GNOME 2.22

Mit KDE4 hat die große Konkurrenz im Linux-Desktop-Bereich unlängst nach einer längeren Entwicklungsphase eine frische Generation der eigenen Software vorgestellt. Beim GNOME verfolgt man in Sachen Release-Politik einen etwas anderen Ansatz: Statt längeren Umbauzeiten und entsprechend "großen" Updates gibt es hier einen fixen Release-Zyklus, der auf kontinuierliche Verbesserung des Gegebenen setzt.

Zyklus

Daraus resultiert dann alle sechs Monate eine frische Major-Release, mit GNOME 2.22 ist es nun einmal mehr so weit. Die neue Version verdeutlicht dabei auch eines: So mancher gröberer Umbau lässt sich durchaus auch in einem fixen Release-Zyklus unterbringen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

gio/gvfs

Immerhin hat man mit der aktuellen Release eine der zentralen Technologien des Desktops ausgetauscht: Die Kombination aus gio/gvfs übernimmt künftig sämtliche I/O-Aufgaben des Desktops, das bisher dafür zuständige gnome-vfs wird nach und nach in Pension geschickt. Der neue Ansatz soll vor allem mit einer Reihe von grundlegenden Problemen aufräumen und auch die Einbindung für externe EntwicklerInnen vereinfachen.

Aufgaben

Die Arbeitsteilung sieht dabei so aus: Während gio den Kern der neuen Lösung darstellt und entsprechend in die neue Version der zentralen Bibliothek glib aufgenommen wurde, ist gvfs als eigenständiges Programm für die virtuellen Dateisystemaufgaben im User-Space zuständig. Was kompliziert klingt heißt vor allem, dass sich die Software um die korrekter Anbindung aller möglicher Devices und externer Ressourcen kümmert. Also etwa um die Verbindung zu einem FTP-Server, einem SMB-Share, aber auch zu einem Bluetooth-Handy.

Nautilus

"Hauptabnehmer" einer solchen Lösung ist natürlich der File Manager Nautilus, insofern wurde dieser auch als erstes vollständig auf die neue Basis portiert. Mittlerweile sind ihm bereits zahlreiche weitere Komponenten des GNOME-Desktops gefolgt, darunter alle Kernbestandteile. Mit der nächsten Major Release im September hofft man auch noch die restlichen Desktop-Teile auf gio/gvfs zu portieren, einen Überblick über den aktuellen Stand bietet das GNOME Wiki.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Umbauten

Die Umstellung auf gio/gvfs verdeutlicht aber auch, dass sechs Monate reichlich kurz für so zentrale Umstellungen sein können. So hatte man ursprünglich gar über eine Verschiebung der Veröffentlichung von GNOME 2.22 diskutiert, da gio/gvfs noch die eine oder andere Funktionalität im Vergleich zu gnome-vfs vermisst. Mit einer gemeinsame Kraftanstrengung hat man aber in den letzten Wochen praktisch alle dieser Problembereiche beseitigt, allen voran ist dabei der nun wieder zurückgekehrte FTP-Support zu nennen.

Plus und Minus

Lediglich die fonts:/// und themes:/// Preview-Ansichten sind in gvfs noch nicht implementiert und fehlen entsprechend derzeit noch. Zum "Ausgleich" bringt gvfs aber auch die eine oder anderen neue Funktionalität: So kann nun direkt auf den Inhalt von Audio-CDs zugegriffen werden, die einzelnen Lieder werden als WAV-Dateien dargestellt. Über gphoto2:/// können analog dazu alle kompatiblen Digitalkameras eingebunden werden.

Nautilus

Mit der neuen Basis im Rücken hat aber auch der Nautilus selbst eine Reihe von neuen Features spendiert bekommen. So werden mehrere Kopiervorgänge nun kombiniert in einem Dialog angezeigt, zusätzlich informiert ein Icon im Benachrichtigungsbereich darüber, wenn ein entsprechender Vorgang im Laufen ist.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Mounten

Mit der neuen Version geht auch eine Verschiebung der Zuständigkeiten einher: Um das Automounten von externen Geräten kümmert sich der Nautilus nun höchstpersönlich. Auch die Einstellungen für das Media Handling - also etwa welches Programm beim Einlegen einer Audio-CD automatisch gestartet werden soll - ist ab sofort hier zu finden. Damit deckt man einen Großteil der bisher vom GNOME Volume Manager gebotenen Funktionalität ab. Insofern bleibt abzuwarten, wie man auf Dauer die Grenze zwischen den beiden Lösungen ziehen will.

