Ambrosius Kutschera lebt und arbeitet in Wien und ist seit 1998 mit der womöglich umfangreichsten Fußballdatenbank im Internet vertreten.

Eine Einstiegsfrage, die sich nach der Durchsicht Ihrer Homepage aufdrängt: Wie viele Spiele haben Sie insgesamt archiviert?

Es gibt zwei Datenbanken, eine gesamteuropäische mit allen Länder- und Europacupspielen und eine mit allen Meisterschaftsspielen von Andorra bis Zypern ab 1990 mit insgesamt etwa 270.000 Spielen. Die Spezialdatenbank, bei der es jetzt auch den Relaunch gibt, umfasst nur die österreichischen Mannschaften. Für diese neue Datenbank habe ich ein dreiviertel Jahr lang ein neues Programm geschrieben.

Was geschieht bei diesem Relaunch?

Aktuell gibt es Länderspiele, Meisterschaft, Cup, Mitropacup und einen kleinen Überblick über den Städtecup. Für die neue Datenbank habe ich begonnen, alles ab 1894 neu durchzulesen, inklusive Freundschaftsspiele und internationale Turniere. Aber ich befinde mich erst am Anfang, bis alles fertig ist, kann es noch zehn Jahre dauern.

Kann man den Zeitaufwand irgendwie in Zahlen fassen?

Für ein Jahr der Anfangszeit, etwa 1901, verbringe ich ungefähr 15 Stunden in der Nationalbibliothek. Ich habe dort zwei Datenquellen, die "Allgemeine Sportzeitung" und das "Wiener Tagblatt". Ausleihen ist nicht erlaubt, das bedeutet für mich, alle Ausgaben vor Ort im Mikrofilm durchzusehen und ins Notebook zu tippen. Mit der Hand mitzuschreiben hätte keinen Sinn, ich könnte es zu Hause nicht mehr lesen. Erschwerend kommt dazu, dass es in den alten Zeitungen keinen ausgewiesenen Sportteil gab, die Informationen waren irgendwo im Blatt verstreut. Bis 1914 ist es echt schwierig zu recherchieren, ab 1920 sollte es dann etwas einfacher werden.

Weil Sie Handschrift sagen: Wie haben Sie die Daten vor dem Zeitalter von Computer und Internet gesammelt?

Vorher habe ich die Sachen mit der Schreibmaschine getippt. 1988 habe ich mein erstes Programm geschrieben und das Computerzeitalter hat begonnen. Ich bin hier insofern schlecht dran, weil ich immer zu wenig will. Beim ersten Mal habe ich nur die Länderspiele ins Programm geschrieben, dann mit den Meisterschaftsspielen wieder von vorne begonnen und jetzt bei meinem dritten Programm beginne ich 1894 wieder von neuem. Diesmal schreibe ich mir allerdings we­sentlich mehr heraus und hoffe, dass ich jetzt das richtige Maß erwische, wo ich sagen kann, ich bereue nicht, dass ich nicht noch etwas nachgesehen habe. Gewisse Dinge würden allerdings meinen Zeitrahmen sprengen, wenn ich alles mitnehme, bin ich mit 150 Jahren fertig und ich habe doch vor, irgendwann zu einem Abschluss zu kommen.

Das bedeutet, Sie stellen nicht den Anspruch auf absolute Vollständigkeit?

Der Anspruch wäre es, aber ich muss den Mut zur Unvollständigkeit haben. Wenn man dem Prinzip der absoluten Vollständigkeit nachlaufen würde, wäre es aussichtslos, das jemals zu Ende zu bringen. Fehl­datenlisten auf der Seite, wie früher, gibt es nicht mehr. Jetzt stehen dort eben Fragezeichen. Es wird zwar nach dem Relaunch weniger der Fall sein, aber es gibt sie eben. Besonders bei den Freundschaftsspielen, das hat viel damit zu tun, dass die Webseiten der österreichischen Vereine eher dürftig sind. Man müsste sich hier die Schweizer zum Vorbild nehmen, jedes Freundschaftsspiel mit Aufstellungen, Schiedsrichter und Zuschauerzahlen. Bei uns reicht es mit Müh und Not für die Torschützen ohne Spielminute. Da fällt Österreich sowieso aus dem Rahmen, auch die Ungarn, Tschechen und Slowaken bringen sensationelle Berichte auf ihren Seiten – ein Traum für einen Statistiker.

Beispielgebend dafür ist auch, dass bei Sturm Graz unter Ex-Präsident Kartnig die Webseite zuerst überhaupt abgedreht wurde und jetzt vom Fan­club betreut wird...

