Gertrude Tumpel-Gugerell hat als rote Studentin "die Welt verbessert". Heute übt sie sich als EZB-Direktorin in Konjunkturoptimismus. Das Thema Bawag, für deren Aufsicht sie zuständig war, kommentiert sie nicht.

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Wie die Exbankenaufseherin und heute höchste EU-Bankerin zum Ehepaar Elsner steht, versuchte Renate Graber herauszufinden.

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STANDARD: Ich habe Ihnen etwas mitgebracht. Wollen Sie's auspacken?

Tumpel-Gugerell: Abt Henckel-Donnersmarck haben Sie unlängst ja Tee geschenkt. (Packt ein Buch aus). Ich bin wahrscheinlich nicht bös genug.

STANDARD: Genau. Sie sind Direktorin der Europäischen Zentralbank EZB, höchste EU-Bankerin. Egal, wen man fragt: Sie seien lieb, nett, ohne Ecken und Kanten. Ich glaube, ein bisserl Bösartigkeit kann nicht schaden, darum: "Böse Sprüche für jeden Tag".

Tumpel-Gugerell: Danke. Da muss ich mich bemühen.

STANDARD: Stört Sie diese Charakterisierung? Man könnte meinen, Sie sind überaus angepasst.

Tumpel-Gugerell: Nein, jeder hat seine Art, ich muss mich nicht verstellen. Ich bin eher introvertiert, zeige meine Gefühle nicht unbedingt her. Meine Großmutter und mein Vater waren auch so, wir sind langmütiger.

STANDARD: Apropos Langmut. Die Börsen sind abgestürzt, die US-Notenbank Fed hat, um die Rezessionsgefahr zu bremsen, die Zinsen stark gesenkt. Warum schaut die EZB nur zu?

Tumpel-Gugerell: Wichtig ist das Vertrauen in die Wirtschaftskraft. Ich sehe die europäische Wirtschaft in einer guten Verfassung.

STANDARD: Ich weiß, dass ich Ihnen nicht mehr entlocken werde. Was sagen Sie zum steilen Inflationsanstieg?

Tumpel-Gugerell: Es gibt einen Kostenschub, wir müssen vermeiden, dass der weitergewälzt wird. Unsere Hauptaufgabe ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Insgesamt sehe ich heuer eine Wachstumsverlangsamung, aber keine dramatische Veränderung.

STANDARD: Sie wurden mit 46 OeNB-Vizegouverneurin, mit 52 kamen Sie in die EZB. Hätten Sie diese Karriere auch gemacht, wenn Sie frecher, aufmüpfiger, mutiger gewesen wären?

Tumpel-Gugerell: Schwer zu sagen. Ich glaube, dass ich durchaus Widerstand leisten und mich durchsetzen kann, eben auf meine Art.

STANDARD: Wo haben Sie denn einmal so richtig Widerstand bewiesen?

Tumpel-Gugerell: Das hat es immer wieder gegeben.

STANDARD: Zum Beispiel?

Tumpel-Gugerell: Bei Strategien, Veränderungen und Neuerungen, etwa bei der Mitarbeiterkultur. In der volkswirtschaftlichen Abteilung der OeNB habe ich viel Wert auf wissenschaftliche Fundierung und Internationalität gelegt. Auch in der EZB gibt es Aufgaben, bei denen Widerstand zu überwinden ist - nehmen Sie nur die Schaffung eines einheitlichen Zahlungsverkehrsraums in Europa.

STANDARD: Das Erste, was Sie taten, als Sie mit 22 in die OeNB kamen, war, zu erkämpfen, dass auch die Jungen die "Financial Times" zu lesen bekommen.

Tumpel-Gugerell: Es war die Neue Zürcher Zeitung. Wir Jungtürken hatten spannende Jahre damals. Da war Gerhard Praschak dabei, Hans Prader, heute Währungsfonds, OeNB-Vize Wolfgang Duchatczek.

STANDARD: Praschak wurde Kontrollbank-Vorstand, sollte 1996 in die kleinere Investkredit wechseln, um Exminister Rudolf Scholten Platz zu machen. Er wollte nicht, hat sich letztlich umgebracht. Zu aufmüpfig geworden?

Tumpel-Gugerell: Die Umstände seines Todes sind komplex.

STANDARD: Als Studentin zeigten Sie sogar revolutionäre Ansätze: Sie waren beim Roten Börsenkrach, einer linken Basisgruppe der Uni Wien, mit Willi Hemetsberger, heute BA-CA-Vorstand, oder Ernst Fehr, heute Professor an der Uni Zürich. Sie kommen aus einer Bauernfamilie, waren bei den Englischen Fräulein im strengen katholischen Internat, wo man abends nicht einmal lesen durfte ...