Clues

Eine weitere Neuerung im Nautilus ist der "Cluebar": Bei externen Medien wird hier eine Auswahl an Programmen geboten, mit denen das jeweilige Verzeichnis geöffnet werden kann. Also etwa eine Liste von Musikabspielprogrammen bei einem Verzeichnis mit MP3-Dateien.

Trash

Mit GNOME 2.22 hält sich der Nautilus nun auch an die Freedesktop.org Trashcan-Spezifikation, dies hat zur Folge, dass dort abgelegte Dateien nun sowohl von GNOME als auch von KDE-Umgebungen gefunden werden. Zusätzlich wurde beim Dateimanager der Support für externe Erweiterungen ausgebaut, auch werden nun eventuell vorhandene Cover-Icons von Daten-CDs korrekt angezeigt.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Zeitfragen

Einen größeren Umbau hat die Desktop-Uhr des GNOME erfahren: Basierend auf der "International Clock", die in aktuellen Linux-Versionen von SUSE/Novell zu finden ist, gibt es hier nun Support für mehrere Zeitzonen.

Auswahl

In den Einstellungen kann eine Liste von unterschiedlichen Orten erstellt werden, für die dann alle die aktuelle Lokalzeit angezeigt wird. Zusätzlich werden die jeweiligen Städte auch auf einer Weltkarte eingezeichnet, außerdem gibt es zu jedem Eintrag das aktuelle Wetter.

Wechsel

Vor allem jene, die sich öfters mal in unterschiedlichen Zeitzonen befinden, wird freuen, dass hier auch flott auf einen anderen Standort gewechselt werden kann - die Zeiteinstellungen werden nach einem simplen Klick auf den "Set"-Knopf entsprechend angepasst.

Panel

Beim restlichen Panel hat sich vergleichsweise wenig getan, vor allem der immer wieder mal angekündigte grundlegende Umbau für ein neues Applet-System lässt weiter auf sich warten. Immerhin gab es aber den einen oder anderen Feinschliff im Bereich "Eye Candy": Das Panel wird beim Start nun sanft in den Bildschirm "geschoben", beim Starten von Anwendungen gibt es eine kleine Launcher-Animation.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Totem

Eine Fülle von Neuerungen gibt es dafür dann wieder über den Videoplayer Totem zu berichten. So bietet dieser nun auch mit dem offiziellen Gstreamer-Backend endlich wieder DVD-Unterstützung (diese war mit dem Umstieg auf die gestreamer 0.10-Serie "verloren" gegangen), auch wenn der Support für DVD-Menüs weiter auf sich warten lässt.

Digital

Ebenfalls neu ist die Unterstützung für digitales Fernsehen: DVB-Programme können per Satellit, Kabel oder auch terrestrisch empfangen werden. Allerdings fehlt derzeit noch ein Scanner-Interface, die einzelnen Kanäle müssen also in einer Konfigurationsdatei festgelegt werden. Hier will man mit der nächsten Release nachbessern.

Vermischtes

Per Peer-to-Peer lassen sich nun eigene Playlist mit anderen sharen, es gibt einen auf der Desktop-Suche Tracker aufsetzenden Sidebar, der lokal verfügbare Videos auflistet, das Browser-Plugin wurde ebenfalls aufpoliert. Optional gibt es jetzt auch eine Youtube-Anbindung und die Möglichkeit das Media Center MythTV zu steuern.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Tomboy

Lange hat man beim Desktop-Wiki Tomboy mit dem Tagging-Support für einzelne Notizen experimentiert: In letzter Sekunde vor der Veröffentlichung von GNOME 2.20 wieder herausgenommen, wollte man das ganze eigentlich für die aktuelle Release wieder aktivieren - und hat es sich nun erst recht wieder anders überlegt.

Zusammenfassung

Statt dessen gibt es nun "Notebooks", in denen einzelne Notizen zusammgengefasst werden können. Dieser Ansatz habe sich letztendlich als brauchbarer zur Sortierung als das recht freie Spiel mit Tags erwiesen, begründet man die Entscheidung.

Templates

Jenseits der Notebooks kann der Tomboy nun auch mit der Möglichkeit, Templates für frische Notizen anzulegen, aufwarten. Außerdem hat man den Erweiterungssupport aufpoliert und die Synchronisation mit anderen Rechnern vereinfacht.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Metacity

Auch wenn sich Compiz einer weiter wachsenden AnhängerInnenschaft erfreut: Der Default-Window-Manager unter GNOME ist weiterhin Metacity, eine Entscheidung die auch durchaus Sinn macht, immerhin läuft Compiz ja auch nicht auf aller Hardware.

