Virtuoses Duett in Zimmerlautstärke: Johnny Depp (re.) und Alan Rickman in Sweeney Todd.

Foto: Warner Bros.
Wien – Schon die ersten beiden Sequenzen geben Gang- und Tonart vor. Der Titelvorspann: eine rasende Abfolge bizarrer, grafisch überhöhter Blutströme, Verwurstungsmaschinen, scharfer Klingen, Fleischzerkleinerungen – quer durch Kellerverliese, entlang feuchter Kanäle, hinein in Verliese, deren Mauern besonders dick sein müssen, um nicht irgendwann feucht und klamm in sich zusammenzustürzen.

Und dann: ein Schiff zurück auf der Fahrt ins viktorianische London. In ausgewaschenen, digital nachbearbeiteten Bildern ist es eher die Idee eines Schiffs, mehr Bühne als Filmschauplatz. Und der Mann mit der weißen Haarsträhne, der da einem jungen Reisegefährten von zerstörtem Glück und Racheplänen erzählt, er könnte auch der Fliegende Holländer sein, ein Untoter, irre geworden am Verlust derer, die er am meisten geliebt hat.

Große Oper, das ist die Vorgabe für Sweeney Todd, die Schritt für Schritt, Bild für Bild blutigere Moritat vom begnadeten Barbier, der seine Kunstfertigkeit zunehmend gegen eine hochfeine Kundschaft richtet, die ihm auf einem sehr speziellen Friseurstuhl vertrauensselig die Kehlen entgegenstreckt.

Die Vorlage des Films, das ist eigentlich nur ein Musical (von Stephen Sondheim); die Darsteller singen mit limitiertem Stimmumfang. Aber weil US-Regisseur Tim Burton sie dabei bevorzugt in Nahaufnahme filmt und ihren Gesang quasi auf Zimmerlautstärke herunterholt, erhalten selbst längere Arien den Charakter peinigend zerdehnter Opernrezitative. Die wahre Eskapade, die tragische Überhöhung: Sie äußern sich weniger in Stimm- und Sprachgewalt als in Bildtableaus äußerster Verwahrlosung und Grausamkeit.

Kein Trost

Irgendwann werden in diesem Film begeisterte Londoner Bürger Menschenfleischpasteten essen; schwarzer Rauch wird über den Dächern der Stadt andeuten, dass eine gewaltige Totenvernichtungsmaschine in Gang geraten ist. Anders als in vielen anderen Filmen von Tim Burton gibt es im Schrecken und in der Ausgegrenztheit illuster deformierter Trauergestalten keinen Trost, kaum Rettung durch Komik.

Am konsequentesten manifestiert sich dies rund um Burtons Lieblingsschauspieler Johnny Depp.

War dieser beispielsweise in Edward mit den Scherenhänden (1990) immer in Gefahr, auch diejenigen zu verletzen, die er liebte, war darin immer ein gehöriges Ausmaß an trashigem Humor im Spiel. Und wenn er in Sleepy Hollow (1999) als schüchterner Detektiv und Rationalist zum Geisterjäger werden musste, dann hatte er auch immer noch einige Lacher auf seiner Seite.

Hier, in Sweeney Todd, ist für comicsartige Einsprengsel kein Platz mehr. Selbst Sacha Baron Cohen, berühmt geworden mit Comedy-Rollen wie Borat, ist hier im ernsten Fach tätig – vielleicht, weil Tim Burton durchaus berechtigt für sich beschlossen haben mag, dass man heute einer Rache und Rachefeldzüge schwerlich komische Aspekte abgewinnen kann. Depp als teuflischer Barbier aus der Fleet Street: Das ist ein Fundamentalist der Gerechtigkeit, ein Terrorist, der schnell das eigentliche Ziel aus den Augen verliert und zudem von völlig falschen Prämissen ausgeht.

Höllische Liebe

Die Schlusssequenz des Films, in der sich eine wahre Höllenkette von Irrtümern in einem monströsen Bild wahrer falscher Liebe auflöst, sie kann hier nur angedeutet werden. Aber sie hat auch sehr viel damit zu tun, dass Sweeney Todd nicht zuletzt eine Wertvorstellung fundamental ins Groteske zieht, wie es sonst kaum ein Hollywood-Regisseur dieser Tage wagen würde: Familie. In der Erinnerung des Killers Sweeney Todd ist das purer Ansichtskartenkitsch, der allzu leicht als Rechtfertigung für hehre Morde herhalten muss.

Und dann wäre da noch ein weiteres perverses Wunschbild, das krachend in sich zusammenfällt: Helena Bonham-Carter spielt die Fleischpastetenbäckerin Mrs. Lovett – ein wenig ältlich, ziemlich freudlos und vor allem unhygienisch –, die sehr schnell in Liebe zu Sweeney Todd entbrennt und ihn über gewisse Aspekte seiner Vergangenheit nicht ganz richtig informiert.

Gemeinsam mit ihm und einem Waisenjungen baut sie einen wahrhaft mörderischen Familienbetrieb auf. Sie träumt Urlaubsträume in satten Farben, in denen Vater Todd leider wie eine kaputte Marionette herumliegt. So viel Blut kann gar nicht fließen (und es fließt sehr viel), dass Mrs. Lovett es nicht mit ihrem Herzblut verwechseln würde.

Grusel und Romantik

Daneben: die großen, unzerstörbaren, immer wieder neu variierbaren Motive der romantischen Gruselliteratur. Eine junge Frau (Jayne Wisener) etwa, eingekerkert von einem älteren Herrn (Alan Rickman), der selbst im Standesdünkel gefangen ist und als Richter ebenfalls grausamen Vorstellungen von Gerechtigkeit anhängt. Ein junger Mann, der dieses Mädchen bestenfalls vergöttern, aber nicht wirklich beschützen kann. Wirkliches Format haben in solchen Geschichten nur die Kranken und die Unholde.

Wer also unter dem Signet Musicalverfilmung ein professionell gemachtes Stück Kostüm-Unterhaltung im Gefolge von Les Miserables und Phantom der Oper erwartet – der wird hier enttäuscht, ja schockiert werden. Sweeney Todd ist in seiner radikalen Reduktion, seiner Verweigerung von Mitsing-Passagen und billigem Bombast auch ein Versuch darüber, wie man heute mit Musik im Kino noch avanciert arbeiten könnte. Das verbindet den für sieben Academy Awards nominierten Film übrigens, auf höchst unterschiedliche Weise, mit einem anderen Oscar-Favoriten, There Will Be Blood von Paul Thomas Anderson.

Einmal mehr erweist sich Tim Burton als der große US-Meister des zeitgenössischen Ausstattungskinos. Man wird dieser Tage kaum einen Genre-Regisseur finden, der einen derartigen Mut zu radikaler Handschrift aufbringt und gleichzeitig so nahe am Publikum bleibt. (Claus Philipp, DER STANDARD/Printausgabe, 19.02.2008)