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Ist den Armen mit einem 100-Euro-Schein schon geholfen – jedenfalls nicht, wenn es sich, wie bei der abgebildeten Note, um eine Blüte handelt. Foto: dpa

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Der "Gusi-Hunderter" sei Almosenpolitik, urteilte Minister Bartenstein, "und das spricht leider für sich selbst". – Versuch einer Klärung, warum man sich bei der Ausschüttung größerer Summen weitaus weniger zimperlich zeigt.

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Wieder einmal stehe ich vor einer jener Gewissensentscheidungen, die man täglich in der Wiener U-Bahn zu treffen hat – soll ich das Restgeld, das nach dem Kauf der Zeitung mit dem engen Horizont noch in meiner Tasche klimpert, dem Obdachlosen nun schenken oder nicht? Der Generalpräventionsgedanke ("Viele Fahrgäste fühlen sich belästigt...") kämpft mit dem Mitleid, das Mitleid, ja, ich gebe es zu, mit einem Anflug von Geiz.

Quälende Unschlüssigkeit macht sich breit.

Da fällt mein Blick auf meine Zeitung und ein Zitat des christlich-sozialen Ministers Bartenstein, der sich heftig gegen den Vorschlag einer Einmalzahlung von hundert Euro als Inflationsausgleich für Niedrigeinkommensbezieher ausspricht: "Was derzeit diskutiert wird, ist eine Almosenpolitik, und das spricht leider für sich selbst!" Eine Almosenpolitik, die für sich selbst spricht? Was meint der Minister wohl damit? Vielleicht das Folgende: Armen Leuten ein Almosen zu geben, bedeutet in kränkender Weise, die eigene ökonomische Überlegenheit zu zelebrieren. Herr Bartenstein macht uns auf subtile Weise klar: Auch arme Leute haben ihren Stolz. Vielleicht ist dieser Stolz sogar das Einzige, was sie haben, und den darf man ihnen daher auf keinen Fall nehmen. Schon gar nicht durch eine einmalige, beleidigende Gabe von hundert Euro. Und außerdem, hundert Euro, ich bitte Sie, das reicht doch nicht einmal für zwei Tankfüllungen!

Besser ist es, reichen Leuten etwas zu schenken. Viel besser. Die sind nämlich nicht so rasch beleidigt.

Mit Millionen helfen

Denn es handelt sich ja nicht um Almosen, dazu sind die Beträge, um die es für den Einzelnen geht, viel zu hoch. Da wären zum Beispiel die zwanzig Millionen Euro – einmalige(!) – Hilfe für 335 (in Worten: dreihundertfünfunddreißig) Agrarier zu nennen, die sich beim Biogas-Investment mächtig verkalkuliert haben, weil – so seltsam ist die Agrarwelt – der Biosprit zu hoch subventioniert wird. (Ein hübsches Beispiel, wie sich agrarische Subventionen gleichsam durch unterirdische Knollenbildung fortpflanzen...)

Auch jenen Waldbesitzern, die nicht ahnen konnten, dass es Stürme und eine private Schadensversicherung gibt, muss natürlich "rasch und unbürokratisch" mit ein paar Millionen einmalig geholfen werden. Almosenpolitik? Natürlich nicht, denn ein großer Teil jener, die das Geld unterschiedslos kriegen, braucht es ja eigentlich gar nicht. Daher kann es sich definitionsgemäß um kein Almosen handeln.

Kein Almosen ist selbstverständlich auch die Streichung der Erbschafts- und Schenkungssteuer – eine gute Sache, fürwahr: Wir leiden ohnehin bereits unter einem spürbaren Mangel an dynastisch verwurzelten Sprösslingen mit schmückenden Beinamen wie "der Fünfte", "der Vierte", "der Siebzehnte". Die einzigartige Arbeitsleistung, den richtigen Testikeln entsprungen zu sein, muss sich endlich wieder lohnen.

Vielleicht habe ich den Minister ja missverstanden. Vielleicht tritt Herr Bartenstein nur, ungeschickt verklausuliert, für einen grundsätzlichen Anspruch auf Kaufkraftsicherung ein und ist bloß gegen eine unsystematische Ad-hoc-Diskussion. Die Anerkennung eines prinzipiellen Rechts auf Ausgleich des abrupten Kaufkraftschwundes für die Ärmsten wäre allerdings das genaue Gegenteil einer Almosenpolitik. Das wäre dann wohl "Sozialpolitik" alten Stils. Und man könnte wieder sachlich über die notwendige Höhe eines solchen Ausgleichs (und dessen ökonomischen Sinn) diskutieren.

Aber ich fürchte, ich habe den Minister richtig verstanden: Diese edle Seele will die Armen nicht durch Almosen kränken. Ach ja, ob ich selbst das Restgeld gespendet habe? Das bleibt mein Geheimnis. (Herbert Walther, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.02.2008)