört werden können. Außerdem soll dies zukünftig nicht mehr nur über die last.fm-Website, sondern auch über einen speziellen last.fm-Client auf einem lokalen Rechner möglich sein.
Weiter: Die Anfangsschwierigkeiten waren erheblich...
"Wir sind zu einer Zeit der totalen Flaute in der Internetwirtschaft und vielen Gerichtsprozessen im Musikgeschäft gestartet", sah sich der Mitbegründer der Web 2.0-Plattform "Last.fm", Martin Stiksel, mit erheblichen Anlaufschwierigkeiten konfrontiert. Zeitweise habe man weder Miete noch Mitarbeiter zahlen können. "Es gab etliche Momente, wo wir kein Licht am Ende des Tunnels gesehen haben. Einmal hat uns nur eine Steuerrückzahlung gerettet", erklärte der gebürtige Oberösterreicher im APA-Gespräch. Aufgeben sei aber kein Thema gewesen.
"Wachstum war unser Feind"
Als die Nutzerzahlen stiegen, habe man mit anderen Problemen zu kämpfen gehabt. "Das Wachstum war zu diesem Zeitpunkt unser Feind. Medienberichte oder ein Blog-Eintrag reichten, um unsere Server in die Knie zu zwingen." Inzwischen kooperiere man mit Warner, EMI, Sony BMG und Universal, also allen vier Major Labels. Viel mehr Lieder würden aber von den gut 150.000 Independent Labels beigesteuert. Ziel sei es, jeden Song, der jemals aufgenommen wurde, online zu bringen. Künstler ohne Plattenvertrag, die ihre Musik auf Last.fm hochladen, erhalten von Last.fm jedes Mal Geld, wenn ihre Songs abgespielt werden.
Weiter: Der Erfolg in Österreich
Die Frage, ob er sein Projekt auch von Österreich aus so
erfolgreich entwickeln hätte können, ist für Stiksel "akademischer
Natur". Dennoch warte er noch immer auf ein "tolles österreichisches
Startup, das hier gegründet wird, online geht und Erfolg hat". London
sei gerade im Musikgeschäft ein sehr guter Standort, weil es große
Unterstützung für neue Ideen gebe. Mit Klagen sei man bisher nicht
konfrontiert worden. "Wir erklären den Plattenfirmen und
Verwertungsgesellschaften alles sehr genau und bekommen daher sehr
positive Reaktionen. Auch die Newcomer nutzen die Chancen, eine
breitere Öffentlichkeit zu erreichen."
Hype muss man gelassen sehen Den aktuellen Hype um Web 2.0 sieht der 32-Jährige gelassen.
"Viele Projekte, die jetzt starten, werden nie die notwendige Masse
erreichen, um erfolgreich zu sein. Andererseits waren die Aussichten
noch nie so gut. Denn die Zahl der User, die das interessiert, ist
inzwischen sehr groß." Angebote, die großen Zulauf haben, einfach zu
kopieren, werde dennoch nicht reichen. Den Begriff "Web 2.0" an sich
hält der Jungunternehmer für ein "hilfreiches Label, um sich von
alten Ansätzen zu trennen". Keine Probleme Während das Internet-Kontaktnetz Xing oder die US-Plattform
Facebook derzeit mit negativen Reaktionen wegen der Verknüpfung von
Benutzer-Daten mit Werbung konfrontiert sind, sieht Stiksel für
Last.fm keine Probleme. "Unsere Absicht ist es ja Musik zu bewerben.
