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Hier applaudiert ÖVP-Klubobmann Wolfgang Schüssel noch dem greisen Kaisersohn Otto von Habsburg. Anschließend musste er jedoch dessen unhaltbare Interpretation des März 1938 diskret korrigieren.

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Wien - Wenn der Sohn des letzten Kaisers erstmals in seinem Leben im Reichsratssaal des Parlaments zum "Anschluss" 1938 spricht, dann könnte dabei eine spannende Zeitzeugenstunde herauskommen. Der 95-jährige Otto von Habsburg gestaltete jedoch seine Rede am Montag im Rahmen einer aufwändigen ÖVP-Feierstunde zum Thema "1938: Anatomie eines Unterganges", zu einer Wiederauflage des alten Opfermythos: "Wenn es immer wieder blamable Diskussionen darüber gibt, ob die Österreicher Mitschuldige oder Opfer waren, dann muss ich sagen, dass es keinen Staat in Europa gibt, der mehr Recht hat, sich als Opfer zu bezeichnen!"

Mit großem Feuer verwarf der 95-jährige Habsburg die an sich gesicherte Übereinkunft, auch die Österreicher hätten eine Verantwortung für die Geschehnisse: "Ein großer Akt von Heuchelei und Lüge."

Das kam vor diesem Publikum sehr gut an. Gelächter und Applaus erntete Habsburg von den hunderten geladenen Gästen aus dem ÖVP-Umfeld für das Bonmot: "Wenn irgendwo ein großer Rummel ist, dann kommen viele und jubeln. Wenn man von den 60.000 am Heldenplatz spricht - bei jedem Fußballmatch sind auch 60.000!" Abgesehen davon, dass rund 250.000-300.000 NS-Anhänger Hitlers "Vollzugsmeldung" auf dem Heldenplatz bejubelten, schüttelten doch einige Zuhörer über die Verharmlosung ("Rummel", "Fußballmatch") den Kopf.

Habsburg, der eigentlich über seinen gescheiterten Versuch hätte berichten sollen, sich in letzter Minute vom damaligen Kanzler Schuschnigg als Kanzler einsetzen zu lassen, bot eine Interpretation der Ereignisse, die mit den gesicherten Erkenntnissen auch konservativer Historiker nicht vereinbar ist.

Zuvor waren von Schauspieler Peter Matic die telefonischen Befehle, die Reichsmarschall Göring am 11. März an die österreichischen Nazis gegeben hatte, verlesen worden. Für Habsburg ein Beweis der deutschen Alleintäterschaft. Aber es waren eben genug Austro-Nazis da, die diese Befehle empfingen und umsetzten.

Klubobmann Wolfgang Schüssel musste daher diskret, aber deutlich korrigieren. Österreich war selbstverständlich auch Opfer. Aber man dürfe nicht vergessen, dass es "auch hausgemachte Fehler gab, zum Beispiel die Ausschaltung des Parlaments 1933 durch Dollfuß". Oder: dass das damalige autoritäre Regime Schuschniggs "viel zu spät auf die Versöhnung der Lager gesetzt habe", um eine gemeinsame Front gegen die NS-Bedrohung zu bilden. Die Österreicher seien "leider auch Täter geworden" - und die tobende Masse sei "nicht so harmlos wie bei einem Fußballmatch".

Wer allerdings auf die Zuhörer, darunter viele Schüler, einen größeren Eindruck machte, Habsburg mit seiner Emphase oder Schüssel mit seiner Korrektur, ist die Frage. (Hans Rauscher/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. 3. 2008)