Alfred Gusenbauer: "Man kann mir viel vorwerfen, aber nicht, dass ich keine Kompromisse schließen würde."

foto: standard/corn

"Ich verstehe, dass das Bild der Politik die Leute abstößt. Auch mich stößt das ab."

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"Ich schließe nicht aus, dass das Sicherheitspolizeigesetz geändert wird."

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Wien – Die ÖVP betreibe in der Regierung "Arbeitsverweigerung". Sie verschließe sich einer vernünftigen Verhandlung über eine vorgezogene Steuerreform mit Entlastungen für den Mittelstand, weil es ihr "nur darum geht, den roten Kanzler zu stürzen", erklärte Bundeskanzler Alfred Gusenbauer am Freitag im Interview mit dem Standard.

Auf die Aussagen von Vizekanzler Wilhelm Molterer beim niederösterreichischen Wahlkampfabschluss der ÖVP, wonach Gusenbauers Kanzlerschaft "ein Fehler" sei, "der korrigiert werden muss", reagierte er empört. Die "Hardliner der ÖVP" wollten die im neuen Untersuchungsausschuss behandelten Vorwürfe "vertuschen". Er hoffe, dass der Koalitionspartner "über Ostern zur Besinnung kommt" und danach über ein Reformpaket verhandle.

Der SPÖ-Chef sieht dennoch keinen Grund, jenen Parteitagsbeschluss zu revidieren, wonach eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen sei. Rasche steuerliche Entlastungen ab Anfang 2009 hält er für "notwendiger denn je". Mit dem Kanzler sprachen Gerald John und Thomas Mayer.

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STANDARD: Wir wollten mit Ihnen eigentlich über die Steuerreform reden. Angesichts der Neuwahldrohung kommen uns aber Zweifel: Stellt sich diese Frage überhaupt noch?

Gusenbauer: Mehr denn je. Die Argumente für eine Steuersenkung bereits 2009 werden Tag für Tag drückender. Die Österreicher sind höchst genügsame Menschen. Aber nach dem besten Wirtschaftsjahr seit langem werden sie langsam ärgerlich, dass wegen Teuerung und Progression netto wieder nicht mehr in der Brieftasche übrig bleibt. Alle Argumente, warum man das nicht machen soll, lösen sich in Luft aus.

STANDARD: Über wirtschaftliche Notwendigkeiten diskutiert die Regierung aber nicht, stattdessen gibt es eine Blockade. Wie wollen Sie diese lösen?

Gusenbauer: Man sollte der ÖVP nicht auf den Leim gehen. Am Donnerstag hat ÖVP-Chef Wilhelm Molterer ja zugegeben, warum ein Teil seiner Partei die Arbeit eingestellt hat: um den roten Bundeskanzler zu stürzen. Molterer hat kein Arbeitsprogramm angekündigt, sondern nur die Wähler beschimpft. Seiner Meinung nach waren die Österreicher 2006 nicht klug genug, zu sehen, dass das einzige Glorreiche ein ÖVP-Kanzler ist. Diesen „Fehler“ will die ÖVP korrigieren. Molterer – das ist für einen Finanzminister bemerkenswert – kümmert sich nicht darum, wie man Konjunkturabschwung und Teuerung gegensteuern kann, sondern nur um machtpolitische Ambitionen.

STANDARD: Wenn Sie Kanzler bleiben wollen, müssen Sie dennoch einen Ausweg suchen.

Gusenbauer: Unser Angebot besteht darin, zu arbeiten. Aber offensichtlich interessiert die ÖVP die Probleme des Landes nicht. Sie will die unterstellten Machenschaften nicht im Untersuchungsausschuss behandeln und in Neuwahlen flüchten. Sie ist die einzige Partei, die nach Neuwahlen ruft. Die SPÖ will arbeiten, aufklären, Steuern senken, die Hardliner der ÖVP wollen vertuschen, nichts tun, in Neuwahlen flüchten.

STANDARD: Bei der Steuerreform sagt die ÖVP nicht bloß nein. Sie will etwas anderes zu einem anderen Zeitpunkt.

Gusenbauer: Normalerweise würde man verhandeln. Aber die ÖVP will nicht einmal das.

STANDARD: Sie haben aber keinen Kompromiss angeboten, sondern etwas gefordert.

Gusenbauer: Natürlich habe ich mit Molterer vorab gesprochen. Die ÖVP war zuerst gar nicht einbetoniert, sondern auch bereit, über den Termin der Reform zu reden. Ihr Problem ist nur: Zu allem, was nicht von ihr kommt, sagt die ÖVP grundsätzlich Nein. Weil ihrer Meinung nach nur das geschehen darf, was sie vorschlägt. Doch man kann nicht in der Regierung sitzen und permanent Arbeitsverweigerung betreiben.

