Ein Bär als Maskottchen: Julia Simowa, Führerin der "Mischki", organisiert Kinder ab acht Jahren für die Politik des Kreml.

Foto: Bernath
Die Kinderorganisation "Mischki" sieht wie alle kremltreuen Jugendgruppen nach dem Ende von Putins Amtszeit als Präsident einer ungewissen Zukunft entgegen. Ihre Propaganda stört nun.

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Sie ist 20 und spricht wie ein Funktionär. Ihre Stimme ist tief, als ob sie trinkt und raucht und das ohne Unterlass. Kommt vom vielen Kommandieren, sagt Julia Simowa. Rauchen und Trinken ist ja auch nicht gern gesehen bei "Naschi", der Jugendorganisation des Kreml, und erst recht nicht bei den "Mischki" von Julia Simowa, den "Teddybären", wie sie auf Russisch heißen und die auch schon Kinder ab acht in den Regeln des neuen Russlands unterweisen sollen: patriotisch, aufrecht, moralisch sauber.

Im Fernsehen kommt ja so viel Unsinn, sagt Simowa, "die Erziehung ist falsch, viele junge Leute wollen auswandern, Burschen schlagen Mädchen, und das finden alle normal, Abtreibung ist auch ok". Lang ist die Liste der Laster. Simowa spult sie ab, darin hat sie ganz offensichtlich Routine, und zeigt, noch während sie spricht, wie man ein ordentliches "Mischki"-Halstuch knotet. Rot und weiß, in den Farben der Jugendorganisation, und sonst ganz im Stil der sowjetischen Pioniere von einst.

Drei Jahre ist "Naschi" alt und knapp ein halbes Jahr erst die Kinderorganisation "Mischki". Politische Beobachter in Moskau sind sich einig, dass ihr Stern im Sinken ist. Nachdem Wladimir Putin seine Nachfolge im Kreml geregelt hat und die Wahl von Dmitri Medwedew über die Bühne gegangen ist, braucht es keine organisierten Massenevents mehr auf den Straßen der russischen Großstädte, meint etwa Maria Lippmann von der Carnegie-Stiftung in Moskau. Von "überfütterten Zombies" schreibt Boris Kagarlitsky, ein unabhängiger Kolumnist, kostspieligen Produkten der Präsidialverwaltung im Kreml, die keinen Sinn mehr hätten.

Risiko "Orange Revolution"

"Es scheint eine Entscheidung in der Kreml-Verwaltung gegeben zu haben, diese Organisationen fallen zu lassen", so vermutet Lippmann. Die Gefahr einer orangen Revolution nach dem Vorbild der Ukraine und, wie dort, getragen von der Jugend sei ja längst verschwunden; diese Gefahr habe es in Russland ohnehin nie gegeben, meint Kagarlitsky. Die Anhänger des Oppositionsbündnisses "Anderes Russland" auf den Straßen anzugreifen, deren Veranstaltungen umzustürzen und westliche Botschafter zu bedrängen, war bisher Teil der politischen Operationen von "Naschi".

"Mischki" hat sich auf diesem Feld erst einmal betätigt. Im vergangenen Jänner wurden Kinder vor der estnischen Botschaft in Moskau versammelt, aus der Provinz herangefahren, um gegen die Demontage eines sowjetischen Soldatendenkmals in Tallin zu protestieren. "Es war eine Art Geschichtsunterricht", sagt Julia Simowa. Mit Politik habe das nichts zu tun gehabt, behauptet die Führerin der "Mischki". Ein Veteran des Zweiten Weltkriegs habe den Kindern die Bedeutung des Denkmals erklärt.

Das war es. Vielleicht war der Auftritt vor der estnischen Botschaft aber auch eine der letzten Episoden der Jugendorganisationen in Putins Russland wie "Naschi", "Mischki" oder "Maladoja Rossija" ("Junges Russland") und "Maladoja Gwardija" ("Junge Garde") der Kreml-Partei "Einiges Russland". Die Berichterstattung in internationalen Medien hat Russland geschadet. Einreiseverbote für manche "Naschi"-Kommissare nach Estland und Großbritannien und die Instrumentalisierung von Kindern laufen dem Wunsch der Kremlführung und des neu gewählten Präsidenten Medwedew zuwider, das Image des Landes aufzubessern.

Propaganda der 30er-Jahre

Denn zu viel erinnert in der Zentrale von "Naschi" in Moskau an totalitäre Propagandamethoden im Europa der 30er-Jahre. Die Wände im Korridor der "Naschi"-Zentrale, unweit des Bahnhofs Bjelorusskaja im Westen der Hauptstadt, sind vollgeklebt mit bunten Zeitungsausschnitten und Fotografien: junge Burschen in Uniform, die schon einmal für den Wehrdienst in der Armee trainieren; Porträts der Kommissare, die es bei den vergangenen Duma-Wahlen ins Parlament geschafft haben; Demonstrationszüge mit Fahnen gegen die "Faschisten" und die US-Regierung.

Simowa, selbst eine "Kommissarin" der "Naschi", hat ihr Büro ebenfalls im Hauptquartier der Jugendorganisation. 6000 Kinder in 26 russischen Städten soll ihre "Mischki"-Organisation bisher zählen. Die Kinder werden in Häuserblocks gesammelt und spielen "Republik". An Wladimir Putin haben die "Mischki" auch schon geschrieben und ihm den Titel des "Ober-Teddys" angetragen, der auf die anderen kleinen Bären Acht geben soll. Geantwortet hat er den Kindern nicht, und im Amt ist er bald auch nicht mehr. Ein Problem für die Kreml-Jugendorganisation, die starke Führer liebt? Julia Simowa ist unbesorgt. "In vier Jahren, nach den nächsten Präsidentschaftswahlen, ist er wieder da." (Markus Bernath aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 12.3.2008)