Was aber, wenn die alte Sozialdemokratin doch Recht gehabt hätte? Wenn es bei Kulturpolitik tatsächlich um ideologische Konflikte ginge? Zum Beispiel um die Frage, was aus welchen Gründen zum kulturellen Erbe gezählt wird. Oder ob es tatsächlich Sinn macht, dem kulturellen Erbe vergangener Generationen so viel mehr Bedeutung und daher Geld zukommen zu lassen als dem gerade entstehenden kulturellen Erbe künftiger Generationen. Anders gesagt: Was, wenn es bei Kulturpolitik in erster Linie um politische Verteilungsfragen ginge?
In diesem Fall bedarf es kulturpolitischer Ziele. Und wenn Kulturpolitik demokratisch organisiert sein soll, dann können diese Ziele nicht zentral verordnet werden, sondern es muss - demokratisch - um sie diskutiert oder auch gestritten werden. Transparente und allgemein zugängliche öffentliche Debatten sind nötig, in denen verschiedene Ideologien um Hegemonie ringen. Und KulturpolitikerInnen haben sich mit ihren eigenen politischen Vorstellungen an diesen Debatten zu beteiligen, statt politische Wellness-Reden zu halten, aus denen im Wesentlichen hervorgeht, dass Kultur insgesamt eine feine Sache ist. Denn Kultur kann viele verschiedene Dinge, etwa Identitäten produzieren oder gesellschaftliche Konflikte verdeutlichen, Traditionen hochhalten oder mit ihnen brechen, Vergangenheit beschwören oder Zukunft konzipieren. Im Falle von demokratischer Kulturpolitik ist die zentrale Frage, wie Kunst und Kultur zu Demokratie beitragen. Dies wiederum ist keine abstrakte Frage, sondern eine, die von konkreten gesellschaftlichen Situationen und Entwicklungen abhängt. In einer Gesellschaft, die stark von Immigration und Differenz geprägt ist, geht es also etwa um die adäquate Repräsentation verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Der heimische Weg, einfach immer das weiter zu fördern, was schon bisher gefördert wurde, ist hier ebenso wenig befriedigend, wie naive multikulturelle Versuche, verschiedenen Kulturen/Identitäten nebeneinander Raum zur Selbstdarstellung zu geben.
Mehr Wissen für Politik
Vielmehr bedarf es fundierten kulturpolitischen und -ökonomischen Wissens als Entscheidungsgrundlage für Kulturpolitik. Wenn schon Gesellschaft und Ökonomie am Beginn des 21. Jahrhunderts angeblich in erster Linie auf Wissen basieren, dann kann diese Forderung auch an Politik gestellt werden.
Erst nach der Formulierung kulturpolitischer Ziele lassen sich adäquate Finanzierungsinstrumente entwickeln, und zwar - aus Gründen der Demokratie wie auch der Effizienz - nicht in Form von Verordnungen, sondern im streitbaren Dialog. Etwa mit der "Szene", dem Kunstbetrieb - KünstlerInnen, TheoretikerInnen, VermittlerInnen, Interessenvertretungen sowie den VertreterInnen von Kunstmarkt und Administration. Mit denjenigen also, denen aus eigener Betroffenheit seit längerem klar ist, wie sehr die bekannten Förderinstrumente mittlerweile in die Jahre gekommen sind - überholt von technologischen, künstlerischen und sozialen Entwicklungen.
So entspricht etwa die Aufteilung von Kulturbudgets nach Sparten immer weniger gängigen Kunstpraxen. Eine Neufassung dieser Instrumente ist dringend nötig, ebenso wie eine Kulturverwaltungsreform, die auf transparenten und nachvollziehbaren Verfahrensstandards der Kulturverwaltung aufbaut. Einklagbare Fristen in Bezug auf Benachrichtigung und Förderungsauszahlung sind hier ebenso zu fordern wie Begründungen von negativen Förderbescheiden.