Papier ist geduldig, Websites aber auch - wie sonst ließen sich die abertausenden Blogs im Internet erklären. Als müssten deren Schreiber beweisen: Wer nichts wird, wird nicht mehr Wirt, sondern Weblogger.

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Mein Biobäcker bloggt, meine Möbeltherapeutin bloggt, mein Verleger bloggt, meine Kolleginnen und Kollegen sowieso. Und letztens hat sich gar das Leitfossil der gedruckten Meinung, Kronen-Zeitung-König Hans Dichand, einen Blog auf den Leib schneidern lassen.

Blogs, jene vertrottelte Wortchimäre aus "Web" und "Log", sind zur Hauptquelle eines vermeintlichen Weltwissens geworden. Das Lexikon hat ausgedient und setzt antiquarische Patina an. Die Brockhaus-Enzyklopädie wird, jüngsten Meldungen zufolge, sogar überhaupt nicht mehr als Print-Ausgabe neu aufgelegt, sondern wandert ab 15. April als kostenloses Lexikon ins Internet. Die Bibliothek verstaubt zu einem Altpapierlager, und die Zeitung versteht sich als Museumsfenster in eine vergangene Zeit. Information wird nach dem Grad ihrer Zugänglichkeit bewertet, Zuverlässigkeit ist kein Kriterium.

Die Blogosphäre

Dabei hat alles so schnuckelig angefangen. Philantrope Programmierer stellten kostenlos downloadbare Programme zur Verfügung, mit denen Webseiten unkompliziert und formal ansprechend mit Texten gefüllt werden konnten: Smarte Blogsoftware für alle - die Blogosphäre war geboren. Vorbild waren die millionenteuren Redaktionssysteme der großen Printdampfer, die damit ihre Websites mit aktuellen News sowie den Netz- versionen ihrer Printausgaben beschickten.

Privatblogs sahen plötzlich so gut aus wie die Online-Ausgaben von Times und CNN. Statt einer Heerschar von Journalisten zangelten Einzelne und stellten heiße Luft ins Netz. Blog-Content ist unredigiert und unreflektiert, aber schnell. Fatal in einer Welt, in der Geschwindigkeit eine Tugend ist. Semiprofessionelle Nachrichtenerzeuger wie Künstler und Sportler ergriffen die Chance gleich nach den US-Bobos. Sie beschickten ihre Blogs mit Vernissagengeplapper und Fanpost, der Bekanntgabe von Medaillengewinnen und den Bulletins von Knochenbrüchen und Sehnenzerrungen.

Die Wohnzimmer-Blogger konterten mit tagesaktuellen Berichten über Geburtstagsfeten, Autokrankheiten, die Befindlichkeiten ihrer Katzen und Hunde oder wälzten breit aus, was ihnen das Leben schwer- oder leichtmache. Aufgepeppt waren und sind die Ergüsse der Home-Poster mit Privathandyfotografie und redundanten Fundstücken aus dem Weltweitnetz.

Helden und Stars

Ein Sub-Genre der Szene, Blog-Archive wie Technorati, beschäftigen sich ausschließlich damit, zitable Blogs zu reihen und zu bewerten. Damit imitieren sie die Affirmationsmechanismen von wissenschaftlichen Publikationen auf niedrigem Niveau: Wer oft zitiert wird, muss besser sein.

Natürlich hat auch die Welt der Blogs ihre Helden und Stars. Sichtbar stellt sich deren Ruhm allerdings erst dann ein, wenn traditionelle Medien darüber berichten. Erst dann schnellen Clickraten in die Höhe.

Dabei hat sich alles so romantisch entwickelt. Unterdrückte Kopftuchträgerinnen machten sich in Blogs über den Alltag unter iranischen Mullahs Luft, Dissidenten-Nerds posteten aus dem bombardierten Bagdad, und Geheimwissensträger berichteten Geheimwissen aus der US-Army oder strategischen Unsinn aus den Microsoft-Headquarters.

Weniger romantisch kommt mittlerweile der größte Blog der Welt daher, Wikipedia, das Archiv des Halbwissens. Zusammengetragen von einem obskuren Zirkel an Teenagern, Mittelschullehrern und Privatgelehrten schreibt Wikipedia das Weltwissen neu. Information wird zum Ergebnis pseudodemokratischer Abstimmungen degradiert, Wissen mit Glauben verwechselt, Wahrheit mit Googlebarkeit.

Tagesbefindlichkeiten und Schlechtgeschriebenes

Studenten, die sich ihr Prüfungswissen mittels Wikipedia anbüffeln, wundern sich, warum sie durchfallen. Politiker, denen die Mechanismen der Meinungsmache nicht fremd sein sollten, fallen regelmäßig über selbstlaufende Blog-Hypes rein.

Im schlimmsten Falle greifen sie selbst zur Tastatur und klopfen öde Tagesbefindlichkeiten, Schlechtgeschriebenes und Selbstgedachtes in ihre "Privatblogs".

Die Welt ist zum Netz geworden und das Netz zur Blogosphäre. Wissen wir jetzt mehr? Nein. Wir finden das Unbeantwortete nur schneller. Maxim Biller, Altmeister der publizistischen Selbstbezichtigung, hat völlig recht mit der Diagnose: Mittlerweile schrieben mehr Menschen, als dass sie läsen.

Das Pendel wird zurückschnellen. Ich prognostiziere die Renaissance traditioneller Lexikalik und das Wiederauferstehen der Recherche.

Es sollte mich sehr wundern, wenn Googles Eggheads nicht schon an profunden Glaubwürdigkeitstools arbeiteten. Und die wissenschaftliche Comunity, die ermahne ich: Schreibt uns Wikipedia neu. Ein Klacks für euch. Eure Gegner sind pubertierende Nerds und arbeitslose Lehrer. (Andrea Maria Dusl/Der Standard/rondo/29/02/2008)