Er vergibt jene Parker-Punkte, auf die in Verkaufskatalogen, an Weinregalen und auf vielen Winzer-Homepages nicht ganz ohne Stolz hingewiesen wird. Veröffentlich werden sie im „The Wine Advocate“, dem einflussreichsten Wein-Newsletter, der weltweit von Fachleuten wie Weinfreunden gleichermaßen gelesen wird und durch den sich viele anregen lassen, zu einer bestimmten Flasche zu greifen. Seit 2004 beschreibt und bewertet David Schildknecht nunr für Robert Parker jr. und ist neben Österreich auch für Frankreich (außerhalb von Bordeaux), Deutschland und die USA östlich der Rocky Mountains zuständig. Seit Mitte der 1980er besucht er „seine“ Regionen regelmäßig und mehrmals im Jahr. Bevor Schildknecht hauptberuflich bei Parker einstieg, arbeitete er in der Gastronomie, war Weinhändler, Weinimporteur (zwei unterschiedliche Berufe in den USA) für französische Weine und schrieb nebenbei für große Publikationen wie „Wine & Spirits“ und Stephen Tanzers „The International Wine Cellar“ über Deutschland, Österreich und Ungarn, alles Regionen, die er zwar bereiste, aber nie importierte. Schildknecht und Parker kennen sich seit Verkostungen in Schildknechts Zeit als Weinhändler. Parker schätzt vor allem Schildknechts „einzigartigen Verkostungsfähigkeiten und laserartige Präzision“.

DER STANDARD: Welche Rolle hat ein Weinkritiker?
David Schildknecht: Er muss sich bewusst sein, dass man die Kunden und auch die Winzer beeinflussen und neue Ideen und Ansatzpunkte liefern kann. Und das ist auch das, was mich am meisten dabei reizt. Man an darf natürlich nicht glauben, dass man es besser weiß als der Winzer, oder dem Winzer sagen, wie er etwas machen sollte. Man sollte eher sagen, dass man etwas für gelungen hält. Oft sind für mich die interessantesten Weine nicht die, die im Weingut in der vordersten Reihe stehen und eine große Rolle spielen.

DER STANDARD: Ideengeber für Weintrinker - wie sieht das aus?
David Schildknecht: Es gibt Mensche, die sich nicht trauen zu experimentieren, sondern sich lieber darauf verlassen, dass sie gelesen haben, dieser Wein soll gut sein. Sie haben Vertrauen entwickelt und sagen, okay, wenn diese Person etwas Neues empfiehlt, sollte ich es eigentlich versuchen. Aber es besteht auch die Gefahr, dass sich die Leute nur an Punktebewertungen orientieren und dann ihrem eigenen Geschmack nicht mehr so richtig trauen. Es ist auch wichtig als Weinkritiker auf Neues hinzuweisen: Das kann eine neue Sorte in einem Betrieb sein oder ein ganz neuer Ansatz, etwas zu machen. Oder ein neuer Weinstil. Natürlich ändern sich Winzer und Betriebe mit den Jahren, es gibt zum Beispiel Generationswechsel. Das muss man respektieren, und versuchen zu erklären, was da jetzt passiert.

DER STANDARD: Ist das also etwas Positives, wenn sich der Stil eines Betriebes ändert?
David Schildknecht: Es ist vor allem natürlich. Selbst wenn man eine Stilistik pflegt, mit der man sehr viel Erfolg hat. Auf der einen Seite will man natürlich nichts ändern. Auf der anderen Seite muss man immer in Bewegung bleiben. Man kann bei einem Generationswechsel nicht erwarten, dass alles beibehalten wird, nur weil man früher Erfolg hatte. Auf der einen Seite tut es mir manchmal leid, wenn ich sehe, dass in einem Betrieb alles kaputt gemacht wird. Das gibt es natürlich auch. Aber auf der anderen Seite darf man nicht erwarten, dass immer alles beibehalten wird. Und hoffentlich ist es dann auch hilfreich für Winzer, wenn sie die Ansicht eines Weinkritikers lesen können. Es gibt immer Betriebsblindheit und da ist auch das enge Verhältnis, das ein Winzer zu seinem Wein hat.

