Andrea Bronner (links): "Mit Bildern die Auslöschung der Vereinigung 1938 wiedergutmachen. "Christine Diercks: "Auseinandersetzungen sind nicht ungewöhnlich für einen so alten Verein."

Fotos: DER STANDARD/Fischer

Der Eingang zu Sigmund Freuds Wirkungsstätte in der Berggasse 19 in Wien nach dem Anschluss 1938.

Foto: Imagno/Helmut Engelmann
"Die Schatten des Erbes" - für ein psychoanalytisches Symposion ist dieser Titel Programm. Denn die traumatischen Ereignisse der Vergangenheit zu bearbeiten ist schließlich eines der zentralen Fundamente von Sigmund Freuds Lehre. "Schatten des Erbes" verweist zum Zweiten auch auf das Ringen um Freuds Erbe selbst hin - zwischen Traditionsbewahrung und Weiterentwicklung.

Wenn sich die Europäische Psychoanalytische Föderation allerdings ausgerechnet an jenen Tagen in Wien trifft, an denen sich zum 70. Mal der Anschluss Österreichs an das Dritte Reich jährt, dann hat "The Shadow of Heritage" aber noch eine dritte Bedeutung und zeigt auf, dass der März 1938 die einflussreiche Lehre Freuds in ihrem Geburtsland besonders hart traf.

"Die Psychoanalyse in Österreich wurde 1938 praktisch mit einem Schlag liquidiert", sagt Andrea Bronner, Psychoanalytikerin und seit kurzem Buchautorin. Sie hat anlässlich des 100. Geburtstags der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung einen englischsprachigen Bildband über ihre Mitglieder ab 1908 zusammengestellt, "auch um diese Auslöschung, die ja auch ein visueller Begriff ist, durch die Fotos der Mitglieder in gewisser Weise wiedergutzumachen", wie Bronner sagt.

Etliche der Aufnahmen, die sie in mühsamer Kleinarbeit zusammengetragen hat, sind noch unpubliziert und machen eindrücklich sichtbar, wer sich da ab April 1908 rund um Übervater Sigmund Freud scharte. Die Personen, die dann im März 1938 Österreich verlassen mussten, waren damals nicht nur Psychoanalytiker, sondern auch Geisteswissenschafter, Journalisten und Künstler.

Eine der wenigen Kontinuitäten der Gesellschaft war und ist, dass es die ganze Zeit hindurch - und zumal in der Zeit zwischen 1938 und 1945 - heftige Auseinandersetzungen um die "wahre Lehre" gab. Das ging schon in der legendären Mittwoch-Gesellschaft Freuds los, die er ab 1902 in der Berggasse 19 abhielt und erlebte in den Ausgrenzungen von Alfred Adler und C. G. Jung erste Höhepunkte.

Die Wiederbegründung der Gesellschaft ab 1946 war eine zähe Angelegenheit: Nur ganz wenige Personen der 1938 über 100 Mitglieder zählenden Vereinigung blieben nach dem Anschluss im Untergrund tätig. Deshalb konnte nach 1946 die Arbeit erst langsam wieder aufgenommen werden. Ab 1947 kam als Quasikonkurrenz noch der Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie dazu, der in einem gewissen Spannungsverhältnis zur "Vereinigung" stand, wie Christine Diercks, die heutige Vorsitzende der Gesellschaft, erklärt.

Für sie sind all die Auseinandersetzungen durchaus nichts Ungewöhnliches für einen Verein, der so lange besteht. Sie hat nichtsdestotrotz das Ihre dazu beigetragen, dass es nach Jahren des sektiererischen Gegeneinanders zu einem produktiven Miteinander der beiden wichtigen psychoanalytischen Gruppierungen kam. Mittlerweile hat man sich sogar unter einem Dach zusammengefunden: in den gemeinsamen Räumlichkeiten am Salzgries im 1. Bezirk in Wien, die am Montag von Bürgermeister Häupl feierlich eröffnet wurden.

Im Rahmen einer gemeinsamen Akademie, die seit 2006 besteht, ist man sowohl um interne Weiterbildung wie auch um Öffentlichkeitsarbeit bemüht. Am Kongress der Europäischen Psychoanalytiker wird Christine Diercks, die ihn mitorganisiert hat, einen der Hauptvorträge halten. Sein programmatischer Titel: "Dis-Kontinuitäten". (tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 12.3.2008)