Zur Person

Rolf Haubl ist Psychologe und Sprachwissenschafter und stellvertretender geschäftsführender Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt.

Zu seinen aktuellen Forschungsgebieten zählen Sozialwissenschaftliche Emotionsforschung, Krankheit und Gesellschaft, Beratungsforschung, sowie Methodologie und Methodik psychoanalytischer Sozialforschung. Er ist Autor zahlreicher Bücher in den Forschungsgebieten.

Foto: Haubl

derStandard.at: Gibt es die wahre Liebe?

Haubl: Das Modell der romantischen Liebe ist immer schon so etwas wie ein Phantasma, an das sich die Sehnsüchte hängen, aber wirklich eingelöst wird es in der Praxis selten. Die so genannte romantische Liebe ist entstanden durch die Formen von Ehe und Familie, wie sie der Adel geprägt hat. Dort regierten Geld und Besitz, Gefühle waren keine Grundlage für Beziehungen. Gegen dieses Modell hat das Bürgertum dann das Bild einer romantischen Liebe entworfen, als etwas Unkontrollierbares, das den Menschen ereilt als ob Amor seine Pfeile ziellos abschießen würde.

Eine Beziehung, die ganz auf Emotionen gründet – sowohl die Kinderaufzucht, als auch die Intimität – wurde damals als wahre Liebe gesehen. Man ging sogar so weit, dass der Bestand der Beziehung so lange legitim war, wie die Liebe existierte.

derStandard.at: Romantik ist käuflich. Können Gefühle aus psychologischer Sicht künstlich erzeugt werden?

Haubl: Die Vorstellung, die bis heute existiert, ist, dass man Liebe herstellen kann. Beispielsweise ist die Romantikindustrie in Europa eine der am stärksten expandierenden Industrien im Tourismusbereich. Romantikhotels sprießen aus dem Boden. Da wird die Illusion erzeugt, man könne die Gefühle der Liebe durch bestimmten Weise konsumieren.

derStandard.at: Funktioniert diese Inszenierung?

Haubl: Im deutschen Fernsehen gab es beispielsweise die Sendung 'Traumhochzeit'. Untersuchungen haben gezeigt, dass viele, die sich haben casten lassen um Geschenke zu bekommen, durch die Inszenierung doch massiv von Gefühlen überwältig wurden. So gesehen ist das Inszenierungsmoment nicht abwegig.

derStandard.at: Funktionieren so simple Inszenierungen wie der Valentinstag?

Haubl: Den Valentinstag gibt es auf zwei Ebenen: erstens als Geschäftsereignis, zweitens gibt es Paare, die den Tag nutzen um ihre Beziehung zu ritualisieren. Aber ursprünglich ist der Tag eine amerikanische Erfindung um Pubertierenden die Möglichkeit zu verschaffen Dates zu gewinnen und dementsprechend ihre Attraktivität auf dem Beziehungsmarkt zu testen.

derStandard.at: Wie unterscheiden Sie Liebe und Verliebtheit?

Haubl: In der Verliebtheit hat man eine außergewöhnliche Situation, in der man ganz auf den Partner konzentriert ist und diesen auch überschätzt. Man läuft mit der rosaroten Brille herum, die verhindert, dass man den Alltag sieht. Zu einer wahren oder reifen Liebe gehört aber die Fähigkeit eine Beziehung im Alltag zu leben. Das heißt auch damit fertig zu werden, dass die schwarzen Haare im Abfluss liegen.

Damit fertig zu werden, dass das, was mir einmal als strahlende Schönheit meines Partners erscheinen ist, mit der Zeit abbröckelt. Das nennen wir in den Sozialwissenschaften die Veralltäglichung der Liebe und diese muss überwunden werden, weil sonst keine dauerhafte Beziehung zustande kommt. In einem permanenten Honeymoon, einer permanenten Verliebtheit kann sich keine Beziehung stabilisieren.

derStandard.at: Wann scheitert der Übergang von der Verliebtheit zur Liebe?

Haubl: Oft ist es ein großes Problem, dass die überzogenen Erwartungen daran, was eine Liebesbeziehung an Belohnung verspricht, dazu führt, dass man den Alltag gar nicht leben will. Beziehungen brechen dann meist genau im Moment der Veralltäglichung ab. Es kostet eine ganze Menge an Anstrengung um daraus eine Liebesbeziehung zu machen.

Jede Liebesbeziehung, die damit kämpft, hat immer das Problem etwas zu schaffen, das an die alte Verliebtheit erinnert. Und da wird das Inszenatorische zu einem ganz zentralen Moment der Schaffung einer Liebesbeziehung über Jahre hinweg.

derStandard.at: Wie definieren Sie Liebe?

