Bild nicht mehr verfügbar.

12. April 1968: Die Polizei kämpft mit Wasserwerfern gegen Demonstranten, die sich auf dem Berliner Kurfürstendamm am Tag nach dem Attentat auf Rudi Dutschke versammelt haben.

Foto: AP/Herrmann
Was schreiben 1968er über 1968? Am liebsten verstecken sie sich hinter dem breiten Rücken der RAF. Anmerkungen eines Historikers und 1968ers, der gerade ein etwas anderes Buch über 1968 geschrieben hat.

***

Von ihren früheren Unworten und Untaten reden die Achtundsechziger nicht gerne. Stattdessen verstecken sie sich hinter dem Terror der RAF, dem "durchgeknallten" Andreas Baader, der "kalten" Gudrun Ensslin oder der "verzweifelten" Ulrike Meinhof.

Nach derselben Methode verfuhren die Deutschen 1945. Statt über ihr eigenes Handeln nachzudenken, dämonisierten sie Adolf Hitler zum einzig Schuldigen. Wie die hier vorzustellenden Neuerscheinungen zu 1968 zeigen, stricken die revolutionären Ruheständler ihre Biografien fast alle nach dem Muster, das Franz Schönhuber 1983 zum Titel seiner verklärenden Erinnerungen an die Waffen-SS erhob: "Ich war dabei".

Demnach kann, wer nicht dabei war, auch nicht mitreden. Im Ton sind die älteren 68er-Herrschaften ziemlich defensiv geworden, frei nach dem auch schon bekannten Motto: "Es war nicht alles schlecht."

Eine erfreuliche Ausnahme gelingt Willi Winkler mit seiner "Geschichte der RAF" (erschienen bei Rowohlt). Er verdankt das seinem sicheren Gefühl für die richtigen Details und wohl auch der Gnade seiner späten Geburt (1957). Sie verschafft ihm Distanz. Mit Lust ruft Winkler den Satz des einstigen Ensslin-Verteidigers Otto Schily ins Gedächtnis: "Alle rechtsstaatlichen Errungenschaften beruhen auf revolutionärer Gewalt." Er betrachtet die nationalen Unterschiede im studentischen Aufbegehren von 1968; die deutsche Variante sei "freudlos im Wesentlichen" gewesen, "zur Introspektion neigend, aber im Zweifel zum Kampf entschlossen": "Deutsch sein hieß wieder einmal, eine Sache um ihrer selbst willen zu betreiben, im Fall der RAF fast dreißig Jahre lang."

Gemessen an Winklers informativer und kurzweiliger Darstellung liest sich Jutta Ditfurths Biografie "Ulrike Meinhof" (Ullstein) öde. Über das Liebesleben der Heldin erfährt man: "Lothar Wallek war glücklich, als er die 21-jährige Ulrike Meinhof wiedersah. Aber sie wünschte sich, mit Thomas Lenk bald einen neuen Anfang zu erleben." Einen solchen Erika-Roman hat die Meinhof nicht verdient, selbst wenn man den Terror, den sie schließlich wollte, als Irrweg ablehnt. Aber Ditfurth schreibt unverdrossen drauflos. Ja, lamentiert sie, "das Leben in der Illegalität war teuer" und voller Unwägbarkeiten: "Stundenlanges In-der-Badewanne-Liegen und gemeinsames Kochen" halfen, sich vom Stress des illegalen Alltags "zu entspannen".

Was nicht in ihre geistige Badewanne passt, lässt Ditfurth aus, zum Beispiel Meinhofs Kommentar zu Willy Brandts Kniefall vor dem Warschauer Ghettodenkmal im Dezember 1971: "Die reformistische Linke zielt darauf, Konflikte zu vermeiden, indem sie überalterten Konfliktstoff ausräumt (der Kniefall des Kanzlers in Polen z. B.)." Im Dezember 1972 verstieg sich die Meinhof als Zeugin im Prozess gegen Horst Mahler zur Bemerkung: "Der Antisemitismus war seinem Wesen nach antikapitalistisch. Ohne dass wir das deutsche Volk vom Faschismus freisprechen - denn die Leute haben ja wirklich nicht gewusst, was in den Konzentrationslagern vorging -, können wir es nicht für unseren revolutionären Kampf mobilisieren."

