Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war vorgestern. Da fragte Kollege H., ob ich mit ihm diesen Freitag in die SCS fahren wolle. Da eröffne dort nämlich ein Gummipantoffelgeschäft seinen Flagshipstore. Und nachdem wir uns ja schon im vergangenen Sommer immer wieder darüber echauffiert hatten, dass Gummipantoffel ein ästhetischer Irrtum wären, wäre es doch sicher spannend, ebendort vorbeizuschauen. Erst recht, weil da auf der Einladung von Models – also einer Modeschau – die Rede sei.

Ich zögerte. Nicht, weil ich H. in Sachen Ästhetik da nicht vollinhaltlich zugestimmt hätte. Schließlich hatten wir uns im vergangenen Sommer immer wieder bitter darüber beschwert, dass das klobige Plastik in Leuchtfarben sich an allen Ecken und Enden des Lebens Raum zu verschaffen vermocht hatte. Und dass W also doch recht gehabt hatte. Als der vor zwei Jahren mit grasgrünen Pantoffeln auftauchte und unser schallendes Gelächter mit dem Hinweis quittierte, dass wir uns da gar nicht so aufpudeln bräuchten: In der Sache (lächerliches Aussehen) hätten wir ja recht – aber er spüre am eigenen Fuß, dass wir uns an diese Dinger besser rasch als langsam gewöhnen sollten. Weil es davor nämlich kein Entkommen geben werde. Weil die Dinger so superbequem seien, dass man getrost auf die Ästhetik pfeifen könne.

Flip-Flop-Konkurrenz

W. ist im echten Leben so etwas wie das zweite Hirn der ATV-Societysendung. Drum dachten wir zunächst, dass er da nur dem Druck irgendwelcher Marketingmenschen nachgegeben habe. Aber so mächtig, auch das Gehzeug auf Ibiza, in Tel Aviv und sogar an Thailands Inselstränden – also der Flipflop-Zone schlechthin - zu beeinflussen, ist W. dann auch wieder nicht. Nur trudelten von überall dort (und von noch ganz andern Orten) dann immer öfter Pantoffel-Sichtungsberichte ein.

Doch auch in unsere jeweiligen Umfelder, stellten H. und ich fest, begannen die Plastikpantoffeln hinein zu metastasieren. Zunächst als Bade- und Gartenschuhe. Dann als Hausschuhe. Und dann, sukzessive, auch im öffentlichen Leben. Und jeder, wirklich jeder, rechtfertigte sich anfangs wie weiland W.: Ja eh, die Dinger wären zwar scheußlich – aber sooooo angenehm zu tragen. Und so leicht. Und kein Schweiß. Und ...

Tretertestimonial

H. und ich wussten aber trotzdem das kommen würde, was kommen musste: Der Mensch tendiert schließlich grundsätzlich dazu, sich seine Entscheidungen schön zu reden. Und so dauerte es nicht lange, bis die ersten "ich finde die ja eigentlich gar nicht so schiach"-Testimonials aufpoppten. Und als die Pantoffel-Penetration in Lokalen und Büros im Sommer dann eine kritische Schwelle überschritten hatte, gab es plötzlich Menschen, die da tatsächlich das Vokabular zwischen "cool" und "kultig" strapazierten.

In der Zwischenzeit waren auch Tools zur Personalisierung der Schlapfen aufgetaucht. Und Winter-Schlapfen. Und Stiefel. Und irgendwer behauptet dann, sogar High-Heel-artige Töffler gesichtet zu haben. Dann, zu guter letzt, kam Weihnachten. Ein paar tage danach gestand mir H., dass er da auch diese Schlapfen geschenkt bekommen habe. Von irgendeiner Tante. Und weil man Geschenke nicht ablehnen dürfe, habe er die Schuhe angezogen. Nur für einen Augenblick. Und seither wolle er eigentlich nix anderes mehr tragen. Zu Hause zumindest. Aber – immerhin – er schäme sich schon noch. Wenn auch täglich ein bisserl weniger.

Gefüttert

Ich war erleichtert. Und konnte endlich zugeben, dass auch ich überrannt worden sei. Zu Hannukah. Ein Scherz: Ein paar gefütterte Hauspantoffeln aus Gummi. Hässlich, aber bequem. Aber mittlerweile fiele mir das gar nicht mehr so auf – ich hätte die Dinger sogar schon auf eine Skihütte mitgenommen. Und dort – von einem Krankenpfleger – erfahren, dass hierzulande ganze Krankenhäuser so herumliefen, die Schuhe in der Schweiz auf Intensivstationen aber bereits verboten seien: Zu oft habe sich ein Pfleger statisch so aufgeladen, dass das nächste Gerät das er angegriffen habe, den Dienst quittierte. Angeblich. Aber auf einer Intensivstation nicht einmal als Gerücht lustig.

Als H. da nun aber wegen der Flagshipstoreeröffnung anklopfte, beschäftigte mich eine ganz andere Frage: in der Einladung war nämlich nicht nur die Rede von einer Pantoffel-Modeschau gewesen. da stand auch "Am 14. März öffnet unser bereits vierter Flagship Store in Österreich seine Türen." Und das kam dann auch H. seltsam und fast bedrohlich vor. Schließlich begnügen sich stinknormale Weltkonzerne und Luxusmarken in der Regel mit einem Flagshipstore pro Land und einigen bis etlichen Outlets, Filialen oder Franchisenehmern. Aber gleich vier Flaggschiffe? H. erschauerte: Wenn das nicht einfach eine Marketingsprechübertreibung sei, meinte er, dann stünde uns diesen Sommer pantoffeltechnisch wohl einiges bevor. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 13. Februar 2008)