Der Weg zur Hilfe
Eine der Institutionen, die ihnen diese Möglichkeit bietet, ist der Verein Hemayat zur Betreuung von Opfern von Folter und Kriegstraumatisierungen in Wien. DerStandard.at hat Hemayat besucht und mit Menschen gesprochen, die Traumatisierten helfen. "Unsere Klienten kommen aus 40 Herkunftsländern mit Schwerpunkt Tschetschenien, anderen ehemaligen GUS-Staaten, Iran, Irak, Armenien, Aserbaidschan, Afghanistan und Afrika", sagt Geschäftsführerin Friedrun Huemer, die selbst Psychotherapeutin ist.
Meist kommen die Flüchtlinge aus Betreuungseinrichtungen, wenn sie auffällig sind, unglücklich, oft weinen. Aber auch eine rege Mundpropaganda in der Flüchtlings-Community führt viele zu Hemayat.
Traumata
"Die Diagnose lautet bei diesen Menschen meist posttraumatische Belastungsstörung. Bei Flüchtlingen ist es oft eine ganze Kette von Traumatisierungen", weiß Huemer. "Manchmal wurden alle Angehörigen getötet, das Haus in Schutt und Asche gelegt und Vergewaltigungen blieben den Opfern nicht erspart." Danach ist nichts mehr so wie es war.
Leid mit Folgen
Die post-traumatische Belastungsstörung kann sich aus diesen Traumata entwickeln: Schlafstörungen, wahnsinnige Nervosität, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Erinnerungsschübe oder Albträume. "Diese Symptome können immer wieder auftreten. Auslöserreize lassen das ganze Elend dann immer wieder erleben", schildert Huemer.
Stabilisierung und Bearbeitung
"Die Alltagsbewältigung ist durch diese Störung sehr eingeschränkt. Zeitmuster sind durcheinander, den Betroffenen fällt es schwer Termine einzuhalten, sie verwechseln oft Tage und viele Erinnerungsbilder lagern sich übereinander." So erklärt Psychotherapeutin Sonja Brauner die psychischen Probleme dieser Menschen, die sich noch dazu in einem fremden Land befinden, dessen Sprache sie noch nicht beherrschen.
Dazu kommt die Unsicherheit ob sie überhaupt in Österreich bleiben können. Wichtig sei einerseits die Stabilisierung der Menschen und andererseits die Bewältigung der Kriegserlebnisse und Folter.
Sprachrohre
Über die traumatischen Erlebnisse möchten die Menschen lieber in ihrer Muttersprache sprechen. Mascha Dabic und Julya Rabinowich sind zwei der Dolmetscherinnen bei Hemayat und sitzen im wahrsten Sinne des Wortes zwischen zwei Stühlen. Sie haben eine schwierige Aufgabe im Triangel Klient-Therapeut-Dolmetscher: "Man ist beiden Seiten als Sprachrohr verpflichtet", erzählt Dabic, "wichtig ist, dass man beim Übersetzen möglichst nahe am Original bleibt und auch Kommunikationsfehler und Missverständnisse mit dolmetscht, die unter normalen Umständen ausgebügelt werden".
Nähe und Abgrenzung gleichzeitig
Das Schwierige daran: Man brauche zwar die Nähe zum Klienten, damit Vertrauen möglich ist, trotzdem müsse man aufpassen, dass man aus der Therapie wieder herauskommt. Denn die Dolmetscherinnen sind weder Ko-Therapeuten noch Gesprächspartner. "Die Klienten hingegen erwarten sich oft Empathie vom Dolmetscher, weil er ihre Sprache spricht", weiß die junge Dolmetscherin, die selbst halb Russin, halb Serbin ist.
Interkulturelle Unterschiede
"Allerdings hat jede Sprache ihre Eigenheiten, man kann nicht immer eins zu eins übersetzen", spricht Huemer interkulturelle Differenzen an. Ein Beispiel dafür schildert Dabic: "'Ich bin auf Nerven' heißt auf Russisch nicht unbedingt nervös, es kann auch aufbrausend, aggressiv oder jähzornig bei Männern bedeuten." Solche Redewendungen müssen nach der Sitzung dann besprochen werden.
Ein anderes Beispiel erzählt Rabinowich: "Tschetschenen verwenden statt 'beleidigt' oft 'erniedrigt'. Das Wort bedeutet manchmal – nicht immer – also eine harmlose Kränkung." Huemer macht die Schwierigkeit im interkulturellen Dialog noch sichtbarer: "Tschetschenen ist der Ehrbegriff aber oft viel wichtiger als uns - insofern stimmt 'erniedrigt' wieder auf der psychischen Ebene." Interkulturelle Bedeutungen zu erkennen, dafür ist eben Fingerspitzengefühl und Erfahrung nötig, darüber sind sich alle einig.
Fremde Erlebnisse aus dem eigenen Mund
Damit die Übersetzung authentisch ist, wird in der Ich-Form übersetzt. "Ich hatte daher am Anfang das Gefühl ich bin vergewaltigt worden, ich bin gefoltert worden. Ich habe gemerkt wie das alles richtig in mich hinein kommt", beschreibt Julya Rabinowich ihre ersten Erfahrungen mit dem Dolmetschen in der Psychotherapie. Aus diesem Grund ist es wichtig mit der Zeit zu lernen, wie viel Abstand man braucht.
Schwieriger Vertrauensaufbau
Eine notwendige Sache für die Arbeit ist aber trotzdem der Aufbau von Vertrauen. Vor allem die Schweigepflicht nach außen ist wichtig dafür, denn gerade Vertrauensprobleme sind oft ein Symptom der Störung: "Menschen, die lange in Einzelhaft waren, tun sich schwer im Kontakt zu anderen Menschen", nennt Huemer einen Grund. Ungünstig seien auch Dolmetscher aus dem Herkunftsland der Betroffenen: "Eine vergewaltigte Tschetschenin muss um ihr Leben laufen, sie wird verachtet." Sie hätten dann häufig Angst, dass es jemand erfahren könnte, denn sie fürchten um ihr Leben.
Wichtig für die Integration
Für viele Klienten ist die Psychotherapie der erste richtige Kontakt mit Landsleuten, die hier leben. Es bedeutet für sie ein Andocken an die österreichische Kultur. "Die meisten sagen, dass es schön ist einen Platz zu haben, wo sie sich aussprechen können, Vertrauen fassen, in irgend einer Form integriert sind", klärt Brauner über die positiven Nebeneffekte der Therapie auf. "Wir merken immer wieder wie gerne die Menschen Kontakt hätten und wie gerne sie auch helfen würden um dazuzugehören. Aber in unserer Gesellschaft ist viel Misstrauen da und auch die Sprachbarriere ist ein Problem."
Die geschützte kommunikative Situation der Psychotherapie ist auch für Dabic sehr geeignet zur Integration: "Wenn man sonst im Asylbereich dolmetscht, ist es immer mit viel Stress, viel Druck verbunden, es geht darum, dass schnell möglichst viele Informationen ausgetauscht werden."
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