Parteichef und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer fachte mit einigen Aussagen in der ORF-Pressestunde die Diskussion um Neuwahlen an. Gusenbauer meinte, die "Neinsager in der ÖVP" würden es "darauf anlegen, die Regierung möglichst rasch in die Luft zu jagen". Er stellte so die Möglichkeit in den Raum, dass die Regierung frühzeitig zerbrechen könnte. In einer anschließenden Stellungnahme erläuterte der Kanzler aber, er glaube, es sei "völlig unsinnig, über Neuwahlen zu spekulieren. Wenn die Koalition ihre Arbeit macht, arbeitet sie bis Ende 2010", andernfalls "wird die Legislaturperiode früher oder später zu Ende sein".

Harte Reaktionen aus der ÖVP

Die ÖVP reagierte auf Gusenbauers Steuerreform-Vorstoß vor allem mit Kritik am Kanzler selbst. Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky bezeichnete den Bundeskanzler als "Sprengmeister der Nation". Es scheine, als hätte er seine Führungsfunktion "innerhalb seiner Truppe" verloren. Ob die Regierung bis 2010 halte, könne sie nicht sagen, sie jedenfalls mache "den Job sehr gerne".

Im gleichen Wortlaut sagten ÖVP-Chef Willhelm Molterer ("Die ÖVP lässt sich keine Ultimaten stellen") und sein Parteifreund Umweltminister Josef Pröll: "Wenn Alfred Gusenbauer Neuwahlen will, dann soll er es sagen." Pröll wolle jedenfalls keine. Er sehe "eine gemeinsame Basis der Zusammenarbeit, wenn Gusenbauer auf den Boden des Koalitionsabkommens zurückkehrt."

Sein Parteikollege, der Nationalratspräsident Michael Spindelegger, meinte vor Neuwahlen brauche sich nie jemand fürchten, aber man sollte sie auch nicht aktiv anstreben. Seine Amtskollegin Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, die Vorsitzende der SPÖ-Frauen, begrüßte den Vorstoß von Gusenbauer. "Gerade alleinerziehende Frauen sind von der rasanten Teuerung stark betroffen und müssen jeden Cent zwei Mal umdrehen. Daher ist es absolut sinnvoll, die Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen so rasch als möglich umzusetzen."

Cap und Schüssel zurückhaltend

Die Klubobleute der Regierungsparteien, Josef Cap (SPÖ) und Wolfgang Schüssel (ÖVP), haben sich zu möglichen Neuwahlen zurückhaltend gezeigt. Schüssel meinte lediglich in einem kurzen Statement Richtung SPÖ, eskaliert "wird nur von einer Seite". Die ÖVP wolle arbeiten.

Cap will wiederum in Sachen Steuerreform eine "Reformmehrheit in der Bevölkerung" suchen. Ob damit ein Urnengang gemeint ist, blieb unklar. Die ÖVP werde sich nicht ewig den Wünschen der Menschen entziehen können, sonst werde der Abstand zwischen ihr und Bevölkerung größer, so Cap.

Unterstützung und Neuwahl-Ablehnung aus der SPÖ

Auch in allen SPÖ-Stellungnahmen wird betont, keine Neuwahlen zu wollen. Nicht an Neuwahlen denken wollten auch Sozialminister Erwin Buchinger und Frauenministerin Doris Bures. "Neuwahlen sind für uns kein Thema", erklärte Buchinger am Montag. "Wir können und wollen die Arbeit nicht aufgeben", so der Minister. Er verwies auf "genügend Projekte", die es laut Regierungsprogramm umzusetzen gelte. Bures appellierte daher ihrerseits an den Koalitionspartner, "aus dem Schmollwinkel herauszukommen" und "Maßnahmen zu setzen".

SPÖ-Regierungskoordinator Werner Faymann hat die von Gusenbauer geforderte Vorverlegung der Steuerreform als Chance für die Regierung bezeichnet, gleichzeitig aber wieder den Koalitionspartner in die Pflicht genommen: "Bei gutem Willen der ÖVP sind in der Koalition sowohl die Steuerreform als auch die Reform des Gesundheitssystems vorzeitig umsetzbar."

Oberösterreichs Parteichef Erich Haider: "Die SPÖ will keine Neuwahlen. Die SPÖ will auch keinen Bruch der Koalition, aber die SPÖ will endlich arbeiten." Auch die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller forderte die Regierung zum Weiterarbeiten auf.

Pühringer ortet Radikale in der SPÖ

Gegen Spekulation über Neuwahlen wegen des jüngsten Streits in der Bundesregierung hat sich Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP) ausgesprochen. "Belästigen wir die Wähler nicht mit irgendwelchen Neuwahlspekulationen", so Gusenbauer das gestern indirekt gemacht habe, sagte Bartenstein. Eine Vorverlegung der Steuerreform auf 2009 schloss der Wirtschaftsminister aus.

