Alec Empire: "The Golden Foretaste of Heaven" (Eat Your Heart Out 2008)

Coverfoto: Eat Your Heart Out
Den Sound Berlins - Post-Mauerfall, Post-Goldgräberstimmung, Post-Techno - am Leben zu halten hat sich Alec Empire für sein aktuelles Album auf die Fahnen geschrieben, oder ließ es zumindest so verlautbaren. Auf jeden Fall ist er dafür aus London wieder in seine Geburtsstadt zurückgekehrt und hat "The Golden Foretaste of Heaven" nicht mehr auf Digital Hardcore, sondern dem neu geschaffenen Label Eat Your Heart Out herausgebracht. Paradoxerweise ist er für die Vertonung des Heute weiter denn je in die Vergangenheit - weit hinter die oben genannten Wendemarken - zurückgegangen. Was kein Schaden sein soll: Alles ist erlaubt, wenn nur das Ergebnis passt.

Das Album beginnt mit einem Stück, das die Wiederauferstehung Gary Numans (abzüglich dessen immer ein wenig peinlich gewesenen Pathos) sein könnte: koketterweise "New Man" betitelt. "Down Satan Down" und "Death Trap in 3D" werden den Sound in weiterer Folge der Platte wieder aufgreifen, wenn auch nicht ganz erreichen. "New Man" - hohes Tempo, hoher Druck, hohe Voltzahl - ist der Synthie-Kracher schlechthin ... führt den Hörer, der sich nun vielleicht eine Pop-Platte ausmalen würde, allerdings auf die komplett falsche Fährte, wie schon Stück 2 zeigt:

--> Video-Link: "On Fire"

"If You Live Or Die" weckt mit Feedbackrauschen zunächst unerwartete Assoziationen in Richtung Velvet Underground, die sich im Verlauf von "Golden Foretaste" aber mehr und mehr bestätigen werden: "1000 Eyes" und "No/Why/New York" wälzen sich ähnlich majestätisch dahin wie einstmals "Heroin", übersteuerte Keyboard-Fiepser gesellen sich zu verzerrten Gitarren und führen Empires alte Vorgehensweise - die Synthese von Rock und Elektronik - bloß in neuen Bahnen weiter.

Die Bandbreite ist groß, umfasst die mit minimalistischen Piepsern verkleidete Abneigungserklärung "Bug On My Windshield" ebenso wie den brachialen Rocker "On Fire", der seinerseits umgehend vom spacigen Zwitscher-Funk "Robot L.O.V.E." abgelöst wird. - Und trotzdem: All das, die Dynamik, die sich aus dem Wechsel schneller und langsamer sowie leiser und LAUTER Passagen ergibt, die Stil-Synthesen und Empires Bereitschaft Melodien herauszuarbeiten, waren schon auf früheren Alben wie dem großen "Intelligence & Sacrifice" (2002) erkennbar. Auch wenn er einem damals noch mit dem Panzerwagen ins Gesicht fuhr.

Demon to some ... angel to others

Wirklich neu ist allerdings Empires Stimmeinsatz - kurz gesagt: er singt. Kein Kreischen und Brüllen mehr und - ganz im Gegensatz zum Instrumentarium - keine Verzerrungen. Und er tut's auf die für jemand mit überschaubarem vokalen Vermögen denkbar beste Weise: lakonisch. Hat nicht eben wenig von Lou Reed, was sowohl den Stücken wie auch der Philosophie der Platte gut ansteht. Einmal mehr herausragend das düster-traurige "1000 Eyes", auf dem sich Empire richtiggehend sanft zeigt. Alec Empire und sanft, was das neue Jahrtausend nicht so alles gebracht hat ...

Nüchtern ließe sich feststellen, dass die in den mittleren 30ern eintretende Beruhigung und Hinwendung zum Inneren offenbar auch vor einem einstigen Reiter der Apokalypse nicht halt macht. Gerne wird über "The Golden Foretaste of Heaven" auch allenthalben angemerkt, wie auffällig unauffällig plötzlich das Thema Liebe in den Songs eingekehrt sei. Dass das Album im letzten Stück "No/Why/New York" nicht explosiv, sondern mit dem langsam verhallenden Eingeständnis I was never afraid of the world, but now I'm afraid of a world without her ausklingt, ist in der Tat kein kleines Statement. Von den für Empires einstige Band Atari Teenage Riot typischen Revolutionsslogans hat sich das jedenfalls ein ordentliches Stück entfernt. Aber noch einmal: Alles ist erlaubt, wenn nur das Ergebnis passt.

"The Golden Foretaste of Heaven": Eine Art neue Schönheit mit geglätteten Oberflächen, errichtet über kantigen Stahlgerüsten, Brachflächen und Ruinen. Das beschreibt Berlin gar nicht schlecht. (Josefson)