Für Albeiro Ramírez ist die Sache klar: „Der Hund, der bellt, beißt nicht“, lacht der 40-jährige Kolumbianer, als er zu Venezuelas Präsident Hugo Chávez befragt wird. „Während Chávez ständig schimpft und droht, schlägt unser Präsident kühl zu.“
Dass die beiden Antipoden Álvaro Uribe und Chávez ihre Länder in einen Bruderkrieg führen könnten, hält er für unwahrscheinlich. „Chávez mag zwar viele Waffen haben. Aber unsere Armee ist motivierter und kampferprobter.“ Der Hausmeister aus dem Stadtteil Chapinero im Norten Bogotás ist zwar kein Uribe-Fan, in der jetzigen Krise steht er aber, wie 83 Prozent seiner Landsleute, hinter dem Präsidenten.
Von der Krise, die am vergangenen Samstag durch den Angriff Kolumbiens auf ein Farc-Camp auf ecuadorianischem Boden ausgelöst wurde, scheint bisher vor allem Kolumbiens Präsident profitiert zu haben – jedenfalls, was sein Image im eigenen Land betrifft, Grenzverletzung hin oder her. „Dass den Farc-Banditen endlich das Handwerk gelegt wird, geht doch in Ordnung“, sagt eine Obstverkäuferin. Für sie war der getötete Farc-Vizekommandant Raúl Reyes schlicht ein Verbrecher.
Finsterer Chávez
Das Boulevardblatt El Espacio brüllt auf seiner Titelseite: „Völkermörder!“ Unter den blutroten Lettern prangt eine Karikatur eines finsteren Chávez in Uniform, der ein schreiendes Baby mit den Gesichtszügen seines ecuadorianischen Kollegen Rafael Correa in Händen hält.
Ein versöhnliches Signal kam aus Washington: Auf einer Sondersitzung bekräftigte die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) in der Nacht zum Donnerstag in einer Erklärung zwar das „Prinzip der Unverletzlichkeit des Territoriums“. Eine Kommission unter der Leitung des chilenischen OAS-Generalsekretärs José Miguel Insulza soll die Region besuchen, um den Vorfall zu untersuchen – noch vor dem 17. März, wenn zum ersten Mal seit 18 Jahren eine Konferenz der OAS-Außenminister stattfindet. Als Gegenleistung für die Zustimmung setzten die USA und Kolumbien aber den Verzicht auf eine Verurteilung Bogotás durch.
Genau die forderte Correa bei einem Staatsbesuch in Caracas am Donnerstag aber erneut. Wenn solche Aktionen wie der Angriff auf die Farc toleriert würden, bestehe die Gefahr, „dass sich Lateinamerika in einen zweiten Nahen Osten verwandelt“, sagte der Ecuadorianer.
Chávez bezeichnete die Aktion gar als „Kriegsverbrechen“. Kolumbianische Firmen in Venezuela könnten verstaatlicht werden, drohte er. Die Wirtschaftskontakte will er auf Null reduzieren. Venezuela verlegte zehn Panzer-Bataillone an die Grenze. In der Region werde sich aber nicht die „Bush-Uribe-Doktrin“ präventiver Angriffe durchsetzen, sondern eine „Doktrin der Integration und des Friedens und der Integration“, sagte Chávez. Der venezolanische Verteidigungsminister Gustavo Rangel sagte, die in die Grenzregion verlegten Truppen würden mit „Routineaufgaben“ betreut. In Bogotá erklärte sein kolumbianischer Kollege Juan Manuel Santos: „Diese Truppenbewegungen machen uns keine Sorge“.
Für manche kolumbianische Uribe-Kritiker hat die derzeitige Krise auch ihr Gutes: „Jetzt ist endgültig klar geworden, dass wir unseren Krieg nicht alleine bewältigen können“, meint der Schriftsteller Pedro Badrán. Er hofft, dass sich jetzt eine dauerhafte Initiative lateinamerikanischer Nachbarn entwickelt – ähnlich jener, die vor 20 Jahren die Friedensprozesse in Zentralamerika erst ermöglichte.