Rund 80.000 Kerzen am Wiener Heldenplatz erinnerten in der "Nacht des Schweigens" an die Opfer des NS-Regimes.

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Wider das Vergessen: Das offizielle Österreich gedachte am Mittwoch im Parlament der Ereignisse des 12. März 1938.

Foto: DER STANDARD/Matthias Cremer

Die Republik gedenkt: Nationalratspräsidentin Prammer, Bundespräsident Fischer, Vizekanzler Molterer, Kanzler Gusenbauer und Wirtschaftsminister Bartenstein.

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Wien - 80.000 Kerzen für 80.000 namentlich bekannte Opfer - mit einer "Nacht des Schweigens" wurde von Mittwoch auf Donnerstag dem Anschluss Österreichs an Deutschland vor genau 70 Jahren gedacht. Am Wiener Heldenplatz, dort wo Adolf Hitler einer jubelnden Menschenmenge "den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich" verkündet hatte, berichteten Zeitzeugen von Holocaust und Nationalsozialismus. Bis sechs Uhr früh dauert das anschließende stille Gedenken, bei dem die 80.000 Namen auf Leinwände projiziert werden.

Anwesend waren neben Vertretern der Jugendorganisationen auch Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, Vizekanzler Wilhelm Molterer und mehrere Minister.

Am meisten Beifall erhielt Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky. Er erinnerte an einen jüdischen Freund, der viele Jahre, nachdem Adolf Hitler auf dem Heldenplatz zu den Menschenmassen gesprochen hatte, denselben Balkon der Hofburg betrat. Vranitzky bezeichnete dies als eine Art Sieg gegen das NS-Regime und sagte zu den Anwesenden: "Alle, die hier hergekommen sind, haben den Verbrecher Adolf Hitler besiegt. Wir müssen ihn immer wieder besiegen und das werden wir tun." Der Altkanzler sagte außerdem, dass es keine Wiedergutmachung für die Verbrechen gebe. "es wäre unverschämt und schändlich, so etwas zu behaupten."

Seniorenratspräsident und Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol erinnerte: "Die Hunderttausenden, die hier standen, sind nur eine Seite der Wahrheit." Man müsse die ganze Wahrheit betrachten - "der Opfer und der Täter". Geschichte dürfe außerdem nicht als Keule verwendet werden, "die wir dem politischen Gegner über den Schädel ziehen. Das ist billig."

Als weitere Rednerin trat Zeithistorikerin Erika Weinzierl auf. Sie versuchte anhand von Einzelbeispielen den zahlreichen Jugendlichen am Heldenplatz die Verbrechen der Nazi-Diktatur anschaulich zu machen. "Ich glaube, dass mehr Österreicher gewusst haben, was mit den jüdischen Freunden geschehen ist", sagte sie.

Gedenken im Parlament

Zu Mittag gedachte die Bundesregierung im Parlament der Ereignisse des 12. März 1938, sie beschloss im Ministerrat am Mittwoch außerdem die Errichtung eines Simon-Wiesenthal-Zentrums. 2011 soll das Institut in das Palais Strozzi in der Josefstädter Straße einziehen, das entsprechend adaptiert wird. Die Kosten dafür teilen sich der Bund und die Stadt.

Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) sprach von einem wesentlichen Beitrag zur Holocaust-Forschung, VP-Vizekanzler Wilhelm Molterer von einem "Mahnmal für das Niemalswieder, für das Niemalsvergessen". Beide betonten, dass Österreich sich viel zu lange nur als Opfer des Nationalsozialismus gesehen habe.

Kein "Schlussstrich"

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer warnte bei der Gedenkveranstaltung im Parlament davor, einen "Schlussstrich" unter die Geschehnisse der Vergangenheit zu ziehen. Besonders die "österreichische Ausprägung des Antisemitismus" habe den Nationalsozialisten die Zustimmung vieler gesichert, betonte sie. Neben Prammer, Gusenbauer und Molterer sprach auch Bundespräsident Heinz Fischer im Parlament (siehe unten).

Heute sehen 82 Prozent der Österreicher ihr Land als eigene Nation, besagt eine Umfrage aus dem Jahr 2007. Sieben Prozent lehnen eine eigene österreichische Nation ab, acht Prozent der Befragten sehen eine Entwicklung in diese Richtung. Erhoben wurde das Nationalbewusstsein erstmals 1956, damals hielten sich Ablehnung und Zustimmung die Waage.

Seit den 80er-Jahren sei der Deutschnationalismus "kein Thema mehr", sagt der Meinungsforscher Peter Ulram. Von den Anhängern des "Dritten Lagers" (FPÖ, BZÖ) stellt laut Ulram eine "kleine Minderheit" von 17 Prozent die österreichische Nation infrage. (hei, APA/DER STANDARD, Printausgabe, 13.3.2008)