Der ÖVP-Vorsitzende Oberösterreichs, Josef Pühringer, analysierte Gusenbauers Vorstoß auch: "Momentan habe ich den Eindruck, dass Gusenbauer ein Getriebener der Radikalen ist" - unter anderem des oberösterreichischen SP-Chefs Erich Haider. So schätzte der oberösterreichische ÖVP-Landesparteiobmann Landeshauptmann Josef Pühringer Montagfrüh im ORF Radio Oberösterreich die aktuelle Situation in der Großen Koalition ein. Er wolle keine Neuwahlen, weil deren Ergebnis wahrscheinlich ohnehin wieder eine Große Koalition wäre.

Wortgefechte aus den Ländern

Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) tritt weiterhin für ein Vorziehen der Steuerreform ein. Er habe dies bereits seit Monaten gefordert, so Niessl. Angesichts des rauen Koalitionsklimas gehe er davon aus, dass sich Vizekanzler Wilhelm Molterer in der ÖVP durchsetzen werde und "die Neinsager-Fraktion unter dem Vorsitzenden (Wolfgang, Anm.) Schüssel" endgültig zur konstruktiven Arbeit bewegen könne. Der SPÖ gehe es nicht um die Zusammenarbeit, sie wolle viel eher Neuwahlen "provozieren", sagte sein Landeshauptmannstellverteter Franz Steindl (ÖVP).

Vorarlbergs ÖVP-Landesparteiobmann Landeshauptmann Herbert Sausgruber hält ein Ende der SPÖ-ÖVP-Zusammenarbeit für denkbar. "Wenn die SPÖ die Partnerschaft nicht aktiv mitträgt, dann funktioniert das nicht. Selbstverständlich ist die Koalition in Gefahr", sagte Sausgruber am Montag gegenüber der APA. Der SPÖ-Landesparteivorsitzende Michael Ritsch stellte im Interview mit ORF Radio Vorarlberg fest: "Entweder kommt man jetzt zum Schluss, dass man gemeinsam arbeiten will, oder man lässt es".

Als "letzte Chance der Bundesregierung, die Glaubwürdigkeit wieder zu erlangen" sieht der steirische Landeshauptmann Franz Voves (SPÖ) den Vorschlag von Gusenbauer für eine vorgezogene Steuerreform. Er sei "glücklich" über den Vorschlag des Parteivorsitzenden, wenngleich es "vielleicht gescheit" gewesen wäre, ihn bereits vor Weihnachten zu machen. Was die Situation der Koalition betreffe, habe er dem Bundeskanzler nichts hinzuzufügen: Auch er sieht in der Steuerreform eine "große Hürde" und eine Nagelprobe.

Für die steirische ÖVP meinte der stellvertretende Bundesobmann Christian Buchmann, Kanzler Gusenbauer wolle in einer "Panikreaktion die Koalition sprengen". Seinerseits wollte Buchmann sich auf Spekulationen über die Haltbarkeit der Koalition nicht einlassen, die Hauptverantwortung liege bei Gusenbauer: "Wenn er Neuwahlen will, soll er sie ausrufen."

Vorgezogene Neuwahlen seien zum jetzigen Zeitpunkt nicht notwendig, betonte der Tiroler SPÖ-Chef, Hannes Gschwenter am Montag. Richtig sei allerdings, die Steuerreform vorzuziehen und angesichts des Wirtschaftsbooms und höherer Steuereinnahmen einen Teil des "Staatserfolges" an die Bürger weiterzugeben, meinte Gschwentner zur APA. Landeshauptmann Herwig van Staa (ÖVP) wollte Forderungen nach einer früheren Steuerreform oder Neuwahlen nicht kommentieren, wie es aus seinem Büro hieß.

Gemeindebund und Industriellenvereinigung gegen Vorziehen

Der sozialdemokratische Wirtschaftsverband ("Klein- und Kleinstbetriebe brauchen jetzt eine Steuerreform") und ÖGB-Vizepräsidentin Renate Csörgits ("auch Gesundheitsreform duldet keinen Aufschub") stellten sich hinter Parteichef Alfred Gusenbauer.

Bauernbund-Obmann Fritz Grillitsch plädierte am Montag dafür, dass sich alle "konstruktiven Kräfte" wegen der Steuerreform an einen Tisch setzen sollten. Von einem Termin-Vorziehen hält Grillitsch aber ebenso wie von Neuwahlen nichts.

Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer warnte vor dem Aufschnüren des Finanzausgleichs: "Grundlage des aktuellen Finanzausgleiches war die Einigung darüber, frühestens im Jahr 2010 eine Steuerreform durchzuführen."

Industriellenvereinidungs-Präsident Veit Sorger plädierte für eine "wirklich umfassende" Steuerreform: Den Spitzensteuersatz will er auf 45 Prozent senken, die Einkommensgrenze auf 100.000 Euro verdoppeln. Die Entlastung der Klein- und Mitteleinkommen soll über die Lohnnebenkosten erfolgen. Zwar sprach sich Sorger nicht explizit gegen ein Vorziehen der Entlastung aus, betonte aber, dass diese erst "erarbeitet" werden müsse. (APA/red)