"Krochen in der Schicht"
Die "Schicht", Tanztempel im 22. Wiener Gemeindebezirk, ist der Nabel der "Krocha"-Szene: einer Jugendkultur, die mit Schirmkappen, Neonfarben und Vokuhilas optisch für Aufmerksamkeit sorgt. Mit Ausdrücken wie "Bam, Oida!" (Super!) und lauten Technobeats aus dem Handy macht sie sich akustisch bemerkbar. "Krocha" (von "krachen", Anmk.) verstehen sich als Spaßkultur, und Spaß bedeutet für sie: gut tanzen - und gut aussehen.
"Ich bin am Mittwoch, am Donnerstag, am Freitag und am Samstag in der Schicht", sagt Christian. Sogar im Halbdunklen fällt seine Gesichtsfarbe auf. "Ich geh viermal in der Woche ins Solarium", erklärt der 18-Jährige mit den blondierten Haaren. Er ist hier an diesem Abend einer der ersten: Schon um neun Uhr steht er auf der noch leeren Tanzfläche, übt vor der Spiegelsäule in der Mitte ein paar Schritte. Seit eineinhalb Jahren "krocht" er. Der Lernprozess war einfach: "Herkommen, zuschauen, nachtanzen."
Tanzmatch im Internet
Auch im Netz lässt der Einzelhandelskaufmann die Beine am Boden herumwirbeln: Auf dem Portal YouTube tragen die Krocha so genannte "Dancebattles" aus. Sie stellen ihre Tanzvideos online - wer mehr Zugriffe hat und am besten bewertet wird, gewinnt. "Da gehöre ich zur Elite", sagt Christian stolz. Unter seiner schwarzen Jeansjacke blitzt ein weißes Armani-Shirt hervor.
"Krocha tragen Armani, Prada, Dolce&Gabbana", erklärt Patrick. "Die Typen mit Neonkapperln, Boxerstiefeln und Palästinensertuch sind keine Krocha, sondern 'Zalega'(von zerlegen, Anmk.), die kommen vom Nachtwerk (einer Disco im 23. Wiener Gemeindebezirk, Anmk.)." Patrick, 18, und Mike, 19, verbringen ihren Abend im Einkaufstzentrum Donauplexx, wo sich viele "Schicht"-Geher beim Griechen oder in der Karaoke-Bar auf die Nacht einstimmen. Die beiden sind für Außenstehende optisch von "Krochan" oder "Zalegan" kaum zu unterscheiden - aber: "Krochen ist doch was für Kinder. Unsere 'Schicht'-Zeit ist vorbei," sagt Mike. "Und die Kapperl sind gerade in Mode."
Philipp Ikrath, Leiter des Hamburger Departements vom österreichischen Institut für Jugendkulturforschung, bezeichnet die "Krocha" als "reine Spaßkultur": "Bei ihnen stehen Selbstinszenierung und Konsum im Vordergrund." (siehe auch "Betucht, aber unpolitisch", derStandard.at). Bisher sind die vergnügungsfreudigen Jugendlichen mit dem auffallenden Modegeschmack nur in Wien und Umgebung bekannt. Jugendkulturforscher Ikrath hält es für unwahrscheinlich, dass bald europaweit nach Wiener Vorbild "gekrocht" oder "zalegt" wird: "Das ist vermutlich eine kurzlebige Erscheinung. Wien ist nicht die Stadt, die internationale Trends setzt."
Treffpunkt Milleniumcity