Am zweiten Verhandlungstag hat der unter anderem wegen amtsmissbräuchlicher Vergabe von Schengen-Einreisegenehmigungen angeklagte Ex-Botschafter in Kiew das Außenministerium für die Situation in der österreichischen Vertretungsbehörde mitverantwortlich gemacht. Er habe in der damaligen Überlastungssituation beim Außenministerium um Rat gefragt, hätte aber keine Antwort bekommen, sagte er sinngemäß. "Auf meinen Hilferuf ist keine Reaktion erfolgt", sagte Michael M. vor dem Wiener Landesgericht. Laut Staatsanwaltschaft bewilligte er in rund 500 Fällen unrichtige bzw. unvollständige Einreisegenehmigungen.

Chaos

Was verschiedene Zeugen schon am Montag als Chaos in der Botschaft beschrieben, bezeichnete der Ex-Botschafter als "Schwanz, der mit dem Hund wedelt": "Die ganze Botschaft war von den Visa-Angelegenheiten in Beschlag genommen." Daher habe er in einem Schreiben an das Außenministerium angekündigt, Reisegruppen "bis zur Normalisierung der Personalsituation" nur mehr stichprobenartig zu überprüfen. Antwort kam nach seinen Aussagen keine. Aus dem Außenministerium hieß es am Montag, das Schreiben sei bekannt gewesen. Außenamtssprecher Peter Launsky-Tieffenthal verwies aber auf Zeugenaussagen aus dem Prozess, wonach "sowieso jeder Antrag individuell geprüft wurde".

"Das Haupthindernis für die flüssige Abwicklung war die Reisebürorichtlinie", meinte der seit Anklageerhebung vom Dienst suspendierte 54-jährige Michael M. außerdem. Diese vom Innenministerium im März 2000 ausgegebene Richtlinie sei "kasuistisch und praxisfremd", weshalb der Ex-Botschafter auch um deren Überarbeitung gebeten habe.

Kundenfreundlichkeit

Aus Hilfsbereitschaft habe er daher auch selbst in die Bearbeitung der Einreisegenehmigungen eingegriffen. "Ich war ja selbst einmal im Tourismus", so Michael M. "Man kann die (Reisegruppenleiter, Anm.) ja nicht tagelang (vor der Botschaft) warten lassen, das ist ja keine Kundenfreundlichkeit." Auch das Außenministerium habe "uns eingetrichtert, wir müssen kundenfreundlich sein". Dass der Ex-Botschafter sich persönlich und ausschließlich um einzelne Anträge gekümmert habe, erklärte er damit, dass er "helfen" wollte. "Ich wollte mich nie um das Visa-Zeug kümmern."

Zudem befürchtete er, dass es "zu einem Zusammenbruch des florierenden Wintertourismus nach Österreich" kommen würde, wenn sich die Behandlung von Visa-Anträgen durch Reisebüros weiter derart verzögere bzw. sie durchwegs abgelehnt würden. Ein "Exempel" habe er daher an einer 21-köpfigen Reisegruppe des Reisebüros "Lia" im Jänner 2004 statuiert. "Diese Gruppe exerziere ich selbst einmal durch", habe Michael M. damals gedacht und eine Entscheidung der damaligen Visa-Bearbeiter rückgängig gemacht sowie eine "Rücklaufkontrolle" angeordnet.

Als sich herausstellte, dass die Passkopien und die Stempel darin, die nach "Rückkehr" der Gruppe vorgelegt wurden, gefälscht waren, sei er "schockiert" gewesen. "Niemand hat mir gesagt, dass die Ukraine ein Hochrisikoland ist, was Migration betrifft", verwies Michael M. erneut auf - aus Sicht der Verteidigung unter Thomas Herzka - mangelnde Instruktionen aus dem Außenministerium.

Ein Zeuge wies allerdings darauf hin, dass es "allgemein bekannt" gewesen sei, dass Ukrainer illegal nach Westeuropa reisen - Männer vorrangig als Bauarbeiter, Frauen als Haushaltshilfen. Österreich sei zwar nicht als Ziel-, aber als Durchzugsland bekannt. Am Dienstag sollen weitere Botschaftsmitarbeiter dem Schöffensenat unter Vorsitz von Richter Andreas Böhm die durchwegs als "unüblich" bezeichnete Visa-Vergabe durch den ehemaligen Botschafter in Kiew in den Jahren 2003 und 2004 erhellen. (APA)