Ein starkes Stück der Choreografin Anne Juren im Tanzquartier Wien
Redaktion
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Wien – Vier in weiße Fechtblusen und Dreiviertelhosen gekleidete Frauen treten in den Luftzug eines Ventilators wie ein Postskriptum zu Georges Didi-Hubermans brillanter Dekomposition der Ninfa Moderna
. Aus den rußschwarzen Falten des Backdrop werden Anne Juren, Marianne Baillot, Alix Eynaudi und Agata Maszkiewicz zu einem neckisch-unschuldigen Quartett in die Blackbox der HalleG des Tanzquartiers Wien gesogen und beginnen eine "Komposition".
Die Windmaschine stockt bald, bricht ab, und akustische Leere umfängt das Kleeblatt, das sich nach einer synchronen Einübung nahekommt. Die Nymphen beginnen einander zu streicheln. Ein zärtliches Tableau vivant in Slow Motion. Gute 20 Minuten lang in Stille, die nur durch ein undefinierbares Geräusch aus den Lautsprechern für den Bruchteil einer Sekunde unterbrochen wird. Dann sackt das Licht ab, blendet auf, und die vier Frauen streicheln einander weiter, diesmal an Brüsten und Geschlecht. Das Auge des Voyeurs glimmt auf – und bricht bald in der eisigen Ironie der kollektiven Reaktionslosigkeit.
In seinem Buch Die Musen schreibt der französische Philosoph Jean-Luc Nancy: "Der Punkt, an dem die Kunst sich auflöst, fällt zusammen mit dem Punkt, an dem ihre plastisch-konkrete Selbstständigkeit erneut hervortritt und in entsprechender Weise die ebenso wesensmäßige Pluralität der einzelnen Momente dieser sinnlichen Plastizität deutlich wird." Genau diesen Punkt trifft die Choreografin Anne Juren mit ihren Kollaborateurinnen. Und wer Freude daran hat, kann diese Arbeit in Bezug zu Jennifer Laceys ikonischem Stück (2003), in dem die Windmaschine eine wesentliche Rahmenfunktion einnimmt, lesen.
Der daraus entstehende Spin wirbelt beide Stücke an gegengerichtete Pole ein und desselben Tanzes. Lacey erzählt eine lakonische Geschichte, und Juren schichtet Lakonismus auf die Bühne: in Form einer unheimlichen kinetischen Skulptur, feminin verführerisch und mit eiskaltem Timing, die – in Anspielung auf Chris Haring – in einem "Posing Project" mündet, das dem alten, nymphensaugenden Monte-Verità-Tanzvampir Rudolf von Laban sozusagen einen konzeptuellen Pflock in die pathosgeschwellte Brust treibt. (Helmut Ploebst, DER STANDARD/Printausgabe, 08/09.03.2008)
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