Terrorismus als Pfadfinderabenteuer: Die Al-Kaida im Maghreb präsentiert sich im Internet nicht nur martialisch. Auf das Konto der Terrorgruppe gehen zahlreiche Anschläge

Bereits das große Attentat in Algier am 11. Dezember 2007, bei dem nach offiziellen Angaben 31 - laut Augenzeugenberichten waren es viel mehr - Menschen starben, war für Beobachter ein Weckruf: Die radikale Szene in Nordafrika, dem arabischen Maghreb (Westen), ist am Erstarken. Dazu kamen vermehrt Operationen extremistischer islamistischer Gruppen weiter südlich, zum Beispiel in Mauretanien. Die Absage der Paris-Dakar-Rally war eine Folge davon.

Das Wissen, wie stark die einzelnen lokalen Gruppen vernetzt sind, ist relativ gering. Belegt ist die Existenz von "Al-Kaida im Islamischen Maghreb", die eine Weiterentwicklung der "Salafistengruppe für Predigt und Kampf" (GSPC) ist: Obwohl die Salafiya (eine Bewegung, die sich auf die ersten drei Generation von Muslimen beruft) und die Wahhabiya (die Reformbewegung Muhammad Ibn Abdul Wahhabs auf der arabischen Halbinsel des 18. Jahrhunderts) und ihre extremistischen Ableger ursprünglich nicht identisch sind, gibt es sowohl ideologische Anknüpfungspunkte und vor allem gemeinsame Ziele.

Spaltung

Schon seit 2003 soll die GSPC den Beitritt zu Al-Kaida betrieben haben, offiziell bekannt gegeben wurde sie auf einem Video vom 11. September (!) 2006 von der Nummer zwei von Al-Kaida, dem Ägypter Ayman al-Zawahiri. Nicht alle GSPC-Kader sollen laut Geheimdiensterkenntnissen davon begeistert gewesen sein, es kam offenbar zu einer Spaltung. Die GSPC selbst hatte sich 1998 von der algerischen GIA (Bewaffnete Islamische Gruppe) abgespalten, mit dem Anspruch, im Gegensatz zur GIA keinen Krieg gegen die Zivilbevölkerung zu führen, sondern nur gegen das Regime.

Die aktuellen Anfänge liegen also in Algerien, dem Aufstand gegen die Staatsgewalt nach der Aufhebung der algerischen Parlamentswahlen 1992. Über die heutige Stärke von "Al-Kaida im Islamischen Maghreb" kann nur spekuliert werden, 2005 gab sie ein Bericht des US-Außenministeriums mit "mehreren hundert" an. Heute liegt sie gewiss höher, kommt aber in keiner Weise auf die Stärke heran, die sie während des algerischen Bürgerkriegs hatte, nämlich an die 30.000. Damals war das Ziel, die algerische Regierung zu stürzen und ein islamisches Kalifat zu errichten. Mit der Zugehörigkeit zu Al-Kaida nimmt die Gruppe nun am globalen Djihad teil. Es gibt Solidaritätsstatements mit Islamisten in Palästina, Irak, Somalia und Tschetschenien.

Das heißt auch, dass sich die Ziele und der Aktionsradius ausweiten. "Al-Kaida im Islamischen Maghreb" agiert jetzt offenbar zumindest regional - und behauptet ja explizit, die österreichischen Touristen nicht auf algerischem, sondern tunesischem Territorium verschleppt zu haben. Ob die Organisation auch außerhalb von Algerien operieren würde, erschien Beobachtern noch zu Beginn des Jahres unklar. Falls die Behauptung im Bekennervideo stimmt - dass die Entführung "tief" in Tunesien stattgefunden hat -, dann ist das ein alarmierendes Zeichen.

Sicheres Land

Kein Wunder, dass die tunesischen Behörden dies glatt zurückweisen. Tunesien lebt vom Tourismus und war - trotz vereinzelter Anschläge - bisher erfolgreich, das Land als sicher darzustellen. Im Bekennervideo wird offen gesagt, dass der Terrorismus darauf hinauslaufen soll, den Fremdenverkehr im "abtrünnigen" - das heißt vom Islam abgefallenen - Tunesien zu zerstören.

Was nicht heißen soll, dass es nicht auch um Geld ginge: Mit lukrierten Lösegeldern (neben Geld aus Schmuggel und anderen kriminellen Aktivitäten) werden Waffenkäufe und die Erhaltung der Organisation finanziert. Dass die Entführer es hingegen speziell auf Österreicher abgesehen hatten, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu verneinen: Sie nehmen, was ihnen in die Arme läuft. Und auch wenn die aktuellen Entführer über das österreichische Engagement in Afghanistan und im Tschad oder den laufenden Islamistenprozess in Wien Bescheid wissen sollten, ist dies nicht automatisch der Auslöser: Da war wohl der Zufall im Spiel.

Heruntergespielt

Nicht nur Tunesien in diesem konkreten Fall, sondern auch Algerien, wo terroristische Aktivitäten heute beinahe wieder an der Tagesordnung sind, versuchen, die Schlagkraft des Al-Kaida-Sprosses herunterzuspielen. Wohin sie überall die Arme ausgestreckt hat, ob aktiv mit anderen Gruppen kooperiert wird, ist nicht bekannt.

Djihadisten aus Nordafrika sind jedoch die zweitgrößte Gruppe der ausländischen Kämpfer im Irak, mit bis zu 25 Prozent (hinter Saudi-Arabien). Es wird angenommen, dass "Al-Kaida im Islamischen Maghreb" sich als Vermittler betätigt. Eine schlechte Perspektive für die Region ist auch, dass die Kämpfer nach Ende - wie dieses auch immer aussieht - ihres Djihads in ihre Heimatländer zurückkehren, dort meist nicht mehr integrierbar sind und den Bodensatz für neuen Extremismus bilden. (Gudrun Harrer, DER STANDARD Printausgabe, 12.3.2008)