Missionare des glühenden Apfels: Das Eletronik-Duo Autechre

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Graz – Die Beschäftigung mit dem englischen Duo Autechre ist geprägt vom modrigen Widerstreit zwischen handgemachter, "ehrlicher" Musik und Klängen aus dem Rechner; zwischen menschlichem Touch, künstlicher Intelligenz und der mit dem Fortschritt einhergehenden Demokratisierung der Musikproduktion.

Mit ihrem Amalgam aus Ambient, von Industrial Music infiziertem Brutzeln, Musique Concrète und verstolperten HipHop-Beats waren Sean Booth und Rob Brown seit Mitte der Neunziger neben Acts wie Aphex Twin oder Boards of Canada und dem Label Warp hauptverantwortlich für die ungewollte Verankerung der hässlich etikettierten Schublade "Intelligent Dance Music".

Dabei dienten Autechre stets als bestmöglicher Gradmesser des technischen Weiterkommens. Als mancherorts die Entmachtung des Künstlers durch die Maschine herbeibefürchtet wurde, waren Autechre schon längst wieder anderswo: Von sich dank Software selbst generierenden Sound-Strukturen waren sie zur verstärkten Benutzung analogen Equipments zurückgekehrt.

Quaristice, ihr sehr gutes, eben erschienenes neuntes Album, belegt, dass sich kreativer Prozess und Technologie-Hörigkeit nicht im Bösen begegnen müssen. Die Platte stellt sich als imaginärer Querschnitt des Schaffens Autechres dar – in musikalischer wie produktionstechnischer Hinsicht: Über zwanzig Stücke hinweg halten sich penibel nach mathematischen Formeln errichtete Tracks und intuitiv entwickelte Live-Jams die Balance.

Die Melodieverliebtheit der frühen Platten trifft auf scharfkantige Polyrhythmik aus der Rumpelkammer. Man hört monotones Brummen, Rascheln und Schaben an rauer Oberfläche, zwischen Ambient-Teppiche schiebt sich ein Beat-Krieg. Neu ist der in der Kürze der Stücke begründete skizzenhafte und fahrige Charakter des Albums.

Innovation ist nur ein Wort

Wenngleich die Definitionsmacht von Autechre schon angerostet und Innovation auch wo anders statt findet, bleibt das Duo treuer Botschafter aus der elektronischen Vergangenheit; Überraschungen werden andernorts gesucht, etwa bei Live-Darbietungen von Autechre. Die Ungewissheit ist Konstante: Hier darf unter zähflüssigem Rauschen Äpfeln beim Glühen an der Front von Powerbooks zugesehen werden, da werden partywirksam aus allerlei Gerätschaften ausgeklügelte – intelligente gar! – Tanzaufforderungen gelockt.

Ungeachtet der Qualität des Dargebotenen speist sich der Reiz von Konzerten mit Legendenbeteiligung nicht selten aus der Gnade der bloßen eigenen Anwesenheit. So können in einer Zukunft, in der wir schon längst gestorben sein werden, sich selbst schreibende Blogs den Nachfahren davon berichten, dass wir einst einer Autechre-Performance beigewohnt haben.

Egal, ob es blubbernder Elektronikbrei war, der an jenem Donnerstagabend in Graz ans Ohr trat, oder sich ein tatsächlich großartiger Kosmos entfaltete. (Philipp L’Heritier / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.3.2008)