"Krocha"-Tempel Nachtschicht: "Herkommen, zuschauen, nachtanzen"

Foto: Nicole Bojar

"Krocha" Christian (Mitte): zuerst ins Solarium, dann "krochen in der Schicht"

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Mike und Patrick im Donauplexx: "Checkst du den Unterschied zwischen 'Krocha' und 'Zalega'?"

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"Krochen" mit Stil: "Da muss alles passen"

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Elektro-Gigolo Nexhat: "Krocha" aus Leidenschaft

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Punkt halb elf Uhr abends wird es still in der Nachtschicht. Die Musik verstummt, die Lichter gehen aus. Nur Schatten lassen sich noch ausmachen, die für ein paar Sekunden gebannt auf der Tanzfläche verharren. Die Luft steht, über den Köpfen wabert eine Mischung aus Haargel, Seife und Parfum. Plötzlich heben die Beats wieder an. Aus den Lautsprechern tönt eine verzerrte Stimme: "The Dancefloor is open." Im Schein der Lichtorgeln beginnt ein Meer aus Beinen zu zucken. Die Augen können den Schritten kaum folgen. Nur manchmal setzen die Tänzer die Bewegungen aus, holen kurz Luft, wischen sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn, um gleich wieder weiter zu 'krochen', 'schranzen' und 'shuffeln'.

"Krochen in der Schicht"

Die "Schicht", Tanztempel im 22. Wiener Gemeindebezirk, ist der Nabel der "Krocha"-Szene: einer Jugendkultur, die mit Schirmkappen, Neonfarben und Vokuhilas optisch für Aufmerksamkeit sorgt. Mit Ausdrücken wie "Bam, Oida!" (Super!) und lauten Technobeats aus dem Handy macht sie sich akustisch bemerkbar. "Krocha" (von "krachen", Anmk.) verstehen sich als Spaßkultur, und Spaß bedeutet für sie: gut tanzen - und gut aussehen.

"Ich bin am Mittwoch, am Donnerstag, am Freitag und am Samstag in der Schicht", sagt Christian. Sogar im Halbdunklen fällt seine Gesichtsfarbe auf. "Ich geh viermal in der Woche ins Solarium", erklärt der 18-Jährige mit den blondierten Haaren. Er ist hier an diesem Abend einer der ersten: Schon um neun Uhr steht er auf der noch leeren Tanzfläche, übt vor der Spiegelsäule in der Mitte ein paar Schritte. Seit eineinhalb Jahren "krocht" er. Der Lernprozess war einfach: "Herkommen, zuschauen, nachtanzen."

Tanzmatch im Internet

Auch im Netz lässt der Einzelhandelskaufmann die Beine am Boden herumwirbeln: Auf dem Portal YouTube tragen die Krocha so genannte "Dancebattles" aus. Sie stellen ihre Tanzvideos online - wer mehr Zugriffe hat und am besten bewertet wird, gewinnt. "Da gehöre ich zur Elite", sagt Christian stolz. Unter seiner schwarzen Jeansjacke blitzt ein weißes Armani-Shirt hervor.

"Krocha tragen Armani, Prada, Dolce&Gabbana", erklärt Patrick. "Die Typen mit Neonkapperln, Boxerstiefeln und Palästinensertuch sind keine Krocha, sondern 'Zalega'(von zerlegen, Anmk.), die kommen vom Nachtwerk (einer Disco im 23. Wiener Gemeindebezirk, Anmk.)." Patrick, 18, und Mike, 19, verbringen ihren Abend im Einkaufstzentrum Donauplexx, wo sich viele "Schicht"-Geher beim Griechen oder in der Karaoke-Bar auf die Nacht einstimmen. Die beiden sind für Außenstehende optisch von "Krochan" oder "Zalegan" kaum zu unterscheiden - aber: "Krochen ist doch was für Kinder. Unsere 'Schicht'-Zeit ist vorbei," sagt Mike. "Und die Kapperl sind gerade in Mode."

Philipp Ikrath, Leiter des Hamburger Departements vom österreichischen Institut für Jugendkulturforschung, bezeichnet die "Krocha" als "reine Spaßkultur": "Bei ihnen stehen Selbstinszenierung und Konsum im Vordergrund." (siehe auch "Betucht, aber unpolitisch", derStandard.at). Bisher sind die vergnügungsfreudigen Jugendlichen mit dem auffallenden Modegeschmack nur in Wien und Umgebung bekannt. Jugendkulturforscher Ikrath hält es für unwahrscheinlich, dass bald europaweit nach Wiener Vorbild "gekrocht" oder "zalegt" wird: "Das ist vermutlich eine kurzlebige Erscheinung. Wien ist nicht die Stadt, die internationale Trends setzt."

Treffpunkt Milleniumcity

Währenddessen sitzt Nexhat in der fast leeren Spielhalle der Milleniumcity im 20. Wiener Gemeindebezirk. Dort fällt der 17-Jährige schon von weitem auf: Die neongelbe Kappe scheint über dem Kopf zu schweben; in die Jeans hat er rechteckige Löcher geschnitten und neongelben Stoff hineingenäht. Auf der Gürtelschnalle befindet sich ein kleiner Display, in neonrosa Buchstaben läuft der Schriftzug "Elektro-Gigolo" unter Nexhats Bauchnabel vorbei. Der Malerlehrling kauft gerne ein, am liebsten auf der Mariahilferstraße - "dort gibt's den besten Style." Und das macht einen Krocha offensichtlich aus: stylen und tanzen.(Nicole Bojar)