Manches ist in Bewegung - doch das Auge richtet sich vornehmlich auf die Mikrokriminalität und schließt sich angesichts der (auch staatlichen) Makrostrukturen.

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In Kärnten aufgewachsen, mit intensiven familienbedingten Kontakten zu Süd- und Norditalien, später als aus der Provinz kommender Jusstudent in Wien und in der Folge als Rechtsanwalt in Ostösterreich mit Spezialisierung im Strafrecht, glaube ich zu wissen, dass eine der großen Lügen in diesem Land das Schweigen, ja Wegschauen bei Korruption ist. Wenn hierzulande über Mafia und organisierte kriminelle Methoden gesprochen wird, war und sind regelmäßig das Ausland und/ oder die Ausländer (in Österreich) gemeint, nicht aber die Verwaltungsstrukturen und die Politik in diesem Land.

Aus den Wirrnissen im Italien der Nachkriegszeit habe ich gelernt, dass es nichts Schlimmeres in einem Staat gibt als die Schizophrenie eines korrupten Machtapparates, der von einer ebensolchen Justiz sekundiert wird. Mit Lucona, Proksch und Konsorten geriet die österreichische Selbstgefälligkeit in Sachen Korruption erstmals ins Wanken. Seit Anfang der 90er-Jahre durfte dessen ungeachtet der Polizeiapparat wegen der vorgeblich vor allem aus dem Osten drohenden organisierten (Klein-)Kriminalität massiv aufgerüstet werden. Wer damals dem vom Innenressort und von linientreuen Politikern und Beamten propagierten Szenario der drohenden kriminellen Unterwanderung Österreichs laut widersprach, konnte sich öffentlicher Angriffe staatlicher Würdenträger sicher sein. Mittlerweile werden anwaltliche Kritiker schon leichtfertig, wenn nicht gar missbräuchlich, angezeigt. Damals wie heute lag und liegt aber die substanzielle Gefährdung staatlicher Gemeinwesen nicht bloß in bandenmäßig operierenden Rechtsbrechern und makrokriminellen Machenschaften, sondern vor allem in der Korrumpierung von Polizei, Justiz und Politik.

Wie ist es nun aber mit Aufklärung und Präventionsstrategien gegen Korruption hierzulande beschaffen? "Alles paletti" - oder Zustände wie anno dazumal in Italien? Gibt es so etwas die "mani puliti" der einstigen Turineser Staatsanwälte oder wird Recht vorrangig dort gesprochen, wo es gilt, Kleinkriminelle oder missliebige Personen zu entfernen und kritische Kontrollinstanzen auszuschalten?

Tatsache ist, dass in den vergangenen Jahren strukturelle kriminalpolitische Neuerungen stattgefunden haben und dabei einiges in Bewegung geraten ist. Der Menschenrechtsbeirat, das im Innenministerium angesiedelte Büro für Interne Angelegenheiten und die Rechtsschutzbeauftragten im Sicherheitspolizei- und Strafverfahrensrecht sind da grundsätzlich anzuführen. Letztere sind sehr honorige justizielle und universitäre Persönlichkeiten im Ruhestand, denen zur Amtsausübung keine bis gar keine Ressourcen an die Hand gegeben wurden.

Ermittlungseffizienz

Unbequeme und/oder effektive Kontrolle des Polizeiapparates ist von dort kaum zu erwarten. Über das Büro für Interne Angelegenheiten, dessen Ermittlungseffizienz und Objektivität in diesen Tagen durch die Art der Suche nach Dr. Franz Vranitzky im Alterspflegeheim seiner Mutter hinlänglich unter Beweis gestellt wurde, kann wohl nur mehr in polizeiinternen Schulungen, seien sie auch auf Fachhochschulen angesiedelt, laut nachgedacht werden - rechtsstaatlich hat sich diese Behörde mangels jeglicher Sensibilität dafür, dass es nicht angeht, wenn die Polizei die Polizei untersucht und das auch noch unter der Ägide eines Innenministers, längst selbst desavouiert.

Dieser Republik ist zuzutrauen, auch davor weiter die Augen zu verschließen. Und zum Menschenrechtsbeirat stimmt nicht nur nachdenklich, dass eine Autorität wie Prof. Bernd-Christian Funk das Handtuch geschmissen hat - es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis andere ihm folgen werden.

Als einziger Hoffnungsschimmer bleibt die Neuadjustierung im Bereich des Strafprozesses seit 1. Jänner 2008: Eine neue starke Stellung der Staatsanwaltschaft und die massive personelle Aufstockung der Anklagebehörden müsste doch dazu führen, dass das jahrzehntelang ungestörte Eigenleben des Polizeiapparates endlich aus seinem Winterschlaf erweckt wird? Das allein ist aber kein ausreichender Hoffnungsschimmer!

Vielmehr sollte man aus gegebenem Anlass auf ein traditionelles Instrument einer effizienten Strafverfolgung zurückgreifen. Nachdem jahrzehntelang Lausch- und Späh-angriff, Rasterfahndung, verdeckte Ermittlungen und Scheingeschäfte, Online-Zugriffe und lückenlose Videoüberwachungen propagiert wurden und damit der Blick auf die Mikrokriminalität statt auf die das Gemeinwesen bedrohenden kriminellen (auch staatlichen) Makrostrukturen fokussiert wurde, ist es endlich an der Zeit, der Korruption in diesem Land Paroli zu bieten.

Operation Spring

Die 1997 eingeführte kleine Kronzeugenregelung hat in der sogenannten Operation Spring (der vor einigen Jahren aufwändigst betriebenen Verfolgung von vorwiegend schwarzen kleinkriminellen Dealern) hinlänglich unter Beweis gestellt, wie rechtsstaatlich ineffizient halbe Lösungen sein können. Man konnte als Verteidiger gar nicht so schnell schauen, schon war der "anonyme Kronzeuge" geboren, und die kleinmütige Vernaderung zum eigenen Vorteil hielt Einzug in die österreichischen Gerichtssäle. Das Exempel ist ein Lehrbuch-Beispiel dafür, wie es nicht geht.

Die aktuellen Skandale an den Schnittstellen zwischen Polizei und Politik werfen nachhaltig die Frage auf, wie ernst es diese Republik mit dem Thema Korruption nimmt. Wer sie wirksam bekämpfen will, muss wissen, dass weder Polizei noch Politik seine Verbündeten sind. Ob die Justiz in diesem Land schon so weit ist, in nachhaltiger Weise eine eigenständige Rolle im Kampf gegen die Korruption auszuüben, wage ich nicht anzunehmen noch zu bezweifeln.

Angesichts der Vorkommnisse in den letzten Jahren ist mir aber eines klar: Die befristete Einführung einer großen Kronzeugenreglung, die Überläufer aus dem System zur Gänze straffrei stellt, wenn sie zur Aushebelung der Omertà Austrian Style beitragen, wäre allemal einen Versuch wert, eine neue Rechtskultur in diesem Land zu verankern. Nur Insider verfügen über jenes Wissen, das einen Systemwechsel herbeizuführen vermag - gut möglich, dass die Mächtigen in diesem Land alles nur nicht das wollen! (DER STANDARD, Printausgabe, 14.2.2008)