Eigentlich ging es nur um ein einfaches Mittagessen. Aber hätten wir uns nicht vor dem Dessert losgerissen, wir hätten glatt die Öffnungszeiten der Certosa von Pavia verpasst, und die hat – absolut zurecht – im Baedeker immerhin als "Top-Reiseziel" zwei Sterne.
Aber was sind zwei Sterne gegen reihenweise drei von drei Rufzeichen in der Schmecks-Wertung? Und: Wenn man die Traumfrau entdeckt, kann man schon mal ein Topreiseziel auslassen, oder? Doch meine ebenso charmante wie kulturbeflissene Begleitung ließ jedes Verständnis dafür vermissen.
So einfach ließ uns Ines nicht ziehen: Als ich mich von ihr vorzeitig, also vor der Nachspeise, mit Händen, Füßen und ein paar gemurmelten Brocken Italienisch verabschiede und mit dem Kulturprogramm entschuldige, da hechtet die von mehr als 60 Jahren in der Küche ihres Wirtshauses schon recht gebeugte alte Dame zum (übrigens sehr modernen) Backofen, reißt die Türe auf, nimmt ein Stück ihres unglaublich saftigen Schokonusskuchens heraus und wickelt ihn in Silberpapier – nein, nicht vor einem Sprint zurück zum Ofen, und noch einem Stück, weil eines nur, das geht ja gar nicht. Wenn's um die Sättigung geht, macht Ines keine halben Sachen. Gut, satt war ich eigentlich schon länger.
Illuminierter Mann
Aber der Reihe nach: In downtown Pavia macht mir die Skulptur vom "Uomo illuminato" Durst, gleich darauf übermannt mich der Hunger. Inverno e Monteleone liegt nicht gerade auf unserem Weg, aber der Osteriaführer berichtet von Ines und ihren Taten, und ich hab das Handy schon in der Hand und radebreche etwas von 13 Uhr, Tisch für zwei, bitte, bitte!
Klar, für Sie doch gerne, Sie waren ja eh schon da, höre ich verwundert. Nicht einmal in der tiefsten lombardischen Ebene kann man unerkannt essen gehen. Aber nein: Die österreichische Vorwahl hatte offenbar schon einmal ein Gast, der, wie ich vermute, durch gründliches Aufessen und große Begeisterung auffiel. Nein, der bin ich nicht, aber, ja, das kann ich auch! Alla una, oder wie man da korrekt sagt.
Wurst, wunderbar
Als wir 20 nach eintrudeln (wieder einmal verfranzt und am ziemlich unscheinbaren "Righini"-Schild vorbeigebrettert), werden wir schon sehnsüchtig erwartet. Bei Ines heißt es – und jetzt alle! Nichts für Individualisten (wobei, in der Menge findet sich für jeden etwas, Vegetarier bleiben aber eher hungrig, wenn sie mehr als Brot und Salat und Käse brauchen). Wir haben tatsächlich den letzten freien, zwischen die riesigen (und bis auf den letzten Platz vollen) Tafeln gezwängten Minitisch. Danke, Signore!
Damit die Dutzenden italienischen Großfamilien an den langen Tafeln nicht darben müssen, bis die Ösis kommen, stehen schon Cacciatore, hauchdünner Parmesan und eingelegter Paprika und Karfiol auf den Tischen. Und Hauswein, ein deutlich perlender, nicht sehr süßer Roter, der jetzt nicht unbedingt auf meine Bestenliste muss. Aber geht schon. Und dann geht's richtig los: Lardo, Polpettine (Fleischlaibchen), Geselchtes, Cotechino (Kochwurst), wunderbar.
Traumhafte Ravioli mit Brasato und ganz anständige mit Kräuterfülle (Obacht, Vegetarier!), Risotto mit Salsicce, ziemlich gut, und die Penne mit Capriolo (Reh), toppt noch die Braten-Ravioli. Für die Penne kommt Ines selbst mit dem Servierwagerl in den Speisesaal und verteilt die Portionen. Szenenapplaus, jedenfalls von Fidler (die andern kennen das Programm ja offenkundig), langsam pappsatt, aber glücklich. Doch jetzt nicht schwächeln!
Saftigstes Kaninchen
Denn Ines kommt gleich wieder zum Verteilen: Kaninchen al forno, sehr, sehr saftiger Haxen, eines der besten seiner Art in meinem auch nicht mehr ganz taufrischen Leben. Nur die Brust ein bisschen trocken seine Brust. Ich versteh immer weniger, warum ich so lange bei kleineren Viechern wie Huhn unbedingt Brust und keinesfalls Keule wollte. Liegt wahrscheinlich daran, dass die Brust einfach abstrakter aussieht als das Fleisch am Schenkelknochen oder gar am Flügel.
Ein Hauptgang? Pah! Flinkes Personal offeriert noch Roasbeef (sehr fein) und Perlhuhn mit Leberfülle (sapperlott!). Für Vegetarier gibts außerhalb des Programms einen großen gemischten Salat und Bratkartoffel. Aber meine Begleitung ist ohnehin schon vom Beobachten nicht mehr hungrig.
Wie war das mit der Kartause von Pavia? Schon bald 16 Uhr? Scusi, Signora Ines, wirklich traurig, aber wir müssen los, die Kultur. Aber danke für den Schokokuchen! Und für eines meiner wunderbarsten Mittagessen. 25 Euro pro Person (allerdings auch für Vegetarier) inklusive Wein, Wasser, Kaffee find ich dafür nun wirklich nicht übertrieben.
Kontrastprogramm
PS: Ein Kontrast zu Ines' einfacher, aber großartiger Küche: Prato Gaio in Montecalvo im Weingebiet Oltrepo Pavese, ausgesucht nicht zuletzt wegen der Gästezimmer. Die haben übrigens schon ein paar Jahrzehnte, vor allem bessere, hinter sich, fanden wir heraus
Prato Gaio ist gut, konnte uns mit seiner aufwändigeren Küche aber halt nicht restlos begeistern. Duls in Brusc, etwas trockene Perlhuhnbrust mit würziger, senfiger Sauce. Das Zwiebeltörtchen mit Fischstücken, dazu Kichererbsencreme im Gläschen mit frittierter Sardine, eigentlich ganz gut. Subir die ravioli (wenn wir das wie alle anderen Gerichte korrekt notiert haben), wieder mal in brodo, Suppe also, erinnert mich ein bisschen an die Knorr Fleischklösschensuppe meiner Kindheit, aber halt schon ein deutliches Stück besser. Der angekündigte Rotwein dürfte sich in der Fleischfülle verstecken.
Der geschmorte Baccala mit Zwiebeln und Rosinen bekommt ein Rufzeichen, die Prato-Version der für die Gegend typischen Cassuela, im Wesentlichen Schwein mit Kohl, hat sogar mir ein bisschen zuviel Fett und Knochen, aber geschmacklich schon gut. Mir ist Ines halt lieber. Um Häuser.