Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war vorhin. Da stolperte E. in der U-Bahn über den Hund. Und weil wir einander – also E. und ich – in unserer Morgenduseligkeit zuerst nicht angesehen und also auch nicht erkannt hatten, war das ganz gut so. Schließlich war E. früher Teil meines weiteren Freundeskreises gewesen. Und zwar des nachtaktiven Segmentes: E. war DJ. Er hatte schon Platten aufgelegt, bevor jeder, der Mädchen beeindrucken wollte sich zwei Technicslaufwerke in die Wohnung stellen musste. Und er legt immer noch auf.

E. war aber nie einer dieser Mix-Typen gewesen. Seine Spezialität waren immer die Gitarren, das erdige und das rockige gewesen. Damit und davon hatte er ganz gut gelebt. Das echte Geld hatte er aber damit verdient, bei Firmenfeiern aufzulegen: Dort wollte – und will man jemanden haben, der einen coolen Namen hat weil er in irgendwelchen angesagten Clubs auflegt, der aber trotzdem nicht die Krise bekommt, wenn der Vorstand sich dann Uriah Heep wünscht. Oder die Personalchefin gemeinsam mit dem Betriebsrat alle Mitarbeiter bei der Rocky Horror Picture Show auf der Tanzfläche sehen will.

Kein Selbstverwirklicher

E. war immer genau der Typ für so was: "Die Leute kriegen das, was sie wollen – sie zahlen ja auch gut dafür." Zum Selbstverwirklichen und Ausprobieren, sagte er immer, habe er in den Clubs in denen er auflegte ja ohnedies die Zeit nach halb drei Uhr morgens. Da sei es, war E., der Pragmatiker, nämlich in der Regel wurscht, was er auflege: "Entweder sind die Leute dann schon voll drin oder abgestürzt und am Heimweg. Oder so betrunken, dass sie sogar zu La Boum stagediven würden."

Nachdem E. sich aber aus der Leine entheddert hatte, sprach er mich auf die letzte Stadtgeschichte an. Und meinte, ich solle nicht so streng mit den jungen Leuten sein. Schließlich hätten wir es doch nicht anders gemacht. Damals.

Irrtumboys

Ich verstand nicht: Wir? Bis auf ein paar durch und durch klägliche Auflegeversuche mit P., (der im Übrigen heute immer noch beim angeblichen Jugendfunk werkelt) hatte ich mich von Mischpulten immer fern gehalten. Und – das hatten die unbewusst unter dem bezeichnenden Namen "Irrtumboys" (nach einem uralten EBM-Track) stattgefundenen DJ-Blamagen bewiesen – das aus gutem Grund. Und mit E. hatte ich nie aufgelegt: P. und ich hatten in der ersten Rave-Phase eine Mischung aus Paul Oakenfolds Frühwerk und den Happy Mondays und ähnlichem frühen Manchester-Hacienda-Zeugs verwurstet.

Aber E. wusste es besser Einmal, erinnerte er mich, sei ich sehr wohl mit ihm "in der Kanzel" gestanden. Damals, bei der Weihnachtsfeier. Und dann klingelte es bei mir: Ich hatte E. einmal begeleitet. Er sollte die Weihnachtsfeier des Österreichzweiges eines Automobilkonzerns beschallen. Und alleine nach Salzburg zu fahren, hatte er gemeint, wäre wohl ein bissi fad. Also kam ich mit.

Firmensitz

Die Party fand im Firmenhaus statt: Autokonzerne haben eben Platz. E. spielte furchtbare Sachen. Unter anderem und ungefragt Uriah Heep, Bob Marley und Fendrich. Wir bekamen Pickel in den Ohren – aber die Leute liebten E.s Musik. Um eins waren alle betrunken – und die Tanzfläche bummvoll. Kurz nach zwei wollte E. dann Pause machen. Irgendein Mädchen hatte schon eine halbe Stunde ständig erklärt, sie wolle E. ihren Arbeitsplatz zeigen – und E. hatte immer zugegeben, dass er vor allem wegen solcher Angebote DJ geworden war.

Er bat mich zu übernehmen. Ich verweigerte: Ich hätte keine Ahnung von seinen Platten. Und von Musik eigentlich auch nicht. Aber E. lachte mich aus. Dann zeigte er mir drei Platten, die ich bitte eifrig auf den Decks wechseln und herumbugsieren sollte – der Rest, geschähe automatisch. Ich war baff.

Minidisc

Unter dem Mischpult stand E.s Minidiscplayer (es war die Prä-MP3-Zeit). Ein Kabel lief zum Mixer. Der Minidiscplayer lief . Gleich daneben stand eine kleine Kiste. In der waren etwa 20 Minidiscs. Fein säuberlich beschriftet: "Roxy 17.8.", "U4 26.5.", "Iceberg 14.9." und so weiter. Auch ein paar Firmenfeiern-Mitschnitte lagen da. Derzeit, sagte E., liefe gerade die Weihnachtsfeier eines Papierhändlers aus dem Vorjahr. Eine gute, gelungene Party. Für dieses Publikum geradezu ideal – heuer hätten schon zwei Anwaltskanzleien, ein großer Verlag und eine sehr sehr große Textilfirma dazu abgerockt.

Bis heute, erzählte mir E. in der U-Bahn, arbeite er so. Aufgeflogen sei er noch nie. Und – knuffte er mich männerkumpelig in die Schulter – er habe noch jedes Mal die Zeit gefunden, sich die Arbeitsplätze netter Damen anzusehen.(Thomas Rottenberg, derStandard.at, 31. Jänner 2008)