Wien - Eines ist gewiss: Die Unabhängigkeit des Kosovo wird nicht nur von der albanischen Bevölkerung der südserbischen Provinz bejubelt werden. Separatisten in anderen Teilen Europas freuen sich über den "Präzedenzfall", für den die internationale Gemeinschaft nach Ansicht des serbischen Präsidenten Boris Tadic "einen unerschwinglichen Preis" zahlen wird. So sieht etwa die Terrororganisation ETA in der Unabhängigkeit des Kosovo den Beweis dafür, dass ihr Kampf für einen unabhängigen Baskenstaat "keine Utopie" ist.

Dagegen betont der deutsche Völkerrechtler Jochen Frowein, man könne nicht alle Nationalitätenkonflikte über einen Kamm scheren. Der Kosovo unterscheide sich schon allein durch die jahrelange internationale Verwaltung, die zum Schutz der Kosovo-Albaner eingerichtet worden war, von anderen Minderheitenkonflikten. Im Folgenden ein Überblick über die zum Teil seit Jahrzehnten schwelenden Konfliktherde in Europa.

  • BASKENLAND: Das Baskenland umfasst Gebiete in Nordspanien und dem Südwestzipfel Frankreichs von der Größe Sloweniens (20.664 Quadratkilometer). Von den drei Millionen Einwohnern des Baskenlands (davon 2,5 Millionen in Spanien) sprechen jedoch nur 700.000 bis 800.000 die baskische Sprache. Der bewaffnete Kampf der baskischen Untergrundorganisation ETA für einen unabhängigen Baskenstaat begann in den 1960er Jahren während der faschistischen spanischen Franco-Diktatur. Nach dem Übergang zur Demokratie gaben sich die Separatisten mit der 1979 eingerichteten weitgehenden Autonomie des Baskenlands innerhalb Spaniens nicht zufrieden. Der Kampf der ETA hat bisher mehr als 800 Todesopfer gefordert. Um den Separatisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat die von gemäßigten Nationalisten geführte baskische Regionalregierung für Oktober 2008 ein Referendum über die Unabhängigkeit der Region angekündigt, doch wurde dieser Plan von Madrid als verfassungswidrig zurückgewiesen. Umfragen zufolge sind die meisten Bewohner für einen Verbleib der Region bei Spanien.

  • KATALONIEN: Die Region (7,2 Millionen Einwohner, mit 32.114 Quadratkilometer doppelt so groß wie die Steiermark) gilt als Wirtschaftslokomotive Spaniens. 1978 erhielt Katalonien den Autonomiestatus zurück, den es bis ins 18. Jahrhundert innerhalb Spaniens hatte. Trotzdem sehen viele Bewohner der Region ihre Identität bedroht, vor allem wegen des Zuzugs Hunderttausender Bürger aus Südspanien in den vergangenen Jahrzehnten. Die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien sind seit dem Regierungseintritt der separatistischen "Republikanischen Linken" (ERC) im Aufwind. Ihr Chef Josep-Lluis Carod-Rovira, der auch Stellvertreter von Regionalpräsident Jose Montilla ist, hat sich erst vor wenigen Monaten für ein Unabhängigkeitsreferendum bis zum Jahr 2014 ausgesprochen. Die katalanische Sprache wird von knapp acht Millionen Menschen in Katalonien, den benachbarten Regionen Valencia und Aragon sowie auf den Balearen, in Südostfrankreich und Andorra gesprochen.

  • SCHOTTLAND: Seit dem Sieg der separatistischen Schottischen Nationalpartei (SNP) bei der Regionalwahl im Mai 2007 stehen die Zeichen auf eine Unabhängigkeit der von 5,1 Millionen Menschen bewohnten Region, die fast so groß wie Österreich ist (78.772 Quadratkilometer). Die SNP-Regionalregierung hat nämlich für 2011 ein Unabhängigkeitsreferendum versprochen. Vom Rest Großbritanniens unterscheidet sich Schottland durch seine bedeutende katholische Minderheit und den stärker ausgebauten Sozialstaat. Bis 1707 war Schottland ein eigenes Königreich und ein großer Teil der Bevölkerung hat sich nie mit der Vereinigung mit England abgefunden. Der Fund reichhaltiger Ölvorkommen vor der schottischen Küste trug in den vergangenen Jahrzehnten zum Erstarken der Unabhängigkeitsbewegung bei. Als Reaktion darauf gewährte die Labour-Regierung Schottland im Jahr 1997 eine bescheidene Autonomie und setzte ein eigenes Regionalparlament ein.