STANDARD: In Ihrer Regierungserklärung haben Sie noch verkündet, dass die Bereitschaft zum Kompromiss zum Wesen der Demokratie zählt. Was ist Ihr Kompromissangebot?

Gusenbauer: Man kann mir viel vorwerfen, aber nicht, dass ich keine Kompromisse schließen würde. Ich habe in der Regierung wahrlich genügend Kompromisse geschlossen, viele davon haben auch meine eigenen Leute als zu weitgehend kritisiert. Lohn habe ich dafür nicht geerntet, aber ich stehe dazu. Nur: Kompromissfähigkeit auf der einen Seite, ein permanentes Nein auf der anderen – das geht nicht.

STANDARD: Sie stellen die ÖVP pauschal als Bremserpartei dar ...

Gusenbauer: ... nein, nein. Früher haben sie gebremst. Jetzt sind sie zur Neinsagerpartei mutiert.

STANDARD: Sie unterstellen der ÖVP parteitaktische Motive ...

Gusenbauer: ... das ist keine Unterstellung, das ist eine Feststellung ...

STANDARD: ... aber war Ihr Vorstoß, die Steuerreform vorzuverlegen, nicht auch strategisch motiviert, um in der eigenen Partei das zu besänftigen, was Sie vor einem Funktionärstreffen in Donawitz „Gesudere“ genannt haben?

Gusenbauer: Zur Klarstellung: In Donawitz hatte ich eine kritische, harte, aber sehr gute Diskussion. Dagegen hab ich nichts. Nur allgemeines Gesudere bringt nichts. Natürlich kann man andere Motive unterstellen. Aber angesichts der geänderten Wirtschaftslage etwas zu unternehmen, verlangt die Führungsverantwortung. Man kann völlig geänderte Rahmenbedingungen nicht einfach ignorieren.

STANDARD: Den Bürgern geht die Politik als Gesamtes auf die Nerven, da gewinnen weder SPÖ noch ÖVP.

Gusenbauer: Da muss man die Nuancen sehen. Ich verstehe, dass das Bild der Politik die Leute abstößt. Auch mich stößt das ab. Aber: Wenn man so undifferenziert herangeht, tut man denen einen Gefallen, die genau das zum Ziel haben. Den ÖVP-Hardlinern geht es darum, „den Fehler eines roten Kanzlers zu korrigieren“, nicht um nüchterne Regierungspartnerschaft.

STANDARD: Die Roten sind die Guten, die Schwarzen die Bösen – das ist eine etwas einfache Sicht.

Gusenbauer: Schauen Sie ins Archiv, was die ÖVP da jeden Tag absondert.

STANDARD: Aber von einem Regierungschef und seinem Vize würde man erwarten, dass sie die Qualität des Diskurses bestimmen.

Gusenbauer: Für das Verhalten der ÖVP ist diese selber verantwortlich. Ich wünsche mir, dass die ÖVP über Ostern zur Besinnung kommt, ob sie an einem großen Reformpaket im Herbst mitarbeiten will.

STANDARD: Rechnen Sie mit einem schwarzen Neuwahlantrag nach den NÖ-Wahlen am Sonntag?

Gusenbauer: Die ÖVP versucht mit der Neuwahldiskussion eine ihr unangenehme Sachdiskussion zu unterbinden. Nur gilt: Die Geister, die ich rief, die werde ich nicht los. Ob die ÖVP diese Dynamik, in die sie sich selbst hineinstößt, stoppen kann, muss sie sich selbst fragen.

STANDARD: Es gäbe laut Verfassung noch andere Möglichkeiten als Neuwahlen. Sie berufen sich oft auf Bruno Kreisky, der 1970 das Risiko einer Minderheitsregierung wagte.

Gusenbauer: Die Minderheitsregierung von Kreisky war kein mutwilliger Akt, ganz im Gegenteil, sie war das Ergebnis der absoluten Gesprächsverweigerung der ÖVP. Die wollte Bedingungen diktieren, die absolut unakzeptabel waren. Auch so unter dem Motto: Da ist ein Fehler passiert, aber jetzt mach ma halt unter einem SPÖ-Bundeskanzler weiter wie zuvor. Kreisky war an sich ein Großkoalitionär. Aber die Situation hat dann eben eine andere Entscheidung erfordert.

STANDARD: Soll der Beschluss „Keine Koalition mit der FP“ revidiert werden?

Gusenbauer: Es gibt überhaupt keinen Grund, etwas zu überarbeiten. Ich halte aber nichts davon, eine permanente Diskussion über mögliche Koalitionen zu führen.