Compositing

Mit GNOME 2.22 putzt sich aber nun auch der Metacity ein Stück heraus: Optional verwendet er nun auch seinen eigenen Compositor, auch wenn man sich hier bei den Effekten wesentlich zurückhaltender als Compiz gibt.

Eintrag

Einmal aktiviert (im GConf-Editor unter apps > metacity > general den Eintrag compositing_manager anwählen), gibt es weiche Schatten unter den Fenstern, eine Miniaturansicht der Fenster in der Alt-Tab-Ansicht und diverse Transparenzeffekte.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Evolution

Vor allem im Bereich Optimierungen und Detailverbesserungen spielen sich die Änderungen bei der Mail/Groupware-Lösung Evolution ab. So wurde etwa das Spam-Filtering deutlich beschleunigt und mit einem eigenen Einstellungsdialog bedacht, die Kalender-Komponente und der Evolution Data Server sollen nun deutlich weniger Speicher verbrauchen.

Custom Labels

Evolution 2.22 erlaubt es Nachrichten mit individuellen Stichwörtern zu versehen, eine Art minimaler Tagging-Support also. Neu ist auch die Möglichkeit Google Kalender in die Anwendung einzubinden.

Meldungen

Fehlermeldungen werden nun vermehrt nur mehr in der Statuszeile des Evolution angezeigt, damit die BenutzerInnen bei einem Problem nicht mit Dialogen bombardiert werden. Optional kann jetzt ein externer Editor für das Erstellen von Mails verwendet werden, zusätzlich gibt es eine Vielzahl neuer Icons im Tango-Stil.

Ausblick

Vollständig überarbeitet hat man in den letzten Monaten auch die Exchange-Anbindung. Statt bisher über den Umweg Outlook Web Access will man künftig per MAPI direkt mit dem Server kommunizieren. Eigentlich sollte eine erste Version der neuen Lösung, die auf Samba4 aufsetzt, bereits mit GNOME 2.22 erscheinen, allerdings ist man damit noch nicht ganz fertig geworden. Wenn alles klappt, sollte es in den nächsten Wochen eine erste Preview geben, diese unterstützt dafür dann auch Exchange 2007-Server.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Sound Juicer

Der mitgelieferte Audio-CD-Ripper Sound Juicer wurde ebenfalls aufpoliert. Neben zahlreichen Bug Fixes ist es nun möglich manuell eine Disk-Nummer und eine Jahreszahl anzugeben, auch das Duplizieren von CDs erledigt die Software jetzt auf Wunsch.

Schlafen

Im Zusammenspiel mit dem GNOME Power Manager verhindert die Anwendung beim Rippen, dass der Rechner in den Schlafmodus geschickt wird. Ein Umstand vor dem eine eigene Benachrichtigung warnt.

Brenner

Selbiges passiert nun auch, wenn der Nautilus CD Burner zum Brennen von CDs oder DVDs ansetzt, immerhin wäre ein Suspend beim Erstellen einer Disk wohl eher wenig hilfreich. Eine weiter Neuerung: Der Nautilus CD Burner kann nun auch DVD-Video-Disks erstellen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Deskbar

Zurückgerudert hat man beim Deskbar Applet: Die Kombination aus Anwendungsstarter und zentralem Suchinterface setzt nun wieder auf das alte "Button"-Interface, bei dem das Programm direkt an das Panel gebunden ist. Das mit GNOME 2.20 eingeführte neue UI fand nur wenige AnhängerInnen.

Neues

Aber auch einige frische Module wurden in die Software aufgenommen. So lassen sich Evolution-Kontakte nun direkt aus dem Deskbar Applet öffnen und editieren, es gibt ein Templates-Moduls, die Tomboy-Anbindung erlaubt das schnelle Erstellen und Durchsuchen von Notizen.

Evince

Der Dokumentanzeiger Evince soll in der neuen Version spürbar schneller zu Werke gehen und auch weniger Speicher verbrauchen. Außerdem gibt es nun eine Autoscroll-Funktion, im Fall von Fehlern werden diese über die Notification Area des Desktops kommuniziert.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Control Center

Weiter voran treibt man die Vereinfachung der Einstellungsdialoge des GNOME: Im aktuellen Release Zyklus hat man die einzelnen Tools für die Tastatureinstellungen zusammengefasst. Lediglich die Shortcut-Definitionen sind noch in einem seperaten Modul zu finden.