  • NORDIRLAND: Der jahrzehntelange blutige Konflikt zwischen pro-britischen Protestanten und den Anschluss an Irland fordernden Katholiken, der 3.500 Todesopfer forderte, wurde im Jahr 1998 mit dem "Karfreitags-Abkommen" grundsätzlich beigelegt. Die politischen Streitigkeiten gingen jedoch weiter und erst im vergangenen Mai gelang es, eine paritätisch besetzte Regionalregierung zu bilden. Bei den Regionalwahlen 2007 gewannen auf beiden Seiten die radikalen Gruppierungen, und die katholische Sinn Fein tritt weiterhin für eine "Wiedervereinigung" der zu Großbritannien gehörenden Region (1,7 Mio. Einwohner, mit 13.843 Quadratkilometer etwas größer als Tirol) mit Irland ein.

  • FLANDERN: Der bevölkerungsreichere und wohlhabendere der beiden belgischen Landesteile von der Größe Tirols (13.522 Quadratkilometer) strebt schon seit längerem nach mehr Autonomie. Vielen der 6,2 Millionen Flamen sind die milliardenschweren Transferzahlungen für die von hoher Arbeitslosigkeit geprägte französischsprachige Wallonie ein Dorn im Auge. Seit der Parlamentswahl im vergangenen Juni steckt Belgien in einer politischen Krise, weil Wahlsieger Yves Leterme von den flämischen Christdemokraten für seine weitgehenden Autonomiepläne keine Mehrheit findet. Der ausländerfeindliche und rassistische Vlaams Belang fordert daher eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der Region, die etwas kleiner als die Steiermark ist. Ein Problem ist dabei jedoch der Status der Hauptstadt Brüssel. Sie ist von Flandern umgeben, aber mehrheitlich französischsprachig. Daher kursiert bereits der Vorschlag, die Stadt als Sitz der EU-Institutionen zu einem "District of Europe" nach Vorbild der US-Bundeshauptstadt Washington zu machen.

  • KORSIKA: Seit mehr als drei Jahrzehnten kämpfen korsische Separatisten für eine Unabhängigkeit der "Insel Napoleons", die seit Mitte des 18. Jahrhundert zu Frankreich gehört. Sie verübten jährlich Hunderte Anschläge gegen Verwaltungsgebäude und Ferienhäuser, was den Tourismus als wichtigsten Erwerbszweig der Insel stark in Mitleidenschaft zog. Daher wird der Separatismus mittlerweile von vier Fünftel der Korsen abgelehnt, und im Jahr 2003 stimmte die Inselbevölkerung sogar mit 51 Prozent gegen ein Autonomiestatut, für das die Pariser Zentralregierung und die Unabhängigkeitskämpfer in seltener Einmütigkeit geworben hatten. Mit 8.680 Quadratkilometer ist Korsika etwa so groß wie Kärnten, hat aber nicht einmal halb so viele Einwohner (281.000). Da Korsika viele Jahrhunderte unter italienischem Einfluss stand, ist die korsische Sprache eng mit dem Italienischen verwandt. Von 1755 bis 1769 war Korsika ein eigenständiger Staat.

  • NORDZYPERN: Nach jahrelangen ethnischen Spannungen auf der Mittelmeerinsel diente ein von Athen gesteuerter Militärputsch im Jahr 1974 der Türkei als Anlass, den Nordteil der Insel zu besetzen. 160.000 griechische Zyprioten flohen in den Süden, rund 50.000 Türken in den Norden. Etwa 1.800 Menschen kamen ums Leben. Im Jahr 1983 erklärte sich die "Türkische Republik Nordzypern" für unabhängig, doch wurde sie nur von Ankara anerkannt, das 40.000 Soldaten auf der Insel stationiert hat. Mehrere Anläufe zur Wiedervereinigung der beiden Landesteile scheiterten, jüngst 2004, als die griechischen Zyprioten kurz vor dem EU-Beitritt Zyperns einen entsprechenden Plan von UNO-Generalsekretär Kofi Annan ablehnten. Nordzypern ist in Größe und Bevölkerungszahl etwa mit dem Burgenland vergleichbar: 264.000 Menschen leben auf 3.355 Quadratkilometern. Die Türkei soll seit der Invasion schätzungsweise 100.000 Festlandtürken auf der Insel angesiedelt haben. Auf der von UNO-Soldaten überwachten Demarkationslinie zwischen den beiden Inselteilen kam es immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen.