Und das machen wir schon seit dem Start. Das werbeunterstützte Modell
ist derzeit eines der besten, weil dadurch Barrieren - wie sie etwa
bei kostenpflichtigen Angeboten bestehen - wegfallen." Beim
Datenschutz komme es vor allem auf Transparenz an. "Bei uns können
die Nutzer so anonym bleiben, wie sie wollen. Google und Co.
verbrennen sich da hingegen etwas die Finger." Weiter: In Zukunft auch Videos, Serien und Filme.... Das vom Österreicher Martin Stiksel mitbegründete und
im Vorjahr für fast 300 Millionen Dollar (207 Millionen Euro) an den
US-Medienriesen CBS verkaufte Web 2.0-Portal "Last.fm" will sein
Angebot kontinuierlich ausbauen. "Ich kann mir eine Erweiterung auf
Videos, Serien und Filme durchaus vorstellen", erklärte Stiksel im
Gespräch mit der APA. Das "Geschmacksprofil" Das bei Musik anscheinend sehr erfolgreiche Bewertungs- und
Empfehlungssystem erstellt aufgrund der eigenen Liedersammlung ein
persönliches "Geschmacksprofil". Es registriert, was man sich anhört
und "lernt", was einem gefällt. Darauf aufbauend werden entsprechend
individualisierte Radiosender, Songs und Konzerttipps angeboten.
Außerdem vernetzt das Internetportal die User mit musikalisch gleich
gesinnten Personen. Nun plant das Unternehmen eine Ausweitung auf
zusätzliche Formate. "Wir werden unser System auch für andere Dienste nutzen und wollen
die persönlichen Medienprofile weiter ausbauen", so Stiksel. Die Idee
dahinter: Wer bei Musik auf der gleichen Wellenlänge liegt, hat
möglicherweise auch bei Videos, Serien oder Filmen denselben
Geschmack. Musik-Videos, eine Konzert- und Eventplattform sowie Blogs
und Biographien sind bereits integriert worden, angedacht ist zudem
eine weitere Personalisierung des Portals. "Die Musik-Videos könnten
dabei eine Brücke zu anderen Inhalten darstellen", sagte der
gebürtige Oberösterreicher, der die Online-Community im Jahr 2002
gemeinsam mit zwei Kollegen in London gestartet hat. Weiter: Der Deal mit den Plattenfirmen... Im Mai 2007 verkauften die Gründer Last.fm für 280 Millionen
US-Dollar an den Medienriesen CBS. Weitere 40 Millionen sollen
abhängig von der weiteren Geschäftsentwicklung gezahlt werden. Teil
der Vereinbarung war, dass Felix Miller (Deutschland), Martin Stiksel
(Österreich) und Richard Jones (UK) das Unternehmen weiter leiten.
Kurz nach Abschluss des Deals gab Last.fm außerdem eine Kooperation
mit Sony BMG Music Entertainment bekannt, durch die den Usern der
komplette Song-Katalog des Major Labels zur Verfügung gestellt wurde. "Der Deal mit CBS hilft uns sowohl bei den Plattenfirmen, den
Verwertungsgesellschaften als auch beim Finden fähiger Mitarbeiter.
Außerdem war es natürlich eine befreiende Erfahrung, weil die Zukunft
der Firma dadurch abgesichert ist. Jetzt haben wir wieder Ressourcen,
um das anzugehen, was auf die lange Bank geschoben wurde", sagte
Stiksel. Zweistelliges Wachstum Zum Zeitpunkt des Verkaufs hatte Last.fm mehr als 20 Millionen Nutzer.
Seitdem weise das Unternehmen monatlich zweistellige Wachstumsraten
auf. Ob das Portal inzwischen schwarze Zahlen schreibt, wollte
Stiksel nicht kommentieren. Nur soviel: "Es ist immer das Geschäft
immer Vordergrund gestanden." Das Unternehmen beschäftigt aktuell
rund 70 Mitarbeiter und finanziert sich laut den Angaben vor allem
über Online-Werbung, Musik-Downloads und Konzerttickets. Die User der Plattform, die vor kurzem auf der Berliner "Web 2.0
Expo" vom Branchenexperten Tim O'Reilly als Vorzeigebeispiel
hervorgehoben wurde, kommen zu einem großen Teil aus den USA,
Großbritannien, Deutschland und Japan. Aber auch Skandinavier oder
Polen seien stark vertreten. Jüngere Personen würden eher die
sozialen Funktionen nutzen, ältere vor allem Musik hören oder die
Biographien durchforsten. Das Geschlechterverhältnis sei inzwischen
"ziemlich ausgeglichen".(red/APA)