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Andreas Mailath-Pokorny über Sigrid Gareis: "Fragt mich jemand, wo sie ist, so zeige ich auf mein eigenes Herz."

Fotos: APA, Corn; Montage: Beigelbeck
Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte." Der Künstler, der sich selbst mit Kulturstadtrat Mailath-Pokorny verwechselte. Der Künstler als Kulturstadtrat Mailath-Pokorny. Oder umgekehrt. Entsinnen Sie sich der Gestalt des Bürgers Jourdain in Molières Der Bürger als Edelmann? Eines Tages verliebt er sich Hals über Kopf in eine junge Dame und bittet seinen Hausphilosophen, ihm beim Schreiben eines Liebesbriefes zu helfen.

Eines Tages bittet Kulturstadtrat Mailath-Pokorny seinen Haus- und MA7-Künstler, ihm beim Schreiben eines großen Lobs für die scheidende Intendantin des Tanzquartiers Wien, Sigrid Gareis, zu helfen. Der Künstler, der sich selbst mit Kulturstadtrat Mailath-Pokorny verwechselte und die TQW-Intendantin über alle Maßen mit Lob überhäufte, immer vorausgesetzt, dass er Kulturstadtrat Mailath-Pokorny wäre, war, durch sensorisch-motorische Verwechselwirkung sozusagen, geboren, und nicht nur er, auch ein neuer Gattungsbegriff war geboren, die Intendantinnen-Hymnik.

Gefragt, ob der Liebesbrief in Prosa oder als Gedicht verfasst werden soll, erfährt Jourdain zu seinem Entzücken, dass, wenn immer er redet, er in Prosa spricht. Er ist von der Entdeckung, sein ganzes Leben in Prosa gesprochen zu haben, überwältigt: "Ich spreche Prosa! Meine Güte, so habe ich vierzig Jahre lang Prosa gesprochen, ohne es zu wissen!"

Es ist nicht so lange her, da wurde im Büro unseres Kulturstadtrats eine ähnlich große Entdeckung gemacht - entzückt über eine große Entdeckung, die er eben gemacht hat, lief da ein Dr. Denscher zu seinem Chef Mailath-Pokorny und rief aus: "Es gibt eine Intendantinnen-Hymnik! Jetzt habe ich ein ganzes Beamtenleben verbraucht, ohne es zu wissen." Sofort begannen sie im Duett sich in dieser zu ergehen, wobei sich Propagandaklischees und individuelle ideologisch-poetische Zugaben gegenseitig stimulierten.

D: 1 2 3 4 5 6

M: Was machst du da?

D: Sie hat es in den sechs Jahren ihrer Intendanz wirklich weit gebracht.

M: Sie ist in den wenigen Jahren, in denen sie hier ist, tief in das Bewusstsein der Wiener Bevölkerung eingedrungen. Manches Tief- und Halbgefrorenes in der Gastronomie wird inzwischen Gareis genannt.

D: Gareisbecher.

M: Gareiszauber.

D: Der Name Sigrid boomt.

M: Das könnte in einigen Jahren zu Problemen führen, wenn all diese prächtigen Mädchen eingeschult werden.

D: Wenn die Lehrerin ruft: "Sigrid, an die Tafel!" und alle Mädchen zur Tafel stürmen.

M: Auch viele Buben werden im Zweitnamen auf Sigrid getauft.

D: Ach stimmt, der kleine Andreas Sigrid Mailath-Pokorny.

M: Mein entzückender Balg. Die Gareis ist seine Taufpatin. Die Wüste blüht, die Blume sprießt, aus dürrer Erde Wasser fließt, der Lahme wie ein Homunkulus springt, von Lieben ständig wir umringt. Erleben wird es, wer mit Fleiß ...

D: ... stets tanzt nach Gareis' Geheiß.

M: Sie ist das Idealbild einer Intendantin. Ich bewundere an ihr etwa die Virtuosität in den Künsten, ihre Kühnheit und edle Gesinnung, ihre rhetorische Begabung, geistige Elastizität, Kenntnisse der Sprachen. Nicht nur die Gewohnheit bringt es mit sich, dass uns dieselbe Choreografie gefällt und missfällt.

D: In ihr erreicht menschliches Maß seinen letzten Sinn.

M: In dem Postulat politischen Fingerspitzengefühls und intelligenter Programmierung verschmelzen ihr ritterliches und humanistisches Ideal. Sie ist die Scheitelhöhe, von der aus österreichischer und internationaler Tanz erst möglich wurde. Arte et marte lautet die Zwillingsformel ihres Handelns, Denscher. Sie ist die Intendantin, die der Berufung durch mich immer würdig war. Wer, wenn nicht sie? In die österreichische Seele hat sie sich eingefühlt, wie kaum eine Österreicherin es vermöchte. Wenige Jahre nur - einem Wunder gleich stieg aus dem Schutte der neue österreichische Tanz. Was immer wir uns träumend ersehnten, in nur sechs Jahren ward es vollbracht.

D: Keine Widerstände können sie zurückhalten, nicht einmal die meinen.

M: Sie ist stets die Tapferste und die Erste, wenn es gegen den Feind geht. Hoch aufgerichtet steht sie vor uns. Sie ergreift das Wort. Sie spricht in uns noch lange fort. Jedes Aufsehen vermeidet sie, ebenso unverschämtes Selbstlob, wodurch man sich immer Hass und Missgunst derer zuzieht, die es anhören müssen.

D: Mutig verstopft sie die Ohren vor trügerischer Harmonie.

M: Sie führt ihr Haus durch Sturm und grausige Signale des Frührots und tanzt und lässt tanzen das neue Österreich. Fragt mich jemand, wo die Intendantin des Tanzquartiers Wien ist, so zeige ich auf mein eigenes Herz.

(Julius Deutschbauer, DER STANDARD/Printausgabe, 23./24.02.2008)