Was reitet wohl den Bundeskanzler, dass er vor zehn Tagen einen Streit um die Steuerreform losgetreten hat? Über alle möglichen taktischen Erklärungen ist ausführlich diskutiert worden - dieses Buch bietet einen strategischen Erklärungsansatz: In den mehr als 24 Stunden, in denen Alfred Gusenbauer im Vorjahr für dieses Buch mit seiner ehemaligen Öffentlichkeitsarbeiterin Katharina Krawagna-Pfeifer und dem Falter-Chef Armin Thurnher geplaudert hat, hat der Kanzler ziemlich deutlich klargelegt, wie eine rote Handschrift im Steuersystem aussehen sollte.

Dabei geht es ihm nicht nur um eine Entlastung kleiner Einkommen (die ohnehin nicht besteuert werden), sondern um massive Umverteilung. Wenn das Argument richtig wäre, dass Vermögen und Besitz dorthin wanderten, wo sie nicht besteuert würden, "stelle ich die Frage, warum nicht der gesamte Besitz und das gesamte Geld der Welt in Österreich sind. (...) Jedenfalls hat es Österreich gar nicht mehr notwendig, hier mit einem besonderen Steuerprivileg zu operieren. Ich glaube, dass wir selbst dann ein exzellenter Investitionsstandort wären, wenn wir uns gegenüber Besitz und Vermögen so verhielten, wie sich der Durchschnitt der europäischen Staaten verhält."

Gänzlich ohne Zeitdruck hat Gusenbauer in den hier zusammengefassten Interviews einen Steuersatz von 25 Prozent auf jeglichen Vermögenszuwachs als Ziel seiner Steuerreform festgeschrieben. Es sind solche Bekenntnisse, die diesem durchwegs im Plauderton formulierten und erfreulich unaufgeregten Buch hohe Aktualität verleihen. Ebenso spannend sind die Gespräche auch, wenn Gusenbauer mit dem ÖGB abrechnet ("wie eine Nebenparteiführung") oder mit der Ausweitung der Staatsausgaben unter der großen Koalition in den Neunzigerjahren ("richtig und falsch verstandene keynesianische Politiken").

Die österreichische Identität definiert der Kanzler so: "Sie baut auf ein paar Essenzialien auf. Nämlich Demokratie, Sozialpartnerschaft, Rechtsstaat, Neutralität und auf einem starken sozialen Ausgleich." Und auf dem Genuss, zu dem er sich bekennt: "Der Wein gehört zur österreichischen Nationalkultur." (Conrad Seidl/DER STANDARD, Printausgabe, 4.3.2008)