St. Pölten - Umrundet man mit gutem Entdeckermut das Gebäude des Landestheaters Niederösterreich, steht man irgendwann ganz unvermeidlich vor dem Eingang der Werkstattbühne. Gesichtslose Peripherie-Gebäude flankieren das Heck des schnittigen Theaterdampfers: ein Zersiedelungsbiotop, eigentlich wie geschaffen für Anja Hillings Protection.

Denn die drei Pärchen, die sich in Johannes Mailes Erstaufführungsinszenierung auf einer Spielfläche aus Turnmatten die Füße in den Bauch stehen, kranken an je unterschiedlichen Näheängsten und Distanzbeschwerden. Die Wege zweier Berliner Obdachloser kreuzen sich annäherungsweise. Zwei schwule Swinger können aufgrund der Amputationsneurose des jüngeren nicht zueinander kommen. Ein junger Partygeher muss erkennen, dass die Schäferstunde mit der weiblichen Zufallsbekanntschaft lediglich der Bewältigung eines freilich bedrückenden Vergewaltigungstraumas dient.

Hillings Dialoge verweigern strikt, wie man so schön sagt, jeden "Diskurs". Sie gleichen am ehesten FlaschenpostWurfsendungen. Sie markieren die Endpunkte jeder wohlmeinenden Therapiergesinnung und machen obendrein städtische Prekariatszonen kenntlich. In diesen scheitert Verständigung nicht nur aus ökonomischen Gründen. Es sind vielmehr die zur Verfügung gestellten Sprachmuster, deren überkommene Verlogenheit quer zu jeder gefühlten "Innerlichkeit" steht.

Auf der Matte, zwischen unterschiedlich hoch gehängten Discokugeln, herrscht also eigentlich diskursiver Hoch- und Verschlüsselungsbetrieb. Nur leider kann sich die Regie nicht dazu durchringen, die aus rabenschwarzen Abblenden herauftauchenden, durchwegs tadellosen Schauspieler (Charlott von Blumencron, Klaus Haberl, Oliver Rosskopf) anders denn als Oratoriensprecher zu beschäftigen. Irgendwo auf halbem Wege zwischen "Einfühlung" und Deklamationsernst zerbröseln Hillings Werkstattskizzen zu Spinnweb. Ein Abend nicht zum Kringeln, sondern zum Zerkrümeln. Demnächst fährt diese Koproduktion nach Luxemburg. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 28.01.2008)