Der Schwerpunkt Wolfgang Franzen ist die Steuerpsychologie.

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Nicht alle Betrüger wollten sparen, sagt der Steuerexperte Wolfgang Franzen zu Birgit Baumann. Für viele ist es ein Spiel, für andere "Rebellion gegen den Staat". Aber für alle gilt: Was man schon in der Hand hatte, gibt man ungern wieder her.

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STANDARD: Hunderte reiche Deutsche werden nun von der Steuerfahndung gejagt. Ist Steuerhinterziehung ein Sport der Oberklasse?

Franzen: Es geht quer durch alle Schichten, und es versteht ja auch jeder etwas anderes darunter. Viele Leute beispielsweise finden es völlig normal, dass sie ihre Handwerker schwarz bezahlen, sind aber empört, wenn jemand sein Geld zum Steuersparen nach Liechtenstein schafft. Auch wenn Sportler oder TV-Stars zum Steuersparen in die Schweiz oder nach Belgien ziehen, kommt das nicht gut an.

STANDARD: Dass jeder auf sein eigenes Geld schaut, müsste ja eigentlich verständlich sein.

Franzen: Wir beobachten da seit Jahren in Studien ein Paradoxon. Die Mehrheit der Deutschen sagt: Steuerhinterziehung ist durch nichts zu rechtfertigen. Aber genau die gleichen Leute meinen auch: Das Steuersystem ist aber auch so ungerecht, dagegen muss man sich wehren.

STANDARD: Was wird als ungerecht empfunden? Die Höhe der Steuern?

Franzen: Nicht ausschließlich. Viele Leute stört die Intransparenz – dass derjenige am meisten absetzen kann, der den besten Steuerberater hat und etwas von "kreativer Buchführung" versteht, während der Normalverdiener gerade seine Fahrtkosten zur Arbeit steuerlich geltend machen kann. Auch psychische Aspekte spielen eine Rolle: Wenn man sich mit anderen vergleicht, ist die gefühlte Steuerbelastung oft höher als die tatsächliche.

STANDARD: Warum werden Steuern hinterzogen? Nur um Geld zu sparen?

Franzen: Es gibt verschiedene Typen von Steuerhinterziehung. Die einen wollen natürlich schlicht und einfach Geld sparen. Viele sind auch der Ansicht, ihnen steht mehr Geld zu, weil ihre Arbeit mehr Wert ist als die von anderen. Für andere ist Steuerhinterziehung auch ein Spiel. Wieder andere nutzen die Hinterziehung als Mittel zur Rebellion gegen den Staat, als "Quittung" für vermeintlich schlechte staatliche Leistungen. Und für alle gilt: Was man einmal in den eigenen Händen hatte, gibt man nur ungerne wieder ab.

STANDARD: Ist das für Steuersünder abschreckend, dass jetzt gegen so viele ermittelt wird?

Franzen: Das könnte das Bewusstsein ändern. Die Höhe der Strafe schreckt Steuersünder nämlich nicht so sehr ab. Viel mehr Angst haben sie vor Enttarnung. Das scheint auch der Hauptgrund zu sein, warum viele Leute eben keine Steuern hinterziehen, sondern brav zahlen. Die haben diese Risikobereitschaft nicht. Es gibt aber auch Leute, die sagen: Ja, ich zahle meine Steuern gerne, weil es für das Gemeinwohl ist, weil ich lieber auf einer asphaltierten Straße fahre als auf einer Schotterpiste und weil nicht nur private, sondern auch öffentliche Schulen gut ausgestattet sein sollen. Aber so denkt nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.02.2008)