Adieu

Und auch das gibt es: Der GNOME Keyring Manager ist nicht mehr Teil der offiziellen Release, seine Funktionalität wird mittlerweile vollständig vom GPG/SSH-Schlüsselmanager Seahorse abgedeckt. In gleich mehreren Komponenten hält optionaler PolicyKit-Unterstützung Einzug. Das Berechtigungs-Framework erlaubt es gezielt einzelnen BenutzerInnen die Möglichkeit zu geben, spezifische Tasks auch ohne Root-Berechtigungen ausführen zu können.

Split

Vor allem für EntwicklerInnen interessant: Die libgweather wurde aus den GNOME Applets ausgelagert und kann so nun auch von anderen Anwendungen verwendet werden. Ähnliches gilt für den GNOME Settings Daemon, der bislang im Control-Center-Modul zu finden war, künftig aber auch vom Login-Manager GDM verwendet werden soll.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Cheese

Neben den Verbesserungen an den bestehenden Komponenten gibt es aber auch in GNOME 2.22 wieder gänzlich frische Desktop-Bestandteile, dieses mal sogar ungewöhnlich viele. Allen voran dabei Cheese, eine Software, die sich spürbar von Apples Photobooth inspieren hat lassen.

3,2,1...

Über ein angehängte Webkamera können Fotos oder auch Videos aufgenommen werden. Dabei bietet das Programm eine Reihe von Verfremdungseffekten, um die Bilder etwas "auzupeppen". Die solcherart entstandenen Bilder lassen sich leicht in die Bilderverwaltung F-Spot exportieren, auch die Möglichkeit, eine Aufnahme als Account-Bild zu verwenden, ist integriert.

Flash

Mit GNOME 2.22 erhält der Desktop seine eigene Lösung zum Abspielen von Flash-Videos und der Erstellung von Thumbnails für entsprechende Dateien. Dabei setzt man auf swfdec-gnome, den GNOME-spezifischen Teil der freien swfdec-Flash-Bibliothek.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Vinagre

Ein weitere Neuzugang ist der der VNC-Client Vinagre: Er komplettiert den schon länger ausgelieferten VNC-Server Vino, so dass nun eine vollständige Fernwartungslösung geboten wird.

Integration

Eine, die äußerst gut mit dem restlichen Desktop integriert ist: So werden Passwörter im GNOME Keyring gespeichert, lokale VNC-Server können per Avahi automatisch aufgespürt werden. Verbindungen lassen sich bookmarken, auch die zuletzt aufgenommenen Verbindungen werden aufgelistet.

Anjuta

Die Developer-Tool-Suite des Desktops bekommt ebenfalls Zuwachs: Die Entwicklungsumgebung Anjuta wurde in den Rang einer offiziellen GNOME-Komponente gehoben. Mit Mousetweaks wurde zusätzlich ein Tool integriert, dass einige Verbesserungen im Umgang mit dem Mauszeiger aus dem Blickwinkel der Barrierefreiheit bringt.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Reste

Zu all dem kommen noch eine Vielzahl von Bugfixes und kleiner Optimierungen hinzu. So verwendet etwa der Text Editor Gedit nun das neuere GTKprint-Druck-Backend, der GNOME System Monitor hat eine hübschere Aufbereitung der Systemlast spendiert bekommen.

Download

GNOME 2.22 kann wie gewohnt in Form des Source Codes von der Seite des Projekts heruntergeladen werden. Wer nur mal schnell einen Blick riskieren will, für den gibt es ein VMware-Image, basierend auf Foresight Linux. Die Entwicklungsstränge der großen Distributionen werden wohl auch nicht lange mit neuen Paketen auf sich warten lassen.

Ausblick

Unterdessen hat bereits die Entwicklung an GNOME 2.24 begonnen, immerhin soll die nächste große Release schon im September folgen. Welche Neuerungen es dann konkret in die Release schaffen werden, lässt sich natürlich nur begrenzt prognostizieren, aber einige Hinweise gibt es schon mal: So wird wohl die vollständig neu geschriebene Version des Login-Managers GDM, die dieses mal verschoben wurde, in die Release Einzug halten. Auf der neuen gvfs-Basis aufsetzend, sind auch einige Verbesserungen am Nautilus angedacht, etwa eine Multi-Column-List-View.

Applets

Der VoIP-Client Ekiga soll in der Version 3.0 mit einem gänzlich neuen Interface aufwarten. Auch die frisch geschriebenen Ausführungen von GNOME Session und das neue Applet-System stehen wieder einmal auf der TODO-Liste. (Andreas Proschofsky)

Screenshot: Andreas Proschofsky