Denn wie konnte nur mehr als 40 Jahre lang, seit seinem Tod im Dezember 1963, ein Autor wie A. J. Liebling im deutschsprachigen Raum nie auch nur entdeckt werden? Weil er 30 Jahre lang Journalist war, seine Texte erst in der Zeitschrift The New Yorker und dann als Bücher erschienen, weil er eine Verehrergemeinde hat, die in den 1950ern groß war, heute aber überschaubar ist? Dabei ist Liebling mit seinen Berichten über Boxen, Essen, New York und den Zweiten Weltkrieg ein wirklich großer Autor. Denn seine Prosa ist hinreißend: frisch, federleicht, voller Ironie und Selbstironie. Das zeigt nun prachtvoll das erste auf Deutsch erscheinende seiner Bücher, das von Joachim Kalka schön übersetzt, allerdings mit einem schmallippigen Vorwort versehen wurde. Dieser 1962 erschienene Erinnerungsband über Paris und Gastrophilie geht weit über nostalgische Schilderungen der Jahre 1926/27 – da war Liebling ein fauler Student in Paris –, 1939/1944, seine Zeit als Kriegskorrespondent, und Aufenthalte in den 1950ern hinaus. Es ist eine brillante essayistische Sitten- und Ernährungsgeschichte einer im Untergang begriffenen "cuisine française". Liebling war ein hingebungsvoller Esser, ein Gourmand, wovon so manche Menü- und Restaurantschilderung wunderbar Zeugnis ablegt. Seine Sprache war schlank, er nicht. Und darauf insistierte er nachdrücklich, denn: "Der Satz ‚Mens sana in corpore sano‘ ist ein Widerspruch in sich – eine Art chimärische Einrede gegen die störrische Volkserkenntnis ‚You can’t have your cake and eat it too‘. Kein vernünftiger Mensch kann es sich leisten, ohne ungesunde Vergnügungen zu existieren." (Alexander Kluy, ALBUM/DER STANDARD, 08/09.03.2008)