  ...und das hat zur Folge, dass Sturm gerade auf Trainingslager ist und kein einziges Spiel auf der Seite bekannt gegeben wird. Oder in Ried war irgendwer krank und des­halb war der Internetauftritt ab letztem Februar lang nur eingeschränkt aktualisiert. Man soll mich hier jetzt nicht falsch verstehen, aber auch der SV Ried hat ein Budget von fünf Millionen Euro, da wird es doch bitte jemanden geben, der nicht der absolute Ama­teur ist und die Seite wenigstens einigermaßen aktuell hält.

Lässt das nicht Rückschlüsse auf die gesamte Struktur und Professionalität des Fußballs in Österreich zu?

Es ist schon ein Spiegelbild der Gesamtsituation, viel Hobby, wo eigentlich Professionalität gefragt wäre. Auch für die Aktualisierung meiner Daten ist es keine Hilfe, wenn ich mir die Resultate aus dem Teletext holen muss und vielleicht drei Wochen nach einer Partie ein Spielbericht online ist. Ich bin da teilweise schon frustriert, auch vom Fußball allgemein. Früher sind österreichische Vereine noch ab und zu in ein Europacupfinale gekommen. Diese Entwicklung wird sich aber fortsetzen, ich glaube auch, dass in Österreich das Geld nicht mehr so zur Verfügung stehen wird.

Steht es denn jetzt überhaupt noch zur Verfügung?

Grundsätzlich nicht mehr, nur einigen wenigen Vereinen. Und selbst dort ist schnell sichtbar geworden, dass Geld keine Mannschaft formt. Red Bull Salzburg müsste heuer vom Potenzial längst Meister sein. Wenn ein anderer Verein konstant Leistung gebracht und gut gespielt hätte, wäre der wahrscheinlich zur Winterpause schon uneinholbar in Führung.

Kann Sturm Graz mit der jungen österreichischen Mannschaft Meister werden?

Es wäre zu wünschen. Bin kein Sturmanhänger, aber ein Sympathisant, mir gefällt die Art und Weise, wie gespielt wird und wer spielt. Nachdenklich bin ich nur, weil Sturm realistisch betrachtet durch die bekannten Ereignisse irgendwo in einer steirischen Unterliga enden hätte müssen. Aber diese Liste ließe sich weiterführen, viele renommierte Vereine sind oder waren gefährdet.

Drücken Sie einer Mannschaft die Daumen?

Ja, aber ich möchte mich wegen der Home­page nicht outen. Ich bin da zuzuordnen und es gibt jetzt schon Kritik an den Vereinschronologien. Anhänger von vielen Vereinen, Austria Salzburg, Wacker Innsbruck oder ganz arg Wiener Sportklub, wollen wegen der vielen Konkurse und damit verbundenen Namensänderungen immer etwas hineinreklamieren. Fakt ist, das ist eine reine Privatseite und es ist meine Entschei­dung, wie diese Dinge zu interpretieren sind.

Machen wir einen Schwenk zur Europameisterschaft. Was ist für die Homepage geplant und gibt es eine spezielle Erwartungshaltung vom Turnier?

Aufstellungen, Resultate, Spielerkader, Zuschauerzahlen und so weiter wird es bei mir geben. Grafisch sicher nichts Aufregendes, da wäre ich nur der siebente Zwerg von links. Die Euro ist, auf die Home­page bezogen, in meiner persönlichen Wertigkeitsskala nicht sehr hoch angesiedelt.

Sportlich wird es für Österreich zumindest keine Katastrophe geben, allein schon deswegen, weil die Gegner uns nicht hinrichten werden. Das ist ein Turnier und die Mannschaften müssen mit den Kräften haushalten, Debakel kommen nicht mehr oft zustande. In der Defensive können wir uns gut verkaufen, da gibt es die Unterschiede nicht mehr so wie früher. Es ist schwerer, eine Mannschaft aufzumischen; wenn man körperlich stark und taktisch diszipli­niert ist, ist ein achtbares Resultat allemal zu erzielen.

Kommen wir zurück zum eigentlichen Thema. Wie lässt sich das Betreuen und Aktualisieren Ihrer Homepage mit Beruf und Familie vereinbaren?

Es ist ein reines Freizeitprojekt neben meinem Beruf im Bundesamt für Vermessungswesen. Es gehen sich aber auch noch andere Hobbys aus, ich habe eine zweite große Leidenschaft neben der Statistik, das Bergsteigen. Ende April muss ich langsam raus in die Berge, sonst halte ich das nicht durch. Die Statistik ist zwar sehr wichtig, aber ein Ausgleich muss sein.

