Die EU hat auf britische Politiker keine gute Wirkung, findet Nick Clegg: "Wir sind alle verrückt geworden. Wir hauen uns große Rhetorik um die Ohren und vernachlässigen die Fakten." Was der frisch gewählte Parteichef der traditionell proeuropäischen Liberaldemokraten ausdrückt, war dieser Tage im Unterhaus live zu beobachten. Bei der Debatte über den Lissabonner Vertrag, der die gescheiterte EU-Verfassung ersetzen soll, hallte das Londoner Parlament wider von den Anschuldigungen eingeschworener EU-Feinde, Großbritannien stehe kurz vor dem Ausverkauf an Brüssel. Und wie an den acht Tagen zuvor, beschwichtigten Sprecher der Labour-Regierung, der neue Vertrag sei "ein vollkommen neues Dokument" (Premierminister Gordon Brown) und wahre britische Interessen. Die konservative Opposition "redet immer von der Zusammenarbeit europäischer Nationen, will aber keine Institutionen in Brüssel unterstützen", klagt der frühere Europa-Staatssekretär Peter Hain. "Das hat mit der Realität nichts zu tun."
Clegg (41) zieht aus dem unproduktiven Streit einen kuriosen Schluss: Es sei "Zeit für die entscheidende Frage: Wollen wir drin sein oder draußen?" Das Referendum von 1975, in dem zwei Drittel der Briten für ihren Verbleib in der damaligen EWG stimmten, sei lange her, rechnet der Liberaldemokrat vor: "Niemand unter 51 ist je gefragt worden." Deshalb sei eine neuerliche Volksabstimmung angemessen.
Cleggs Idee wird zwar von anerkannten Pro-Europäern wie Ex-EU-Kommissar und BP-Chairman Peter Sutherland unterstützt (siehe Interview), hat aber keine Chance auf Realisierung. Die unpopuläre Labour-Regierung will den Vertrag vom Parlament ratifizieren lassen, eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die EU aber um jeden Preis vermeiden. Dann käme zum Vorschein, analysiert der Ire Sutherland in einem Aufsatz für den Federal Trust, "dass Großbritanniens EU-Mitgliedschaft heute halbherziger ist als je zuvor in den vergangenen 35 Jahren".