Auch diesen Satz sucht man bei Ditfurth vergeblich. Stattdessen stellt sie am Ende Erich Fried zitierend fest, wen sie da in grober Holzschnitttechnik porträtierte: "Die bedeutendste deutsche Frau seit Rosa Luxemburg." Wer gern Heiligenlegenden liest, wird das Buch lieben. "Das Projektil sind wir" (Edition Nautilus) ist ein seltsames Gesprächsbuch mit Karl-Heinz Dellwo. Er gehörte zu dem Terrorkommando, das 1975 die Deutsche Botschaft in Stockholm besetzte, um die Gefangenen der RAF und anderer Bombenlegergruppen freizupressen.

Der angeblich "politisch reflektierte Lebensbericht" fängt merkwürdig an: Dellwo drang, so formuliert er heute, nicht in die Botschaft ein, um im Dienste seiner politischen Ziele Menschen in Todesangst zu versetzen, sondern um, wie er in gewagter Grammatik schreibt, "die höhere Botschafterebene als Geiseln zu nehmen und 26 politische Gefangene aus den Gefängnissen der BRD zu befreien".

Es gehört ein erheblicher Mangel an Einsichts- und Umkehrbereitschaft dazu, wenn Dellwo seine Gewalt- und Mordtat 32 Jahre später so beschreibt: "In der Zwischenzeit hatten wir unser Ultimatum gestellt und zwei Diplomaten erschossen, die Attachés Andreas von Mirbach und Heinz Hillegaart. Nach einer unvorhergesehenen Explosion um 23.47 Uhr verloren wir einen Genossen, nämlich Ulrich Wessel, direkt vor Ort, und 10 Tage später in einer Gefängniszelle in Stuttgart-Stammheim den zweiten, Siegfried Hauser. Wir anderen gingen danach über 20 Jahre ins Gefängnis." Dellwo "bedauert" seine Tat seit langem, die Sprache dafür hat er noch nicht gefunden.

Die Interviewer wollen mit dem Buch klarmachen, dass "das Argumentationssystem RAF Respekt verdient". Stattdessen haben sie ein Dokument abgeliefert, das Einblick in die hartherzige Innenwelt, die Gedankensperren und lebensgeschichtlichen Vorprägungen des linksradikalen Teutoterrorismus gibt. Über seinen kriegsgeschädigten, oft betrunkenen Vater berichtet Dellwo: "Mit meiner Mutter zusammen hatte er eine Großfamilie in die Welt gesetzt, mit der er angesichts seiner eigenen, zu kurz gekommenen Lebenshoffnung völlig überfordert war. Er ist über Krieg und Faschismus entwurzelt worden. Das haben wir als Kollateralschaden abgekriegt."

Der nationalgeschichtlich bewirkte Generationsschaden rechtfertigt so manches, aber nicht alles. Das muss man den Ex-Terroristen Bommi Baumann und Till Meyer vorhalten, von denen Letzterer sich auch für den Staatssicherheitsdienst der DDR engagierte. Die beiden haben mit "Radikales Amerika" (Rotbuch) kein Buch geschrieben, sondern Dokumente aus dem Umkreis der Black-Power-Bewegung zusammengeklatscht, nach undurchsichtigen Kriterien gekürzt und ohne jeden Kommentar veröffentlicht.

Der Verlag stellt seine Pseudoautoren mit den Worten vor, sie "gehörten in den 70er-Jahren zu den Gründern der Bewegung 2. Juni". Das klingt, als handle es sich um eine Bürgerinitiative zum Schutz des grauen Teichmolches. Tatsächlich hat diese Gruppe zumindest zwei unaufgeklärte Verbrechen auf dem Gewissen. Zum einen den Tod eines Angestellten im britischen Yachtclub in Berlin.

Er starb bei der Explosion einer Bombe, die von den Leuten der "Bewegung 2. Juni" gelegt worden war, um Offiziere zu treffen und so den "Befreiungskampf" der nordirischen Katholiken zu unterstützen. Der zweite Tote ist der Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann, der 1974 in Berlin kaltblütig erschossen wurde. Zwei Männer, die einen solchen Mörderhaufen mitbegründeten, suhlen sich heute in moralischer Rechthaberei. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.2.2008)