STANDARD: Zur Sachpolitik: Ihre Steuervorschläge würden eine Abkehr von der Stabilitätspolitik bedeuten, auf die sich Österreich im Sinne ausgeglichener Budgets in der EU verpflichtet hat.

Gusenbauer: Nein, das ist keine Abkehr. Steuersenkungen im Jahr 2009 würden zu einem Budgetdefizit von 0,9 statt 0,2 Prozent führen – seit 1972 hat Österreich nach einer Steuerreform kein so niedriges Defizit gehabt! Obendrein kann sie den positiven Effekt haben, ein Einbrechen des Wachstums zu verhindern. Das Defizit wird 2010 niedriger sein, wenn wir 2009 die Steuersenkung machen.

STANDARD: Dazu müsste die Regierung Maßnahmen ergreifen. Die EU-Kommission kritisiert, dass die Finanzierung der Reform unklar ist, Einsparungen durch Staatsreform fehlen.

Gusenbauer: Bei aller Wertschätzung der Kassandrarufe aus Brüssel: Unsere Prognosen haben wir bisher immer positiv übertroffen. Allein im Jahr 2007 haben wir das Budgetdefizit von 1,4 Prozent auf 0,7 halbiert ...

STANDARD: ... aber nicht dank der Maßnahmen der neuen Regierung, sondern wegen der Konjunktur. Sollte die Regierung nicht vorher wichtige Reformausgaben für Gesundheit oder Pflege klären, ehe sie das Geld für eine Steuerreform ausgibt?

Gusenbauer: Auch Wifo-Chef Karl Aiginger hält es für keinen Widerspruch, erst die Entlastung und dann die Strukturreformen durchzuführen. Wichtig ist, dass die Steuersenkung aus gerechtigkeitspolitischen Gründen am 1.1.2009 kommt. Über alle anderen Fragen kann man reden.

STANDARD: Was wollen Sie konkret?

Gusenbauer: Wir haben die stärkste Progression bei den Einkommen zwischen 1200 Euro und 3900 Euro brutto. Dort muss der Löwenanteil der Entlastung stattfinden. Gleichzeitig müssen auch die kleineren Einkommen, die keine Steuern bezahlen, durch eine Negativsteuer gestärkt werden. Im Schnitt eine Entlastung von 500 Euro Person.

STANDARD: Sie haben den Begriff der solidarischen Höchstleistungsgesellschaft erfunden. Werden die Höchstleister nicht entlastet?

Gusenbauer: Ein Großteil der Leistungsträger befindet sich im von mir genannten Steuersegment.

STANDARD: Im Koalitionspakt waren keine neuen Steuern vereinbart, jetzt sprechen Sie aber von höheren vermögensbezogenen Steuern. Was gilt?

Gusenbauer: Ich will den Zuwachs von Vermögen besteuern. Jeder, der ein Sparbuch besitzt, zahlt 25 Prozent Zinsertragssteuer. Das soll künftig auch für den Gewinn aus Aktienverkäufen und anderen Erlösen aus Vermögen gelten. Mit den Einnahmen aus dieser Steuer sollen künftig das Gesundheits- und Pflegesystem mitfinanziert werden.

STANDARD: Sollen Erbschaft- und Schenkungsteuer erneuert werden?

Gusenbauer: Nein.

STANDARD: Warum thematisieren Sie so offensiv die soziale Frage, indem Sie den Steuerstreit ausgelöst haben?

Gusenbauer: Aus Überzeugung. Ich sehe drei große Herausforderungen unserer Zeit. Die erste ist jene der sozialen Gerechtigkeit unter den Bedingungen der Globalisierung und dem Druck der Marktkräfte. Die zweite ist der Klimaschutz. Die dritte ist die Autonomie des Subjekts in einer Welt, in der uns Überwachungsmöglichkeiten zum gläsernen Menschen machen. Die Räume, real und virtuell, werden enger. Ich spüre, dass dies eine Bewegung auslöst.

STANDARD: Warum hat Ihre Regierung mit dem Sicherheitspolizeigesetz Überwachungsmethoden dann der richterlichen Kontrolle entzogen?

Gusenbauer: Sie haben mit diesem Widerspruch recht. Auf der einen Seite steht das Bedürfnis, die Möglichkeiten der Exekutive auszuweiten, auf der anderen jenes der Bürger, vor Missbrauch geschützt zu werden. Der U-Ausschuss könnte ein Paket zur Stärkung der individuellen Rechte bringen. Ich schließe auch nicht aus, dass das Sicherheitspolizeigesetz geändert wird. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.3.2008)