DER STANDARD: Ideen für Weintrinker ... das heißt aber auch es ist auch Teil der Aufgabe, die Leser dazu anzuregen, sich auf den eigenen Geschmack einzulassen?
David Schildknecht: Genau. Ich finde es schön, dass bei gleicher Rebsorte in unterschiedlichen Gebieten auch verschiedene Stilistiken möglich sind, sodass man auswählen kann. Gerade Grüner Veltliner ist ein schönes Beispiel dafür, auch Riesling. Das Schlimmste, was man machen kann, ist zu sagen, nur so und nicht anders muss ein Grüner Veltliner schmecken, und dabei vergessen, auf die Vielfalt hinzuweisen. Ich versuche meine persönliche Einstellung nicht preiszugeben, sondern die Bandbreite eines Weines, einer Rebsorte zu beschreiben. Aber die Gefahr besteht halt immer, wenn man viel Einfluss hat und Punktbewertungen vergibt, dass die Leute sich davon blenden lassen und dass sie dann ihren eigenen Geschmack nicht mehr so richtig aufbauen.

DER STANDARD: Welche Voraussetzungen muss man als Weinkritiker mitbringen, um in der Lage zu sein, jemanden sagen zu können, probier den Wein einmal?
David Schildknecht: Das wichtigste ist, dass man eine gewisse Vorstellung vom Stil eines Weines hat: Es gibt die Geographie und einen geschichtlichen Kontext. Wichtig ist auch: Probieren ist nur eine Momentaufnahme. Man muss einschätzen können, wo ist dieser Wein in seiner Entwicklung. Ich denke, das ist nicht nur intuitiv, sondern auch Erfahrungssache. Wichtig ist auch die Fähigkeit, Wein analytisch zu zerlegen.

DER STANDARD: Kann man das auch lernen?
David Schildknecht: Ich denke schon. Zum Beispiel: Was darf man übersehen, wenn man einen Wein kostet? Was ist wesentlich und was ist unwesentlich. Es kann in einem jungen Wein Primärnoten geben, die eigentlich in der weiteren Entwicklung danach nie mehr auftauchen werden. Lohnt es sich, sich das anzumerken. Was auch sehr wichtig ist, ist die Fähigkeit, den Wein analytisch zu zerlegen, sozusagen.

DER STANDARD: Welche Punkte sind da wichtig?
David Schildknecht: Struktur, Zusammensetzung - die Architektur des Weins. Auf der anderen Seite muss man den Wein immer noch genießen können als Kritiker, sonst kann man die Sinnlichkeit nicht mehr rüberbringen. Parkers höchste Begabung für mich ist, dass er diesen Enthusiasmus immer noch mitbringt.

DER STANDARD: Ist es eine Stärke von Robert Parkers Art zu bewerten, dass man weiß, mit welchem Stil man es zu tun hat?
David Schildknecht: Das kann sein. Ich persönlich versuche, eine möglichst breite Stilistik zu vermitteln. Bei jedem Weinkritiker ist es aber wichtig, dass man Vertrauen aufbaut. Leser lernen im Lauf der Jahre und fühlen sich wohl bei einem Weinkritiker.

DER STANDARD: Was ist Ihre größte Begabung?
David Schildknecht: Hoffentlich hab ich beides. Man versucht, möglichst bei jedem Wein die ganze Erfahrung mitzubringen, und auf der anderen Seite, den Wein zu probieren, als gäbe es nie zuvor etwas anderes. Da ist dieses unvermittelte Vergnügen, dass man an Wein hat. Und dann das Wundern: Wie haben die so etwas zusammengebracht. Dieses Neuigkeits-Gefühl bei jedem Wein zu haben, ist fast unmöglich, aber man soll das doch versuchen. Das ist genauso wie mit Musik, wenn man etwas mehr von Musik versteht, ein Stück vielleicht in die einzelnen Partien zerteilen kann und darüber nachdenkt.

DER STANDARD: Wie schmeckt Struktur und Architektur für jemanden, der nicht Weinkritiker ist?
David Schildknecht: Zum Teil ist das wie in der Musik. Ein Musikstück entfaltet sich im Laufe der Zeit. Auch Wein hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Ein Wein kann einem beim zweiten Schluck etwas anders vorkommen. Er entfaltet sich am Gaumen. Auch Harmonie beim Wein hat einen sehr hohen Stellenwert, das Zusammenspiel von Komponenten wie Frucht, Alkohol, Körper, Säure. Ich lege auch immer großen Wert auf die Länge: Wie lange bleibt der Geschmack des Weines im Mund. Struktur und Architektur bedeuten auch, dass man versucht, etwas zu bauen, dass Festigkeit und Dauerhaftigkeit hat.

