Pakistans autokratisch herrschender Staatspräsident Musharraf und seine Partei haben die Parlamentswahlen verloren. Nun wollen die lange verfeindeten Oppositionsparteien regieren.
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Vor der kleinen Teebude in Islamabad sitzen rund 30 Männer auf Plastikstühlen, ihre Blicke hängen gebannt an dem Fernseher, der auf einer Metallkiste thront. Zahlen flimmern über den Schirm. Die Männer quittieren sie mit freudigem Murmeln und höhnischem Gelächter. Pakistans Volk hat gewählt – und den ungeliebten Präsidenten Pervez Musharraf abgestraft. Bei den Parlamentswahlen triumphierte die Opposition. Die bisher regierende Muslimliga PML-Q, die Musharraf unterstützt, erlebte dagegen ein Waterloo.
Nach acht Jahren Militärregime bricht Pakistan in die Demokratie auf. Zwar dauerte die Zählung am Abend noch an, aber der Trend war klar. Die beiden großen Oppositionsparteien errangen mit knapp 60 Prozent der 272 Sitze einen Erdrutschsieg. Stärkste Partei wurde die Volkspartei PPP der ermordeten Benazir Bhutto mit mindestens 87 Sitzen. Es folgte die Muslimliga PML-N von Nawaz Sharif mit 66. Musharrafs PML-Q stürzte dagegen auf 38 Sitze ab. Und die Islamisten der MMA versanken mit nur drei Sitzen in der Bedeutungslosigkeit.
Aufbruchstimmung
Am Dienstag keimte so etwas wie Aufbruchstimmung in dem von Terror und Armut geschundenen Land auf. Auf den Straßen Pakistans feierten Menschen über die Parteigrenzen hinweg den Sieg über Musharraf. Auch die Börsenwerte in Karachi schossen nach oben. „Die Demokratie nimmt Rache“, titelte die Tageszeitung News. Durch die Städte rollten Autokorsos, Männer feuerten in die Luft und verbrannten die Parteifahne der PML-Q. Faktisch alle führenden Figuren des Musharraf-Regimes wurden abgewählt.
Die Opposition wird damit die Regierung und den Premier stellen. Das Geschachere um die Macht wird aber nun erst beginnen. Weil keine Partei die Mehrheit gewann, wollen PPP und PML-N noch am Donnerstag Koalitionsgespräche beginnen. Dabei werden der Bhutto-Witwer Asif Ali Zardari und Ex-Premier Sharif die Schlüsselrollen spielen. Sharif schnitt mit seiner PML-N besser ab als vorausgesagt. Während Zardari im Wahlkampf eine Koalition mit Musharraf nicht ausschloss, grenzte sich der „Löwe des Punjab“ klar von Musharraf ab.
Stunde der Rache für Sharif
Knapp neun Jahre, nachdem Musharraf ihn aus dem Amt jagte, könnte für Sharif nun die Stunde der Rache schlagen. Entspannt trat er am Nachmittag in seiner Hochburg Lahore vor die Kameras und steckte den Kurs für die Koalitionsgespräche mit der PPP ab. Er bestand darauf, dass die abgesetzten Verfassungsrichter, die bis heute unter Hausarrest stehen, wieder eingesetzt werden. Sharif weiß sehr wohl, dass dies das Aus für Musharraf bedeutet: Die Richter würden diesem das Präsidentenamt aberkennen.
So oder so scheint sich Musharrafs Ära dem Ende zuzuneigen. Zusammen mit anderen Parteien könnten PPP und PML-N zwei Drittel der Sitze erringen und Musharraf aus dem Präsidentenamt kippen. Selbst wenn er Präsident bleibt, steht er geschwächt und ohne Truppen da. Zwar hat er weiter die Macht, die Regierung abzusetzen. Aber das dürfte er nun kaum wagen, will er nicht einen Aufschrei des Volkes provozieren.
Emanzipierter Nachfolger
Auch auf das Militär kann Musharraf nicht mehr zählen, seit er im Dezember als Armeechef zurücktrat. Sein Nachfolger Ashfaq Parvez Kayani hat sich schnell emanzipiert und zum Rückzug des Militärs aus der Politik geblasen. Tausende Soldaten und Offiziere, die Posten in der öffentlichen Verwaltung einnahmen, werden in die Kasernen zurückbeordert.
Ihren Wahlsieg hat die PPP vor allem einer Toten zu verdanken: Seit der Ermordung von Bhutto am 27. Dezember schwebte die Partei auf einer Woge der Sympathie. Die Menschen wählten Benazir – und nicht ihren Witwer, der nun die Partei führt. Zardari ist höchst unbeliebt. Er soll in Korruptions- und Mordfälle verstrickt sein. Es ist daher fraglich, ob er selbst nach dem Amt des Regierungschefs greift. Stattdessen wird PPP-Veteran und Parteivize Makhdoom Amin Fahim als möglicher Kandidat gehandelt. (DER STANDARD, Printausgabe 20.2.2008)