In den meisten europäischen Ländern, darunter Österreich, würden wir für die kommenden Jahre eine Geburtenrate von 1,8 Geburten pro Frau sowie eine moderate Zuwanderung brauchen, um die weltweiten Probleme des Klimawandels, der CO2-Emissionen, der Nahrungsmittelproduktion, des Landschaftsverbrauchs halbwegs steuern zu können. Dies sagte am Donnerstag der Wiener Bevölkerungsexperte Wolfgang Lutz beim Risiko:dialog im Radiokulturhaus. Es wurde ihm von den anderen Experten nicht widersprochen.

Im Klartext heißt das: Österreich braucht eine höhere Geburtenrate (derzeit 1,4 pro Frau), aber auch eine höhere Zuwanderung. Leicht gesagt, schwer getan. Zum Beispiel bei den Geburten.

Tatsächlich können familienpolitische Maßnahmen, wie von der ÖVP erst jüngst wieder zusätzlich zum Kindergeld gefordert, ein bisserl was ausrichten. Was die Mehrheit der Politiker offenbar nicht sehen will, ist das reale Verhalten von Männern und Frauen. Lutz zitierte eine Studie, wonach ein Drittel der jungen österreichischen Männer gar keine Kinder wollten. Und es ist hinreichend bekannt, dass Österreich bei den Kinderkrippen im europäischen Ranking schlecht liegt. Will heißen: Den jungen Frauen wird nicht jenes Umfeld geboten, das sie zur Kindererziehung und -betreuung brauchen.

Reiner Klingholz, der Direktor des Berlin-Instituts für Weltbevölkerung, nannte die Lösung: Überall dort, wo es für Männer und Frauen ähnlich gleiche Rechte, Pflichten und Bedingungen gebe, gehe die Geburtenrate hinauf. Deshalb falle beispielsweise in Italien, wo der Vatikan erst jüngst wieder gegen jede Form der Abtreibung mobilisierte, die Geburtenrate weiter. Der Grund: Das Umfeld stimmt nicht. Dieselben Kräfte, die gegen Pille und Kondom auftreten, wollen in Wirklichkeit auch keine Berufstätigkeit der Frau, solange die Kinder nicht mündig sind. Und das geht sich halt nie und nimmer aus.

Umso mehr als Wirtschaft und Industrie ständig von "flexiblen Arbeitszeiten" zum besseren Kostenmanagement reden, die konservativen Parteien aber gleichzeitig die "heile Familie" zum Himmel halten. Ein Zynismus sondergleichen.

Das Elend der Politik trat beim Risiko:dialog auch in Sachen Klimawandel zutage. Wie haben sie doch alle geschluchzt, vom Bundeskanzler angefangen, als im Vorjahr die UN-Klimaberichte publiziert wurden. Wie wir uns nicht alle anstrengen (und einschränken) müssten.

Jetzt, da die EU (ohnehin gemäßigte) Vorgaben macht, welche die Österreicher pro Jahr und im Schnitt 156 Euro kosten, da wurde - auch in manchen Medien - so getan, als hätte man in Brüssel einen neuen Raubzug ersonnen. Alfred Gusenbauer wollte sich in Sachen erneuerbarer Energie nicht einmal mehr auf das Regierungsprogramm festlegen, und die Industrie tat so als würde ihr der Hals abgedreht. Wir alle vergessen jedoch, dass jahrzehntealte Sünden irgendwann bezahlt werden müssen.

Politiker, die es mit sich selbst und mit ihren Wahlreden ernst meinen, werden sich zu unpopulären Maßnahmen verpflichten müssen. Das beginnt bei frauenpolitischen Initiativen, setzt sich fort bei Teuerungen im Autoverkehr und reicht bis zu den Lebensmitteln, wo man nicht "Bio-Eier" um den Preis von Batterie-Produkten bieten kann.

Das alles hat massive soziale Konsequenzen. Stichwort: Grundeinkommen. Ein großes Paket. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, Printausgabe, 28.1.2008)