Tumpel-Gugerell: Ich kam mit zehn dorthin, das war eine gute Schule. Aber ich hatte schon auch Heimweh. 40 Betten im Schlafsaal: Da zieht man sich in sich zurück, wird eher introvertiert. Im Studentenheim in Wien hatte ich dann übrigens nach drei Übersiedlungen endlich ein Einzelzimmer ...

STANDARD: Ihr Großvater: VP-Bürgermeister, Ihr Vater: VP-Gemeinderat, Sie landen beim Börsenkrach und in der SPÖ. War Ihre Familie bös auf Sie?

Tumpel-Gugerell: Es gab damals Diskussionen in der Familie.

STANDARD: Gingen Sie mit den Börsenkrachlern auch demonstrieren und plakatieren? Wie ernst war Ihnen das?

Tumpel-Gugerell: Es war mir ernst, es ging um die Verbesserung der Welt.

STANDARD: Und, was haben Sie verbessert?

Tumpel-Gugerell: Ein kleines Stück. Es ist aber viel schwieriger, als man sich's vorstellt.

STANDARD: Bitte konkreter.

Tumpel-Gugerell: Wie man im Arbeitsleben miteinander umgeht, Mitarbeiter führt. Ich habe einen sehr demokratischen Ansatz: Mir ist wichtig, dass man sich über Ziele verständigt, wie man hinkommt, gebe ich nicht vor. Es ist unglaublich, wie stark man Leute begeistern kann, ich sehe das bei diversen Projekten in der EZB: Da gibt es leuchtende Augen.

STANDARD: Wären Sie heute jung, wären Sie Globalisierungsgegnerin?

Tumpel-Gugerell: Wo ich mich engagieren würde, weiß ich nicht. Ich finde es aber wichtig, dass sich junge Leute engagieren, verstehe, dass sie kritische Entwicklungen aufzeigen.

STANDARD: In Deutschland wird gerade die kritische Entwicklung von Managergagen diskutiert. Wo sehen Sie da die Grenzen?

Tumpel-Gugerell: Ich halte kurzfristige Anreize, also die zu starke Orientierung am Börsenkurs, für falsch. Ich glaube aber, dass sich das in den nächsten Jahren im Zusammenspiel von Aktionären und Aufsichtsräten ändern wird, weil die gesellschaftliche Akzeptanz schon auch wichtig ist für die Unternehmen. Nehmen Sie die Debatte um die Schließung des Nokia-Werks: Es ist schwierig, wenn der Konsument den niedrigsten Preis verlangt, aber nicht akzeptiert, wenn das Produkt billig erzeugt wird. Man kann nicht beides haben.

STANDARD: Ein klassisches Dilemma.

Tumpel-Gugerell: Es lässt sich lösen, indem man Problembewusstsein schafft. Im Lebensmittelbereich orientieren sich Konsumenten schon regionaler, kaufen Dinge, die in der Nähe produziert werden. Das ist gesünder und sinnvoller, ermöglicht Strukturen, die auch in unserer Region Lebensmittelerzeugung zulässt. Man wird dazu übergehen, nicht zu jeder Jahreszeit alles zu essen. Spargel aus Thailand im Herbst? Ich kaufe ihn nicht.

STANDARD: Bei der Handy-Produktion ist das alles schwieriger.

Tumpel-Gugerell: Ja, wobei man schon auch sehen muss, dass die Globalisierung einzelnen Ländern viel gebracht hat - gemäß dem volkswirtschaftlichen Wissen: Mehr Handel schafft mehr Wohlstand. Großes Ungleichgewicht entsteht, wenn Produktionsstandorte einfach weiterziehen, Menschen zurückgelassen werden, ohne dass man sich um sie kümmert. Darum gibt es auch ein Umdenken in der Entwicklungspolitik, die kleinräumige Strukturen fördert; Stichwort Mikrokredite für Frauen der Dritten Welt, mit denen sie kleine Betriebe aufbauen können.

STANDARD: Zurück zu den Gagen. Sie verdienen 200.000 Euro im Jahr, welchen Luxus gönnen Sie sich?

Tumpel-Gugerell: Ich schenke und helfe gern. Und ich würde gern mehr reisen.

STANDARD: Sie urlauben aber meist am Wolfgangsee, wenn Sie nicht im Norden sind und Ihr Mann mit Ihnen im Schlitten durch die Gegend rast.

Tumpel-Gugerell: Ja, das war vor ein paar Jahren in Lappland: Er lenkte sechs Hunde, ich saß im Schlitten und hoffte, dass der nicht kippt.

