Forschung & Geschlecht
Gefahr aus der Männerforschung
Frauen wurden bei der Erprobung von Medikamenten vernachlässigt
Die Unterschiede in der Wirkung von Medikamenten bei Frauen und Männern können dramatisch sein.
Darüber referierte Mary J. Berg, eine der führenden Forscherinnen auf diesem Gebiet, beim
Weltkongress der Pharmazie in Wien.
"Wir sehen gerade einmal die Spitze eines Eisberges": Mary J. Berg, Professorin für Pharmazie an der Universität Iowa, weiß
um die Sprengkraft eines neuen, geschlechtsspezifischen Forschungsansatzes in Pharmazie und Medizin, der zeigt, dass
bei Männern und Frauen Medikamente in dramatischem Ausmaß unterschiedlich wirken.
Berg, mittlerweile eine der führenden US-Forscherinnen auf diesem Gebiet, hatte von Anfang an gegen Unverständnis und
Anfeindungen der - zumeist - männlichen Kollegenschaft zu kämpfen: "Bereits 1980 arbeitete ich an klinischen Studien über
die Wechselwirkung zwischen einem bestimmten Epilepsiepräparat und Vitaminen und wollte dabei speziell Frauen testen."
Doch es dauerte mehr als acht Jahre, bis es ihr erlaubt war, diese Studien an weiblichen Probanden durchzuführen. Das
Risiko einer möglichen Schwangerschaft während des Medikamententests schien den Wissenschaftern zu hoch. Viele
Medikamente wurden vor ihrem Einsatz daher auch nie an Frauen erprobt - mit tödlichen Folgen: An den Nebenwirkungen
eines beliebten Allergiemittels starben signifikant mehr Frauen als Männer. Erst danach wurden Untersuchungen
vorgenommen, die zeigten, dass es vor allem das männliche Hormon Testosteron ist, das Männer besser schützt.
40 Medikamente bekannt, die tödliche
Herzrhythmusstörungen hervorrufen können
Mittlerweile weiß die Wissenschaft von 40 Medikamenten, darunter auch gern verschriebenen Antibiotika, die tödliche
Herzrhythmusstörungen hervorrufen können. Zehn davon wurden genauer untersucht und bei allen zeigte sich ein doppelt so
hohes Risiko für Frauen. Entscheidend für die unterschiedliche Wirkung von Medikamenten bei Mann und Frau ist neben den
Hormonen auch der Stoffwechsel: Die weibliche Leber enthält beispielsweise größere Mengen des Enzyms CYP3A4, das für
den Abbau von mehr als der Hälfte aller Medikamente verantwortlich ist. Viele Wirkstoffe werden daher von Frauen rascher
abgebaut. Berg: "Das heißt aber nicht unbedingt, dass Frauen von vornherein eine höhere Dosis brauchen. Unterschiede in
der Empfindlichkeit gegenüber einem Medikament können den Effekt wieder wettmachen."
Die US-Forscherin sieht sich aber
vor allem in einem bestätigt: "Der Satz: ,one drug - one dose' hat längst seine Gültigkeit verloren." Der kleine Unterschied
manifestiert sich auch in den Hirnregionen und hat Konsequenzen für eine breite Palette an Medikamenten: Immerhin
entfalten dort neben Narkosemitteln auch Schmerzmittel, Antidepressiva und Neuroleptika ihre Wirkung - aber eben
unterschiedlich intensiv bei Mann und Frau.
Druck auf die Pharmakonzerne
Die amerikanische Gesundheitsbehörde NIH nimmt die Geschlechtsunterschiede mittlerweile sehr ernst. Gemeinsam mit der
Heilmittelkontrolle FDA verstärkt sie den Druck auf die Pharmakonzerne, ihre Medikamente gezielt nach
Geschlechterdifferenzen zu testen. Berg: "Das bedeutet nicht, dass alle Studien doppelt gemacht und daher sehr teuer
werden müssen, sondern einfach nur, dass Frauen in die Studien integriert werden." Der neue Weg in der Forschung im
Medikamentenbereich wird dann dafür sorgen, dass in naher Zukunft eine geschlechtsspezifische Medikation Einzug in alle
Arztpraxen halten wird.
Gabriele Brandner
Diese Serie entsteht, anlässlich des von 26.- 31. August in Wien stattfindenden 60. Internationalen Kongresses der Pharmazie, in
Kooperation mit der Österreichischen Apothekerkammer.
(D
ER
S
TANDARD
, Print-Ausgabe, 31.08.2000)