STANDARD: Wie war das Verhältnis zu Ihren Geiselnehmern? Konnten Sie mit ihnen normal sprechen, oder war das nicht möglich?

Bleckmann: Nein, gar nicht. Ich habe neun oder zehn Tage gebraucht, um mit den Geiselnehmern Kontakt aufzunehmen. Ich habe es zehnmal am Tag versucht und wurde immer wieder wie ein Hund weggejagt. Die anderen Geiseln haben schon gesagt: Der hat keinen Stolz, haltet ihn zurück, das ist ja peinlich, wie er immer wieder hingeht. Dann bin ich aber mit den Entführern ins Gespräch gekommen, und die Gruppe hat gemerkt, auch weil ich mich für alle und nicht nur mich selbst eingesetzt habe, dass wir sehr viel erreichen können. Es ist dann eine sehr wertvolle Verbindung zwischen uns und den Geiselnehmern entstanden, was sehr wichtig ist. Denn sonst wären wir für die Entführer nur wie Schafe gewesen, und denen schneidet man schnell die Kehle durch.

STANDARD: Ging es bei Ihrer Entführung nur um Geld, oder gab es auch einen ideologischen Hintergrund?

Bleckmann: Das haben wir am Anfang nicht gewusst, aber wie dann der Dialog mit den Entführern eingesetzt hat, konnte ich es herausfinden. Es war ganz einfach die Ungerechtigkeit, dass die algerische Wahl mit großer Mehrheit für die FIS (Islamische Heilsfront, Anm.) ausgegangen ist, der zweite Wahlgang dann aber vom Militär verhindert wurde. Daraufhin gingen sie in den Untergrund, um diese Ungerechtigkeit zu bekämpfen, und brauchten Geld für ihre Waffen. Dann hat man uns entführt, und da habe ich natürlich auch gesagt: Es kann nicht sein, dass ihr vollkommen unschuldige Menschen in euren Kampf hineinzieht. Das muss anders gehen. Ich kann jedenfalls nur eines sagen: In dieser Zeit war ich überzeugt davon, dass wir sterben werden. Wir waren so weit weg von jeder Hilfe.

STANDARD: Sie waren damals mit rund 30 anderen Geiseln in der Hand der Entführer. War das hilfreich, dass sie so viele waren?

Bleckmann: Nein. Wenn die Entführer so viele Leute haben und sie ihrem Ziel entschlossen nachgehen, dann bringen sie leichter die ersten um, denn sie haben ja immer noch genug Geiseln. Wenn die Entführer so wie jetzt nur zwei Geiseln haben, ist das etwas anderes. Da die Frauen sehr stark geschätzt werden, hat sie, wenn sie sich richtig verhält und sich richtig kleidet, einen größeren Schutz als der Mann. Ich war damals jedenfalls sehr froh, dass bei uns in der Gruppe außer mir nur noch zwei Französisch sprechen konnten, die anderen sich also mit den Entführern gar nicht hätten verständigen können. Dadurch konnte ich mit einer Stimme die Vielfalt der Stimmen in der Gruppe weitergeben.

STANDARD: Sie wurden durch eine Aktion der algerischen Armee befreit. Wie bewerten Sie das heute? Sollte zu einer militärischen Befreiung gegriffen werden, wenn die Chance besteht?

Bleckmann: Wenn es so gut ausgeht wie bei uns, schon. Aber wenn unsere Befreiung damals früher gewesen wäre - wir waren ja 52 Tage in Gefangenschaft -, dann wäre diese Wertschätzung zwischen uns und den Entführern nicht entstanden, dann hätten sich Entführte und Entführer nicht kennengelernt. Wenn das aber nicht geschieht, dann ist die militärische Befreiung furchtbar gefährlich. Als das Militär gekommen ist, haben sich unsere Geiselnehmer von uns abgesetzt, um uns zu schonen, und erst dann das Feuer eröffnet.

STANDARD: Wie hat Sie die Geiselnahme verändert?

Bleckmann: Ich frage mich seither, wie es eigentlich möglich ist, dass Menschen so sehr über Religion manipuliert werden können, dass sie im diesseitigen Leben nur mehr am Jenseits hängen und damit auch dazu gebracht werden können, andere Menschen umzubringen. Religion ist ja an und für sich eine schöne Sache. Aber wehe, wenn sie für menschliche Machtansprüche missbraucht wird. (András Szigetvari. DER STANDARD Printausgabe, 12.3.2008)