Das alte Geschäftsmodell der Musikindustrie, die kontrollierte Massenverbreitung der CD, löst sich in der Digitalwelt auf. Übrig bleibt ein Datenhaufen, den man weiter beherrschen will.

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Die Umsätze der Musikindustrie schrumpfen weiter. Den Kampf um Marktmacht via Produktion und Verteilung von CDs gibt sie nun doch langsam auf. Ihr Geld will sie sich künftig über eine Flat Rate von allen Internetnutzern holen.

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Plus 60 Prozent. Eine herzeigbare Zahl. Um soviel konnte Österreichs Musikindustrie ihre "Digital Sales" im Vorjahr steigern und auf einen Wert von insgesamt 10,2 Millionen Euro bringen. Dies bei zehn Millionen verkauften "Units". Was diese "Einheiten" genau sind? Quasi Kraut und Rüben. Ganze Alben im digitalisierten Kompressionsformat MP3. Aber auch einzelne Songs, Klingeltöne für Handys. Je nach Abrechnung ergibt Musik eine Zahl.

Die nackten Zahlen zeigen: Voll im Trend dürften "Streams" liegen, Musikstücke mit oder ohne Ton, die sich (vor allem) Jugendliche heute über die diversen Partizipationsseiten im Internet nach dem Strickmuster von YouTube nebenbei, wenn sie nicht gerade telefonieren oder in eine Party krachen, hineinziehen. Diese Streams zeigen in der Statistik, die der heimische Branchenverband Ifpi am Mittwoch präsentierte, ein Plus von 320 Prozent. Das ist eine große Zahl.

Eine Ursache für die telegene Steigerung ist, so gesteht Ifpi-Präsident und Universal-Austria-Chef Hannes Eder bei der Präsentation ein, dass sein Haus einfach einen Vertrag abgeschlossen hat. YouTube - seit 2006 im Eigentum des Internet-Konzerns Google - gibt Universal nun einen Teil seiner Werbeeinnahmen ab, je nachdem wie viele "Contents", auf die der größte Musikmulti der Welt die Rechte besitzt, auf der beliebten Video-Plattform zu sehen sind.

Dieses Detail des Gesamtbildes zeigt, wie sich die Industrie positionieren will: "Es ist ein Paradigmenwechsel: Aus einem Produktgeschäft wird ein Lizenzierungsmarkt", sagt Ifpi-Österreich-Chef Franz Medwenitsch. Man wird sukzessive Rechteverwalter. Und will das Geld nicht mehr damit verdienen, "Tonträger" über physisch vorhandene Geschäfte zu verteilen. Die CD hat in Österreich noch immer einen Marktanteil von über 80 Prozent. Freilich nur, wenn man den von der Industrie kontrollierten Markt betrachtet. Im nicht kapitalisierten Bereich - private Online-Tauschbörsen sowie halb bis gar nicht legale Angebote - läuft der Löwenanteil nicht mehr über gebrannte und getauschte CDs, sondern über Downloads via Breitbandnetz.

Die 2007er-Zahlen der Industrie im Detail: 24 Millionen "Einheiten" Musik wurden abgesetzt, ein Plus von neun Prozent. Die Umsätze sanken trotzdem um sieben Prozent auf 201 Millionen Euro. 2005 waren es noch 230 Mio., ein Jahr später 216 Mio. Euro (siehe Grafik).

Dem hat die Industrie nun seit Jahren zugeschaut. Die Reaktionen waren entweder panisch oder halbherzig. Ein wenig geliebter Branchenfremder, der Computerhersteller Apple mit dem erfolgreichen Vertriebsystem iTunes nämlich, hat den Multis erst die Augen geöffnet.

Jetzt bewegt man sich langsam in Richtung einer neuen Gegenstrategie: Derzeit laufen jedenfalls laut Medwenitsch und Eder Gespräche mit den heimischen Internetprovidern - nach internationalen Vorreitern, etwa in Skandinavien und Frankreich - über ein künftig mögliches Flat-Fee-Modell. Einfach formuliert: Ähnlich wie bei Rundfunkgebühren oder bei der sogenannten Leerkassettenabgabe kassiert der Verkäufer des Dienstes eine monatliche Gebühr, als Gegenleistung erhält der private Nutzer Zugang zum Musikkatalog der Plattenfirmen.

"Besitz" oder "Gebrauch"

So einfach dürfte es aber nicht werden. Die Gespräche seien zwar in einer frühen Phase, doch Eder spricht von Modellen, die sich zwischen Juke-Box und Plattensammlung bewegen könnten. Denn nicht allen Kundenschichten gehe es um den "Besitz" von Musik, sondern lediglich um den "Gebrauch". Und alle Zielgruppen sollten so bedient werden, dass "die Schwelle zum legalen Musikangebot möglichst niedrig ist", ergänzt Medwenitsch. Denn: "Alles überall um nix ist wirklich ein harter Feind." (Eder)

Flat-Fee-Modelle werden von Experten seit Jahren als Lösung aus dem aktuellen Dilemma der Industrie vorgeschlagen. Lange Zeit verhielten sich die Multis aber abwehrend und versuchten einerseits durch Klagen gegen Online-Tauschbörsen und auch gegen einzelne Internet-Benutzer die Entwicklung aufzuhalten, andererseits durch diverse Kopierschutzmodelle technisch die unkontrollierte Verbreitung vom Musik im digitalen Raum zu unterbinden.

Beide Strategien dürfen als gescheitert angesehen werden. Wird eine Online-Tauschbörse durch Klagen außer Gefecht gesetzt, entstehen zehn neue. Und vom Digital Rights Management haben sich die Multis in der jüngsten Vergangenheit verabschiedet, weil es genug anarchische Energie unter den Technikern dieser Welt gibt, die jeden Schutz bisher knacken konnten. Und jede Piraten-Lösung verbreitet sich wiederum binnen weniger Stunden durch das World Wide Web über den Planeten.

Eder gibt zu, dass es "möglicherweise durch verschiedenartige Interessen der Konzerne" bisher keine Flat-Fee-Lösung gegeben hätte. Doch die "Record Company ist überlebensfähig, und zwar als Entertainment Company". Medwenitsch betont in dem Zusammenhang auch, wie wichtig es sei, dass geistiges Eigentum geschützt werde. "Das ist die Existenzgrundlage der Musikbranche. Künstler sollen auch weiterhin von Musik leben können."

Ob die Künstler dafür weiterhin die Industrie brauchen werden, wird sich in den kommenden Jahren zeigen - siehe auch die PR-trächtige Online-Selbstvermarktung des jüngsten Albums der Artrockband Radiohead.

Und was so richtig boomt, ist das Livegeschäft, ein Musikbereich, der nicht digitalisiert werden kann. So hat der größte heimische Veranstalter von Rockfestivals, Musicnet, jetzt bekannt gegeben, dass mit Acts wie den wiedervereinigten Rap-Metal-Pionieren Rage Against The Machine, den ebenso wieder zusammengestoppelten Sex Pistols und den Deutschpunk-Helden Die Ärzte an drei Tagen 150.000 bis 160.000 zahlende Gäste auf ein Feld in Nickelsdorf gelockt werden sollen. Alles in allem erhofft Festivalmanager Ewald Tatar bei drei veranstalteten Großfestivals heuer 300.000 Besucher. Auch diese Zahlen wirken. (Leo Szemeliker, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.02.2008)