STANDARD: Stichwort Kippen: Sie waren in der OeNB für die Bankenaufsicht zuständig, sagten im Bankenausschuss und im Bawag-Prozess aus. Die OeNB hat 2001 einen Bawag-Prüfbericht verfasst, der im Ministerium verstaubte. Was ging in Ihnen vor, als der Bericht keine Folgen hatte?

Tumpel-Gugerell: Unser Bericht war sehr kritisch. Wir wussten nicht, was das Ministerium konkret damit tut.

STANDARD: Eben. Ich verstehe nicht, warum Sie dem nicht nachgegangen sind.

Tumpel-Gugerell: Wissen Sie, das regt mich schon auf ...

STANDARD: ... oh, Sie werden böse ...

Tumpel-Gugerell: ... weil das Ministerium als selbstständige Behörde dafür zuständig war. Und die OeNB hatte ihre Aufgabe, die sie gut erfüllt hat.

STANDARD: Vor Gericht kam heraus, dass Sie und Ihr Mann, AK-Präsident und Ex-Bawag-Aufsichtsratschef, von Elsner zu den Salzburger Festspielen eingeladen waren und zu privaten Abendessen - just, als die OeNB prüfte. Sie haben, ganz leise, gesagt, dass Sie "als Begleitung" mit waren. Schlechte Idee, dass Sie mitgingen?

Tumpel-Gugerell: Wir haben beide gesellschaftliche Verpflichtungen in unseren Positionen, rückblickend betrachtet, sollte man da noch vorsichtiger sein. Mein Mann und ich trennen das jetzt noch strenger.

STANDARD: War Ihnen dieses "als Begleitung mit gewesen" nicht auch aus emanzipatorischer Sicht zuwider?

Tumpel-Gugerell: Natürlich. Klar.

STANDARD: Sie haben ausgesagt, Sie sprachen daheim "nie über die Bawag". Kann ich mir nicht vorstellen.

Tumpel-Gugerell: War aber so.

STANDARD: Die Bawag - der erste Fleck auf Ihrer weißen Karriereweste?

Tumpel-Gugerell: Was die Notenbank gemacht hat, als ich dafür zuständig war, wurde nie beanstandet, auch der Prüfbericht wurde nie kritisiert.

STANDARD: Ihre Antwort ist "Nein"?

Tumpel-Gugerell: So ist es.

STANDARD: Wieso konnte der Bawag-Skandal geschehen?

Tumpel-Gugerell: Kein Kommentar.

STANDARD: Sie waren mit dem Ehepaar Elsner befreundet?

Tumpel-Gugerell: Ja, wir kennen einander.

STANDARD: Tut Ihnen U-Häftling Helmut Elsner jetzt leid?

Tumpel-Gugerell: Kein Kommentar.

STANDARD: Würden Sie, wie Ewald Nowotny, die Straßenseite wechseln, träfen Sie Elsner auf der Straße?

Tumpel-Gugerell: Ich kommentiere das nicht.

STANDARD: Warum nicht?

Tumpel-Gugerell: Ich will das nicht kommentieren.

STANDARD: Sie sind beruflich mit Bankkrisen groß geworden, kamen 1981, mit 28, als Kapitalvertreterin in den Aufsichtsrat der Länderbank, die wegen fauler Kredite an Klimatechnik und Eumig fast pleitegegangen wäre. Was haben Sie denn daraus gelernt?

Tumpel-Gugerell: Das war eine Mischung aus fraudulösem Verhalten und falscher Risikoeinschätzung. Generell ist es so, dass eine nicht erfolgreiche Strategie nicht auf einen einzelnen Menschen abgewälzt werden darf. Jede Strategie ist ein kollektives Nachdenken und Umsetzen. Auch wenn der, der an der Spitze steht, die Verantwortung trägt.

STANDARD: Ein paar kurze Fragen: Was halten Sie von Macht?

Tumpel-Gugerell: Ist dazu da, dass man sie einsetzt.

STANDARD: Haben Sie viel Macht?

Tumpel-Gugerell: Ich habe Verantwortung.

STANDARD: Gier?

Tumpel-Gugerell: Schlechte Eigenschaft. Ich habe den Eindruck, dass sich in manchen Unternehmen Anreize entfalten, die die Gier fördern; etwa im Zusammenhang mit der Entlohnung.

STANDARD: Letzte Frage: Worum geht's im Leben?

Tumpel-Gugerell: Um leuchtende Augen. Es geht darum, etwas zu machen, was man für sinnvoll hält. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26./27.1.2008)