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"Crime blanc de collier": Ein "junger Aktienhändler" schaffte es, bei der französischen Großbank alle Kontrollen zu umgehen. Er jonglierte mit zig Milliarden Euro und kostete die Bank davon fünf.

Fotos: APA/Montage: Otto Beigelbeck
"Wir sind fast vom Stuhl gefallen, als wir das ganze Ausmaß entdeckten", erklärte ein Société-Générale-Kadermann. Seinen Namen will er aber nicht in den Medien sehen - die Affäre ist zu "heiß", als dass sich jemand exponieren will. Fast fünf Milliarden Euro soll ein Mitarbeiter bei illegalen Finanzoperationen in einem Jahr "verlocht" haben; die durch die Finanzkrise bereits angeschlagene Großbank gerät damit schwer ins Schlingern.

Von dem betrügerischen Angestellten wusste man zunächst nur, dass er jüngeren Alters sein und gestanden haben soll. Der Name des Mannes ist inzwischen laut "Financial Times" bekannt. Der Händler heiße Jérôme Kerviel. Er sei seit 2000 bei der Société Générale beschäftigt, habe zunächst in der Abwicklungsabteilung der Bankzentrale in Paris gearbeitet, 2005 dann ins Delta-One-Team gewechselt. Dort handelte er der Zeitung zufolge mit Aktienfutures europäischer Börsenindizes.

Arbeitskollegen schätzen, er habe keinen Gewinn gesucht, sondern "nur gespielt" - vielleicht sogar, um kleinere Verluste zu decken und der Bank damit zu helfen. Er wird strafrechtlich verfolgt; wo er sich aufhält, gab die Bank nicht bekannt.

Immerhin verfügte der junge Banker über genug Erfahrung, um sämtliche internen und externen Kontrollinstanzen zu täuschen. Nach Firmenangaben jonglierte er in der Arbitrage-Abteilung - die Ungleichheiten von Preisen und Kursen ausnützt - mit einem sagenhaften Volumen von 40 bis 50 Milliarden Euro. Meist tätigte er offenbar Termingeschäfte mit Futures. Und wie seinerzeit bei Nick Leeson in Singapur endete sein Abenteuer mit einem Desaster: Die Société Générale verlor nach eigenen Angaben 4,9 Milliarden Euro.

Es bleibt Gewinn

Wie die volumenmäßig drittgrößte französische Bank - nach Börsenkapitalisierung sogar Nummer zwei - mitteilte, wird sie das Geschäftsjahr 2008 immer noch mit einem Gewinn von 600 bis 800 Millionen Euro abschließen. Das ist aber einiges weniger als der in Erwartung gestellte Reingewinn von rund fünf Milliarden. Deshalb gab die Bank bekannt, es werde nun eine Kapitalerhöhung um 5,5 Milliarden Euro angestrebt.

Zudem haben einige Aktionäre offenbar ihr ganzes Geld in der Affäre verloren. Französische, belgische und holländische Börsenanleger reichten eine Klage gegen den Betrüger ein. Bankpräsident Daniel Bouton bot zudem seinen Rücktritt an; der Verwaltungsrat lehnte allerdings ab. Dies geschah zweifellos auch, um die Wellen, die der Skandal in Paris schlägt, nicht zu verstärken.

Der Aktienkurs der SocGén, wie die Bank in Paris genannt wird, musste am Donnerstag vorübergehend vom Handel ausgesetzt werden; nach dem Neustart verlor sie trotzdem stark an Boden. Neben mehreren Verantwortlichen entließ die Bank darauf den Leiter der Aktienabteilung.

Die Bank verweist auf das Geschick und die Erfahrung ihres Mitarbeiters. Dieser hatte zuvor im sogenannten "Middle Office" gearbeitet, wo Finanzspezialisten unter anderem das Risiko von Investitionsprojekten bewerten; ihr wichtigstes Werkzeug ist eine umfassende Datenbank zu Kunden, Markt und Geschäftsabläufen.

Kein Alarm?

Spezialisten bezweifeln diese Darstellung zum Teil. Sie halten es für ausgeschlossen, dass eine einzelne Person über Monate hinweg mit so gewaltigen Geldbeträgen umgehen und mehrere Milliarden in den Sand setzen könne, ohne dass irgendwo der Alarm losging. Im Bereich der Aktienderivate, wo SocGén zu den führenden Namen gehört, seien die Konstrukte äußerst ausgefeilt und mit zahlreichen automatisierten Risikokontrollen vorsehen.

Pariser Medien weisen darauf hin, dass die Société Générale wohl am stärksten von allen französischen Banken im amerikanischen Immobilienmarkt engagiert war und sich am ehesten die Finger an Subprimes verbrennen konnte. Manche Experten schätzten den diesbezüglichen Verlust auf zwei Milliarden Euro. Deshalb taucht in Paris nun die Frage auf, ob der Betrug nicht als Ablenkungsmanöver herhalten müsse. Die Pariser Großbank verteidigt sich, sie habe nichts vertuschen wollen, sondern so schnell wie möglich reagiert.(Stefan Brändle aus Paris/red, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 25.1.2008)