Liefern Sie eine reine "One-Man-Show" ab oder gibt es auch Helfer, die Ihnen zur Hand gehen?

Im Prinzip mache ich es ganz allein, ich habe aber schon ein paar Helfer, etwa den Herrn Pichler vom Rapid-Archiv, der mir seine Sammlung österreichischer Zeitungen ab 1980 zur Verfügung gestellt hat, oder jetzt kürzlich einen steirischen Herrn, der mir den steirischen Cup und den Grazer Hallencup liefern könnte. Das ist kaum in Publikationen zu finden, das Problem ist nur, mir helfen ausschließlich komplette Datensätze. Ich habe nicht die Zeit, ständig einzelne Informationen abzugleichen.

Inwieweit sind Sie international vernetzt? Hat man so seine Kontakte, mit denen man sich austauscht?

Ich bin in diversen einschlägigen Foren registriert, zum Beispiel dem RSSSF (The Rec.Sport.Soccer Statistics Foundation), das ist die größte Daten­sammlung über internationalen Fußball. Persönlich tausche ich mich manchmal mit Anton Egger aus, dem Herausgeber einiger sehr guter Fußballbücher über die österreichische Meisterschaft und das Nationalteam.

Gab es eine Art Initialzündung, ein spezielles Erlebnis, wodurch alles angefangen hat?

Kein spezielles Erlebnis, ab dem Jahr 1962, mit neun Jahren, war ich sehr oft mit meinen zwei Brüdern am Fußballplatz und habe begonnen, mich dafür zu interessieren. Am Anfang habe ich die Spiele in Tabellen eingetragen und ab 1970 habe ich angefangen, mit der Schreibmaschine alle Länder- und Europacupspiele mitzuschrei­ben. Alles ganz simpel, Aufstellung und Ergebnis, der richtige Gusto ist mit dem Internet gekommen.

Es geht also hauptsächlich um den Spaß bei der Sache? Nur um die persönliche Zufriedenheit oder steckt schon auch das Ziel dahinter, die Datenbank einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen?

Ich sehe an den Reaktionen, dass viel Interesse da ist. Fußball ist trotz aller Skierfolge nach wie vor der wichtigste Sport im Land. Und ein wenig eitel bin ich schon und sage, ich habe ein europaweit einzigartiges Projekt. Das klingt überheblich, aber bezogen auf die Komplettheit und Komplexität, ab 1894 jedes Meisterschaftsspiel mit Aufstellung, wäre mir nichts dergleichen bekannt. Das macht schon stolz und das Produkt sollen natürlich auch viele Leute sehen.

Gibt es eine Art Ziel­publikum?

Jemand, der tages­aktuell informiert sein will, kommt nicht auf meine Home­page, das gibt es anderswo besser. Sie ist ein Nachschlagewerk für statistisch Interessierte oder einfach um schnell nachzusehen, wie oft hat Österreich gegen England gespielt und wie ist die Bilanz.

Werden Sie manchmal als Spinner bezeichnet?

Im positiven Sinne, ja. Und wer sich mei­ne Homepage ansieht, spinnt in diesem positiven Sinne ja selbst. Auch aus Ungarn und Tschechien kommen viele positive Reaktionen bezüglich der ganz alten Daten. Man muss bedenken, dass Österreich gegen Ungarn lange Zeit das wichtigste Sportereignis in beiden Ländern war. Die Tschechen interessieren sich für die 1920er Jahre, speziell für den Deutschen Fußballclub Prag (DFC), in manchen Zeitungen damals präsenter als die Wiener Klubs.

Sind Sie stolz auf einen besonderen Datensatz? Vielleicht weil er besonders schwer zu recherchieren war?

Ja, ich bin zum Beispiel stolz auf den Tagblatt-Pokal von 1901 bis 1903. Ich habe da die einzigen authentischen Daten, nur die Abschlusstabelle fehlt leider. Deswegen, weil sogar das »Tagblatt« selbst, nachdem der Sieger mit dem WAC feststand, nicht mehr darüber berichtet hat. Aber das zu bekommen war wirklich schwer, da bin ich stolz. Mich freuen auch Dinge, mit denen man niemals rechnen würde. Es gibt eine tolle Seite aus Finnland mit allen Informationen zum dortigen Cup. Ich habe den Betreiber angeschrieben und gefragt, ob er zufällig die Statistik zu Finnland gegen Österreich von 1931 hat und prompt die authentischen Daten mit Quellenangabe zurückbekommen, das sind Highlights, das freut mich dann sehr. (Interview: Jürgen Pucher, Foto: David Schreyer)