Diskurs
Serbien an der Kippe
Was Sorge macht, ist, dass die Staatsspitze das nationalistische Wüten nicht energisch genug verurteilt hat - von Andrej Ivanji
Vereinzelte Krawalle, einige Dutzend eingeschlagene Fensterscheiben, einige demolierte Autos – halb so wild, könnte man sagen. Selbst wenn die Ausschreitungen in Serbien antiwestliche Stoßrichtung hatten und westliche Botschaften und Firmensitze gestürmt wurden. Auch die mehr als 80 Verletzten wären noch kein wirklicher Grund zur Sorge, denn dazu kam es, als sich hunderte Hooligans Schlachten mit der Polizei lieferten, die das wilde Treiben verhindern wollte. Bilder, die man auch von Fußballspielen kennt.
Was aber Sorge macht, ist, dass die Staatsspitze das nationalistische Wüten nicht energisch genug verurteilt hat. Im Gegenteil: Aus Überzeugung – oder aus Angst, dass sich die Wut der Straße gegen sie richten könnte – zeigten einzelne Minister und Politiker Verständnis für den „gerechtfertigten“ Gewaltausbruch eines Volkes, dem Unrecht angetan worden sei.
Eine Haltung, die diverse nationalistische und neofaschistische Organisationen als grünes Licht verstehen könnten, auf alles Westliche oder Nichtserbische einzuschlagen. Bisher waren es nur Einzelfälle, die allerdings in eine systematische und organisierte Demonstration der Gewalt münden könnten. Das aufzuhalten wird keine einfache Aufgabe für die Regierung sein, in einem Land, in dem es Millionen Arbeitslose und Frustrierte und hunderttausende Flüchtlinge aus dem Kosovo gibt, einem Land, wo die Kriegswunden nicht verheilt sind. In einem Augenblick, wo dem Serbentum mit dem Kosovo das Herz herausgerissen wurde, wie viele Serben es empfinden: Sie können überhaupt nicht nachvollziehen, warum die EU einem souveränen Land einen Teil seines Territoriums „wegnimmt“. Vielleicht wird man sich in Serbien irgendwann mit der Realität abfinden und den Kosovo ziehen lassen. Momentan sieht es allerdings nicht danach aus. Die EU sollte alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Lage zu entschärfen. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.2.2008)