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Der Anzeige mit genauer Adresse von Wolfgang Priklopil wurde nicht nachgegangen

Foto: APA/ HELMUT FOHRINGER
Wien - Die Entführung von Natascha Kampusch hätte im April 1998 nach sechs Wochen beendet sein können. Denn wenn die Vorwürfe des abgesetzten Bundeskriminalamtschefs Herwig Haidinger vor dem Innenausschuss stimmen, gab es schon kurz nach dem Verschwinden der Schülerin den präzisen Hinweis eines Polizeibeamten auf Wolfgang Priklopil und das Haus in Strasshof, in dem die heute 19-Jährige 3096 Tage lang festgehalten worden ist.

Am 14. April meldete ein Diensthundeführer der Polizei nach Haidingers Darstellung dem Wiener Sicherheitsbüro Folgendes: "Betreffend der Fahndung nach dem weißen Kastenwagen mit dunklen Scheiben im Bezirk Gänserndorf in Bezug zur Abgängigkeit der Kampusch, Natascha, gibt es in Strasshof/Nordbahn eine Person, welche mit dem Verschwinden in Zusammenhang stehen könnte und auch in Besitz eines weißen Kastenwagens Marke Mercedes mit abgedunkelten Scheiben ist.

"Soll einen Hang zu Kindern haben"

Dieser Mann sei ein sogenannter Eigenbrötler, welcher mit seiner Umwelt extreme Schwierigkeiten habe und Kontaktprobleme habe. Er soll gemeinsam mit seiner Mutter in Strasshof/Nordbahn, Heinestraße 60, wohnen ... Vor dem Areal Heinestraße 60 soll öfters sein weißer Kastenwagen, Marke Mercedes ... stehen. Eventuell lebt der Mann mit seiner betagten Mutter in diesem Haus und soll einen Hang zu ,Kindern' in Bezug auf seine Sexualität haben."

Weisung vom Kabinett

Haidinger will von der Anzeige erst erfahren haben, nachdem Kampusch am 23. August 2006 die Flucht gelungen war. Der Bundeskriminalamtschef plante eine Evaluierung der Ermittlungen, um künftig Fehler zu vermeiden. Als er auf die offenbar ignorierte Anzeige stieß, habe er das Kabinett über diese und eine weitere Ermittlungspanne informiert.

Sein Plan, den Diensthundeführer nochmals zu befragen wurde Haidinger zufolge unterbunden. Bernhard Treibenreif, Chef der Antiterroreinheit Cobra und damals dem Kabinett zugeteilt, habe ihm das mittels Weisung untersagt. Begründung: Die Ministerin wolle nicht, dass diese Person jetzt vernommen werde, weil "dann diese Sache bekannt werden würde" und "wir keinen Polizeiskandal vor der Nationalratswahl wollen". Treibenreif war für eine Reaktion auf diese Vorwürfe für den Standard nicht erreichbar.

Edelbacher: Aufklärung des Fehlers "möglich"

Der ehemalige Chef des Wiener Sicherheitsbüros, Maximilian Edelbacher, kann sich im Gespräch mit dem Standard an die damalige Anzeige "nicht erinnern". Er könne auch nicht sagen, ob sie über seinen Schreibtisch gegangen sei oder gleich an die zuständige Ermittlergruppe. "Wenn so ein Fehler passiert ist, gehört er aufgeklärt. Anhand der Protokolle und Akten müsste das möglich sein", ist er sich sicher. Gleichzeitig stellt er die Frage, warum das Bundeskriminalamt, das von 2002 bis 2006 den Fall Kampusch betreut hat, die Anzeige nicht schon früher entdeckt hat.

Kampuschs Anwalt Gerald Ganzger bezeichnet Haidingers Vorwürfe jedenfalls als "schwere Bombe". Habe es tatsächlich direkte Anhaltspunkte gegeben, die auf den Kidnapper gedeutet hätten, wäre dies "atemberaubend", meinte Zanger am Dienstag zur APA. In diesem Fall hätte das seiner Mandantin "wichtige Jahre gekostet". (moe, APA, DER STANDARD Printausgabe, 6.2.2008)