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Zur Person

Tariq Ramadan, umstrittener und prominenter Intellektueller, unterrichtet unter anderem in Oxford Islamwissenschaften. Er ist Präsident des Thinktank "European Muslim Network". Er wurde 1962 in Genf geboren und ist der Enkel des Gründers der Muslimbrüder.

Foto: APA/EPA/Salvatore Di Nolfi
In Europa werde zu viel über Integration geredet, sagt der prominente Islamwissenschafter Tariq Ramadan. Was Muslime von den Mohammed-Karikaturen und dem Streit über den Bau von Moscheen lernen können, sagte er András Szigetvari.

STANDARD: Aktuell wird in mehreren europäischen Ländern darüber diskutiert, den Bau von Moscheen und Minaretten zu verbieten. Dänische Zeitungen haben erst vor kurzem die Mohammed-Karikaturen erneut abgedruckt. Was bewirken diese Dinge bei europäischen Muslimen?

Ramadan: Wir können uns hinstellen, und das alles als Provokationen hinnehmen. Aber wir können aus jeder Provokation etwas lernen. Wer provoziert, sendet ein Signal aus. Nachdem die dänischen Karikaturen erschienen sind, habe ich zu vielen Muslimen gesagt: Jemand provoziert euch, weil er Angst hat, dass ihr die Meinungsfreiheit nicht akzeptiert. Daraus müsst ihr lernen. Seit ihr bereit, die Meinungsfreiheit zu akzeptieren? Ihr werdet aus Angst provoziert und auf diese Angst müsst ihr zuerst reagieren, bevor ihr auf die Provokation reagiert. Was die Minarette betrifft: Ich komme aus der Schweiz, wo die stärkste Partei (Christoph Blochers SVP, Anm.) keine Minarette will. Die Muslime können nun sagen, dass das Rassisten sind. Aber auch da steckt eine Botschaft dahinter.

Manche Menschen bekommen, wenn sie Minarette sehen, Angst vor einer islamischen Kolonialisierung. Muslime sollen nicht aufhören Minarette zu bauen. Aber müssen wir unsere Moscheen in einem orientalischen Stil errichten? Können wir die Architektur nicht auch verwestlichen? Nichts in den Texten sagt uns ja, dass eine gute Moschee orientalisch wirken muss.

STANDARD: Aber das ist für eine liberale Gesellschaft doch ziemlich erschütternd, dass da solche Kompromisse geschlossen werden müssen.

Ramadan: Über liberale Gesellschaften zu reden ist sehr einfach. Aber Freiheit hat immer auch etwas mit Gefühlen und Psychologie zu tun. Das kann man nicht leugnen. Also muss man sich auch um die Psyche der Menschen kümmern. Und wir müssen uns auch auf einen Lernprozess einlassen: Wenn der Islam universell ist, kann unser Geschmack nicht nur orientalisch sein.

STANDARD: Um gegen problematische Praktiken im Islam vorzugehen, argumentieren Sie, dass diese Praktiken nicht im Koran stehen. Aber der Islam beruht auf überlieferten Texten, aus denen sich doch alles rauslesen lässt.

Ramadan: Ich sagen nicht nur, dass bestimmte Dinge nicht im Koran stehen. Meine Botschaft ist: Ich verstehe, dass jemand aus einer konservativen Sichtweise heraus die Texte konservativ interpretiert. Aber sage mir nicht, dass das der einzige Weg ist, um ein guter Muslim zu sein. Es gibt nun einmal eine akzeptierte Diversität im Islam.

Der Punkt ist, dass man Muslime und ihre Art, wie sie mit den Texten umgehen nur durch einen Bezug auf die Texte selbst verändern kann. Ansonsten wird der Dialog der Religionen nur im Westen gehört. Und dann gibt es auch Dinge wie Zwangsverheiratung und häusliche Gewalt, die nicht nur nicht in den Texten stehen, sondern explizit antiislamisch sind.

STANDARD: Seit den Anschlägen von 9/11 werden die Debatten über Einwanderung immer stärker unter religiösen Aspekten geführt. Es geht nicht um Türken und Marokkaner, sondern um Muslime. Ist das umkehrbar?

Ramadan: Das Problem ist tatsächlich, dass große Verwirrung herrscht. Viele Schwierigkeiten, werden mit dem Islam und einer Kultur verbunden, obwohl sie damit gar nichts zu tun haben. Ich bin aber optimistisch. Die Situation der Muslime in Europa hat sich in den vergangenen 20 Jahren stark verbessert. Sie sind, egal ob in Deutschland, Österreich oder den Niederlanden, integrierter als je zuvor. Die meisten haben kein religiöses und kulturelles Problem im Aufnahmeland.

Deswegen müssen wir auch zu einem Post-Integrations-Diskurs übergehen. Wir müssen mit diesem "Ihr gegen uns" aufhören. Es geht darum, gemeinsame Schwierigkeiten, die es in der Gesellschaft gibt zu lösen. Wenn es also sozioökonomische Probleme in der Gesellschaft gibt, sollten wir auch darüber reden und nicht über Religion und Kultur. (DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.2.2008)