Haubl: Das kommt auf den Kontext an. In der Emotionspsychologie ist Liebe gar kein Gefühl, sondern so etwas wie eine emotionale Einstellung. Auch deswegen weil die klassischen Gefühle wie Freude, Ärger, Wut eine ganz bestimmte Dynamik haben. Sie flammen auf und ebben ab. Das ist eigentlich die Verliebtheit. Die Liebe selbst ist eine Einstellung zu einer andern Person, eine emotional codierte Einstellung, zu der ein bestimmtes Bild des Liebespartners dazu gehört. Darüber hinaus ist Liebe auch einer der größten Sehnsuchtsfaktoren unserer Zeit.

derStandard.at: Welche Rolle spielt Liebe für das seelische und körperliche Gleichgewicht?

Haubl: Untersuchungen zeigen, dass schwere Lebenskrisen, kritische Lebensereignisse, chronische Krankheiten und Krebs, umso besser bewältigt werden, je stabiler und sicherer die Beziehungen sind. Ob das identisch ist mit Liebe, ist eine nicht beantwortbare Frage. Aber die soziale Unterstützung in einer haltenden Beziehung ist eine der zentralen protektiven und auch kurativen Faktoren,

derStandard.at: Welche Rolle spielt die Sexualität?

Haubl: Erfahrungsgemäß ist Intimität wichtiger als Sexualität. Es gibt eine Sexualität ohne Intimität und die ist eher wenig förderlich, weil sie den körperlichen Vollzug vor die emotionale Investition setzt und keine Geborgenheit vermittelt. Für die Faktoren, die Gesundungsprozesse unterstützten, ist eher das Haltgebende wichtig, das ich Intimität nenne. Wenn Intimität und Sexualität zusammen gehen, Geborgenheit und Lust sich nicht ausschließen, ist das natürlich ein starkes Element, das Menschen lebendig macht.

derStandard.at: Der Ausdruck 'liebeskrank' – was steckt dahinter?

Haubl: 'Liebeskrank' ist lange vor der Medizin ein Zustand für die Verwirrtheit, aber nicht in der Liebe, sondern in der Verliebtheit. Insofern war der Verliebte schon immer ein halbwegs Kranker.

Die Liebeskrankheit als wissenschaftlichen Terminus finden Sie in der Psychiatrie beispielsweise als Liebeswahn: Menschen, deren Sehnsucht nach Liebe so stark ist, dass sie sich einen Liebespartner suchen und den lieben, unabhängig davon, ob sie zurück geliebt werden oder nicht. Sie versuchen das Zurückgeliebtwerden durch die eigene Liebe zu erzwingen, leiden dann aber darunter, dass das nicht funktioniert. Dann verfolgen sie ihre Liebesobjekte. Aktuell wird so etwas weniger unter Liebeswahn diskutiert, ein Großteil des Stalking-Phänomens hängt damit zusammen.

derStandard.at: Was hat es mit dem 'gebrochenen Herzen' auf sich?

Haubl: Der Ausdruck 'gebrochenes Herz' hat tatsächlich eine psychosomatische Grundierung: In Studien konnte man zeigen, dass unsicher gebundene Menschen tatsächlich leichter herzkrank werden, oder dass bei ihnen eine Herzkrankheit eine schlimmere Entwicklung nimmt, als bei jenen, die in einer stabilen Beziehung sind.

derStandard.at: Welches Liebes-Modell ist heute zeitgemäß?

Haubl: Das Modell, das sich heute durchgesetzt hat, ist das Modell der Partnerschaft. Partnerschaft gründet sich auf Verträge und nicht auf Emotionen. Das geht so weit, dass im partnerschaftlichen Modell selbst die Emotionen selbst geregelt werden sollen.

derStandard.at: Werden Gefühle heute mehr kontrolliert?

Wir haben in letzter Zeit auch die in den Medien präsente Bewegung der Polyamorösen. Das ist eine Gruppierung von Menschen, die das traditionelle bürgerliche Eheideal auflöst und für Mehrbeziehungen votiert. Da wird vertraglich festgelegt, dass ich zwar einen anderen Sexualpartner haben darf, aber festgelegt ist, was erlaubt ist und was nicht. Hier entsteht die Vorstellung, man könne auch die Investition von Gefühlen kontrollieren, und damit werden Gefühle ökonomisiert. (Marietta Türk, derStandard.at, 14.2.2008)