DER STANDARD: Was ist mit der Fruchtebene? Das schmeckt nach Himbeeren, Brombeeren, Erdbeeren...
David Schildknecht: Die britische Wein-Schule, lebt ohne Fruchtaromen festzustellen. In gewisser Hinsicht gebe ich diesen Leuten auch Recht, dass es uninteressant ist, welche sechzehn Fruchtaromen man jetzt schmeckt. Aber man will ja, dass der Leser eine Vorstellung des Weines bekommt.

Wie wichtig ist es verdeckt oder nicht verdeckt zu verkosten? Das ist Ansichtssache. Ich persönlich muss den Wein zuerst in einem Kontext kosten können. Es kommt auch darauf an, den Wein auch im Zusammenhang mit anderen Weinen am Weingut zu verstehen und mit der Vorstellung des Winzers. Ich lege sehr viel Wert darauf, die Weine direkt am Weingut zu verkosten und auf das Gespräch mit dem Winzer.

DER STANDARD: Themenwechsel: Wie geht’s weiter mit österreichischem Wein?Der Boom des Grünen Veltliners - war’s das schon?
David Schildknecht: Natürlich könnte man Grüner Veltliner weiterproduzieren, wie es bisher die Besten im Kamptal und in der Wachau tun. Ich weiß nicht, ob das noch besser werden kann. Aber da braucht man sich keine Sorgen machen, weil die Qualität und der Erfolg schon sehr, sehr groß sind. Aber ich war immer ein Weißburgunderfan, das ist eine sehr vernachlässigte Sorte. Und wenn man sich nicht in Österreich dessen annimmt, dann gibt es niemanden. Die Österreicher sollten eigentlich meiner Meinung nach viel mehr auf diese Sorte aufpassen. Auch in der Zusammenarbeit mit den Weinkritikern. Denn es wird überall auf der Welt erzählt, dass Weißburgunder sich schwer verkaufen lässt. Und das kann dann ein Problem sein für die Winzer, die diese Sorte anbauen.

DER STANDARD: Was ist das Spannende am Weißburgunder?
David Schildknecht: Das Spannende an Weißburgunder ist, dass er Säure, Frischfruchtigkeit, Lebendigkeit und ein Spiel mitbringt. Das findet man zwar auch bei Riesling. Aber Weißburgunder hat diese Cremigkeit. Und er entwickelt sich so schön. Er spiegelt auch Terroir wider.

DER STANDARD: Bei Weißburgunder findet man sehr oft die Beschreibung: Er ist ja so ein guter Speisenbegleiter. Adelt das einen Wein oder wird er dadurch in die Ecke gestellt?
David Schildknecht: Das ist vor allem eine Tatsache. Und es drückt aus, dass man diese Verwendungsmöglichkeiten hat, dass er sehr geschmeidig ist. Chardonnay in den besten Fällen bringt auch diese Frische, hat auch natürliche Säure und kann cremig werden. Aber Chardonnay ist so terroirspezifisch nach meinem Begriff. Ich bin ein Fan von weißen Burgundern, also Weißweinen aus Burgund. Ich finde aber, es ist in anderen Weltteilen sehr schwierig einen Chardonnay zu keltern, der wirklich Tiefe hat. Es geht dabei auch darum, eine besondere Balance mit dem Boden zu haben: Und das funktioniert super in Burgund. Aber von Chardonnay als Weltsorte war ich nie überzeugt. Von der Primärfrucht her ist er uninteressant. Dass er trotzdem zur Weltsorte wurde, das ist sozialgeschichtlich zu verstehen, aber vom Geschmack her nicht.

DER STANDARD: Was ist das Sozialgeschichtliche dran? Der größte Weißwein der Welt ist Montrachet. Und in der Neuen Welt wollte man natürlich auch einen Montracht haben. So wie man Cabernet Sauvignon angepflanzt hat wegen Bordeaux, so hat man Chardonnay gepflanzt wegen Burgund. Und deswegen gab es dann immer mehr Chardonnay. Zur Weltsorte wurde er, weil es eine Sorte ist, die nicht besonders empfindlich ist: Man kann eine gute Menge bekommen, die aber geschmacklich uninteressant ist. Aber langfristig ist die Kundschaft für Wein nicht zu täuschen und der Markt entscheidet, was interessant und was nicht interessant ist. Und ich denke, das Urteil wird jetzt allmählich gefällt, dass Chardonnay ja eigentlich gar nicht so interessant war. Der Markt hat derzeit viel mehr Spaß mit Riesling und Grünem Veltliner. (DER STANDARD/Rondo/22.2.2008)