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Es ist nicht zu bestreiten, dass der Bundeskanzler mit der Scheidewegzehrung, die er dem Regierungspartner in der "Pressestunde" des ORF verabreicht hat, Aufmerksamkeit wie noch selten erregte. War es in den Wochen vorher die Frage eines Untersuchungsausschusses über Vorgänge im Innenministerium, an der der Fortbestand der Koalition zu hängen schien, legte er Sonntag einen Zahn zu und brachte die ÖVP mit dem Ultimatum in Rage, bei der Steuer- und der Gesundheitsreform etwas mehr Entschlussfreude an den Tag zu legen. Manche führen diese überfallsartige Akzeleration des politischen Führungswillens darauf zurück, der von diversen Missethonträgern der Erpressung beschuldigte Kanzler könnte seinerseits von Parteifreunden erpresst worden sein, aus der selbstgewählten Isolation des Moderators heraus- oder als Parteivorsitzender abzutreten. Die Beteiligten werden das bestreiten.

Wahrscheinlicher ist, dass er die ÖVP plötzlich nur deshalb mit der Vorziehung von Reformen sekkiert, weil er sich nach den Wortmeldungen des ÖVP-Klubobmannes in der "Wiener Zeitung" und im "Kurier" vom Wochenende endlich davon überzeugen musste - möglicherweise zu spät -, dass es im Innenministerium, gewissermaßen naturgesetzlich, immer nur sauber und einwandfrei zugegangen sein kann. "Es wurde niemand bespitzelt" sprach Wolfgang Schüssel im "Kurier" ein Machtwort, und das in einem Ambiente, das an seiner Glaubwürdigkeit nicht den geringsten Zweifel erlaubt.

Unteres Belvedere am Freitagnachmittag: Der Wagen des ÖVP-Klubobmanns parkt gegenüber, obwohl ihm Agnes Husslein bestimmt Einfahrt gewährt hätte. "Ich liebe ja Kokoschka", erklärt Wolfgang Schüssel, als er sich so unauffällig wie möglich, aber unter dem wachsamen Auge der Reporterin unter die Museumsbesucher mischt, "besonders den träumenden Knaben". Mit leiser Stimme analysiert er für den "Kurier" Kokoschkas Wandlungen, sinniert über dessen Obsessionen und staunt über ein Bild, in dem der Künstler sein von Alma Mahler abgetriebenes Kind versteckt hat. Wer Kokoschka liebt, besonders den träumenden Knaben, der kann kein ganz schlechter Mensch sein. Von dessen Analyse der Wandlungen Kokoschkas würde man gern profitieren, aber interessiert das den "Kurier"? Den interessiert: Hat er als Ex-Kanzler mehr Zeit für solche Momente?

Nicht nur für solche. Als wäre er von der Atmosphäre der Rücksicht angesteckt, ist Wolfgang Schüssel auch im anschließenden Interview, vor den verwandelten Körperformen des in Liverpool geborenen Künstlers Tony Cragg - und den anverwandelten Gesichtsformen Franz Xaver Messerschmidts, aber das unterschlägt der "Kurier" höflicherweise - besonnen, nachdenklich und spricht leiser als sonst.

Aber was er spricht, müsste in den Ohren der Abgeordneten von vier Parlamentsfraktionen wie Donnerhall klingen! Die Verdächtigungen, Liese Prokop hätte irgendetwas vertuscht, sind ja geradezu absurd! Zur Bawag: Ich kann garantieren, dass der ÖVP-Klub nicht ein einziges Aktenstück bekommen hat, das nicht auch die Parlamentsfraktionen bekommen haben. Nur die Kleinigkeit, wann er es bekommen hat, lässt Schüssel offen. Aber er wähnt sich angesichts der erhobenen Vorwürfe ehrlich gesagt im falschen Film.

Womit er nicht der Einzige ist. Das BIA ist meinem Wissen nach eine vorbildliche Anti-Korruptionsbehörde, sowohl was gerechtfertigte als auch was ungerechtfertigte Anschuldigungen betrifft. Daher kein Untersuchungsausschuss. Was soll denn da bitte herauskommen? Ich habe ein hundert Prozent reines Gewissen. Wir haben weder wen bespitzeln lassen, noch haben wir etwas verdeckt oder vertuscht.

Den Beweis dafür hatte Schüssel schon zwei Tage zuvor in der "Wiener Zeitung" abgeliefert. In den vergangenen beiden Wochen gab es eine Menge von politischen Vorwürfen gegen das Bundesministerium für Inneres, die alle entkräftet werden konnten. Na bitte! Etwa die Ermittlungsfehler im Fall Kampusch. Innenminister Günther Platter hat klug gehandelt: Im Februar 2008 wurde eine Sechserkommission zur Evaluierung unter dem Vorsitz von Ludwig Adamovich eingesetzt. Wie klug Liese Prokop vor den Wahlen im Herbst 2006 gehandelt hat, als sie keine Kommission zur Evaluierung einsetzte - also bitte, etwas mehr Pietät, ja! Und im Fall Bawag? Tatsache ist: Der ÖVP-Klub hat keinerlei Unterlagen erhalten, so Schüssel in der "Wiener Zeitung". Nicht einmal die, die auch die Parlamentsfraktionen bekommen haben?

Eine politische "Ermittlung" durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss wäre nur ein politisches Tribunal, stärkte Schüssel seiner Partei das Rückgrat. Ein U-Ausschuss ist ein Instrument zur Klärung der politischen Verantwortung für strafrechtlich bereits geklärte Vorgänge. Demnach dürfte eine Klärung der politischen Verantwortung durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss überhaupt nur stattfinden, wenn auch ein strafrechtlicher Vorgang vorliegt - und geklärt ist. Eine interessante Auffassung von politischer Verantwortung. Vor allem dann, wenn sich die Verdächtigen selber die Persilscheine ausstellen. (Günter Traxler/DER STANDARD; Printausgabe, 26.2.2008)