  • KURDISTAN: Die Schaffung eines Kurdenstaates war im Friedensvertrag von Sevres (1920) mit dem Osmanischen Reich vorgesehen, doch erreichte die Türkei drei Jahre später eine Revision dieser Bestimmung. Damit sind die 26 Millionen Kurden, deren Siedlungsgebiet sich auf Teile der Türkei, des Irak, des Iran und Syriens erstreckt, immer noch die größte Nation der Welt ohne eigenen Staat. Je nach Definition umfasst Kurdistan 490.000 bis 530.000 Quadratkilometer, was in etwa der Größe Spaniens entspricht. 14 Millionen Kurden leben in der Türkei. Dort hat der Ende der 1980er Jahre von der linksgerichteten Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) entfesselte Unabhängigkeitskampf bereits mehr als 30.000 Tote gefordert. Die knapp fünf Millionen Kurden im Irak haben seit dem Ende des ersten Golfkriegs im Jahr 1991 eine Autonomie und seit dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 gelten die Kurdischen Autonomiegebiete als einziges funktionierendes Gemeinwesen des im Chaos versinkenden Irak.

  • TRANSNISTRIEN: Die mehrheitlich von Slawen bewohnte Region am linken Dnjestr-Ufer hat sich von der rumänischsprachigen Ex-Sowjetrepublik Moldawien losgesagt, nachdem diese im Jahr 1990 die Unabhängigkeit erlangt hatte. Im transnistrischen Unabhängigkeitskampf kamen mehrere Hundert Menschen ums Leben. Nach der Intervention der russischen Armee stimmte Moldawien im Juni 1992 einem Waffenstillstand zu. Die Region von der halben Größe Salzburgs (3.567 Quadratkilometer) hat nur 555.000 Einwohner, beherbergt aber ein Drittel aller Industriebetriebe Moldawiens. Der ungeklärte internationale Status der Region hat dazu beigetragen, dass sie zu einer Drehscheibe für Menschen-, Drogen- und Waffenschmuggel geworden ist. Bei einem international nicht anerkannten Referendum im Oktober 2006 stimmten 97 Prozent der Bürger für einen Anschluss an Russland.

  • ABCHASIEN: Die autonome georgische Republik sagte sich im Juni 1992 von der Ex-Sowjetrepublik los. Im anschließenden Krieg, in dem sich Russland gegen die georgische Armee stellte, starben rund 7.000 Menschen, mehr als 200.000 Georgier flüchteten aus der Region am Schwarzen Meer. Seit 1994 gilt ein Waffenstillstand, über dessen Einhaltung UNO-Truppen wachen. Mit 8.600 Quadratkilometer ist Abchasien etwas kleiner als Kärnten und hat rund 250.000 Einwohner, knapp die Hälfte davon sind Abchasen.

  • SÜDOSSETIEN: Die Region südlich des Kaukasus-Hauptkammes sagte sich im Jahr 1990 von Georgien los. Bei von Russland unterstützten Kämpfen mit georgischen Nationalisten starben etwa 2.000 Osseten, 100.000 flüchteten nach Russland. Im Juni 1992 wurde ein Waffenstillstand geschlossen, über den eine 1.500 Mann starke Friedenstruppe wacht. Südossetien ist mit 3.885 Quadratkilometer so groß wie das Burgenland, hat aber nur 75.000 Einwohner. Bei einem international nicht anerkannten Referendum sprachen sich im November 2006 99 Prozent der Südosseten für die Unabhängigkeit von Georgien aus.

  • NAGORNY-KARABACH: Der älteste Nationalitätenkonflikt der Ex-Sowjetunion ist bereits vor dem Zerfall des Vielvölkerstaates ausgebrochen. Zwischen 1988 und dem Waffenstillstand 1994 starben rund 20.000 Menschen in dem Kampf um das von Armeniern bewohnte Gebiet innerhalb Aserbaidschans. Die Region ist mit 4.400 Quadratkilometern etwas größer als das Burgenland und hat 145.000 Einwohner. Die international nicht anerkannte "Republik Nagorny-Karabach" lehnt sich eng an Armenien an und verwendet unter anderem dessen Währung, den Dram. Die Verhandlungen über eine Lösung des Berg-Karabach-Konflikts zwischen Baku und Eriwan verlaufen seit Jahren im Sande.

  • TSCHETSCHENIEN: Seit Ende des 18. Jahrhunderts im russischen Einflussgebiet gelegen, lehnten sich die muslimischen Tschetschenen mehrmals gegen Moskau auf, unter anderem im Zweiten Weltkrieg. Während des Zerfalls der Sowjetunion formierte sich eine Unabhängigkeitsbewegung, die ihren Höhepunkt im ersten Tschetschenien-Krieg (1994 bis 1996) erreichte. Schätzungen zufolge kamen in dem blutigen Krieg bis zu 100.000 Menschen ums Leben. 1999 lehnten sich tschetschenische Rebellen erneut gegen Moskau auf, doch wurde ihr Kampf vom damaligen russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin innerhalb weniger Wochen mit eiserner Hand niedergeschlagen. Seitdem ist die Lage in der immer noch kriegszerstörten Region von der Größe der Steiermark (15.300 Quadratkilometer), die von 1,1 Millionen Menschen bewohnt wird, vergleichsweise ruhig. (APA)